Von der Regierungs- auf die Abgeordnetenbank: Sebastian Kurz – im Bild neben August Wöginger, dessen Job als Klubobmann der Volkspartei er demnächst übernehmen wird. (Das Bild entstand bei einer Sondersitzung zum Thema Casinos im November 2019)

Foto: Matthias Cremer

Welche Auswirkungen hätte der neue Status als ÖVP-Klubobmann bzw. Abgeordneter auf das laufende Strafverfahren gegen Sebastian Kurz, das ja der Anlass für seinen Wechsel von der Regierungs- auf die Abgeordnetenbank ist? Wäre er dann "sicher" in der Causa? Oder breche der Noch-Kanzler mit seiner "Flucht in die parlamentarische Immunität" im Nationalrat, wie FPÖ-Chef Herbert Kickl behauptete, sein Versprechen, für rasche Aufklärung zu sorgen?

Nun, die ÖVP konterte noch am Samstagabend so: Kurz werde die Aufhebung der Immunität selbst beantragen, hieß es zum STANDARD. Denn es sei parlamentarische Usance, dass die Immunität nicht vor Vorwürfen schützen soll, die zeitlich vor der Abgeordnetentätigkeit liegen.

Immun, solange eine Mehrheit das will

Kurz hätte als Abgeordneter Immunität, die er jetzt als Bundeskanzler nicht hat, erklärte auch Verfassungsjurist Heinz Mayer im STANDARD-Gespräch. Das würde bedeuten: "Die Immunität ist ein Verfolgungshindernis, aber kein Strafausschließungsgrund. Das laufende Verfahren gegen ihn könnte für die Dauer der Zeit als Abgeordneter nicht fortgeführt werden." Die Verfahren gegen alle anderen Beteiligten in der Causa – so sie keine Abgeordneten sind, und das sind sie nicht – kann hingegen plangemäß weitergeführt werden.

Auch der Verfassungsjurist Theo Öhlinger sagte: "Ja, als Abgeordneter ist Kurz immun. Das gilt auch für Taten, die vorher gesetzt wurden und die im Zusammengang mit seiner politischen Tätigkeit gestanden sind." Die parlamentarische Immunität hätte Kurz "solange, wie eine Mehrheit im Parlament mitspielt".

Voraussetzung dafür, dass das Thema "Immunität oder nicht" überhaupt schlagend wird, ist aber ohnehin ein Antrag auf Aufhebung der Immunität durch die Strafverfolgungsbehörde, den in dem Fall die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) stellen müsste, erklärt Jurist Öhlinger: "Wenn dieser Antrag kommt, dann muss der Immunitätsausschuss des Parlaments einberufen werden und dort wird dann darüber entschieden, ob ein Politiker an die Strafbehörden ausgeliefert wird oder nicht. Wenn jetzt der ÖVP-Klub signalisiert, dass er nichts gegen eine Aufhebung der Immunität von Kurz hat, dann werden die anderen Abgeordneten wohl kaum dagegen sein."

Nicht immun, weil Kurz selbst es will

Da nicht einmal die Hauptperson, nämlich der Abgeordnete in spe Sebastian Kurz etwas dagegen hat, seine schützende Immunität zu verlieren, ist das Thema vorerst ohnehin ein eher theoretisches – zumal auch noch gar kein Antrag auf Aufhebung durch die WKStA vorliegt. Wann dieser kommt, ist noch völlig offen.

Und so steht im Moment nur die Aussage von Kurz im Raum, der bei seinem Rückzugsstatement betont hat, dass sein Schritt kein Schuldeingeständnis sei. Ganz im Gegenteil kündigte er an, vom Parlament aus seine Unschuld beweisen zu wollen und dazu die Aufhebung seiner Immunität zu beantragen, um weitere Ermittlungen zu ermöglichen.

Geregelt ist die Immunität von Abgeordneten in Artikel 57 des Bundesverfassungsgesetzes. Dieser besagt, dass Abgeordnete ohne Zustimmung des Nationalrates wegen einer strafbaren Handlung nur dann behördlich verfolgt werden dürfen, "wenn diese offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit" steht.

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft geht gegen Kurz und neun weitere Personen, teils aus seinem engsten Umfeld, wegen des Verdachts der Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit vor. Die Vorwürfe seien "falsch, und ich werde das auch aufklären können", bekräftigte Kurz. Einmal mehr verlangte er auch, dass die Unschuldsvermutung für alle im Land gelten müsse. (Lisa Nimmervoll, Fabian Schmid, 9.10.2021)