In Manuel Pelmuș’ "Permanent Collection" verkörpern Performer und Tänzerinnen unaufgeregt Kunstwerke der Moderne.

Foto: Beniamin Boar

Ein Mann spricht im Dunkeln. Ein anderer Mann hat für das Tanzstück einer Frau eine imposante Lichtskulptur auf die Bühne gestellt. Mit der Lecture-Performance Borderlines des rumänischen Choreografen und Künstlers Manuel Pelmuș und der Uraufführung von Bruno der aus Frankreich stammenden Wienerin Alix Eynaudi hat das Tanzquartier Wien den Auftakt seiner neuen Spielsaison eingeleitet. Jetzt wird dort sechs Wochen lang das 20er-Jubiläum gefeiert.

Zur Erinnerung: Eröffnung des TQW war im Herbst 2001, und das erste Tanzhaus Österreichs ist bisher das einzige geblieben. Allerdings zeigt seit einiger Zeit auch das Festspielhaus St. Pölten Ambitionen, das TQW von seiner Alleinstellung zu befreien: Bettina Masuch, ab Herbst 2022 Nachfolgerin von Noch-Intendantin Brigitte Fürle, ist eine echte Tanzspezialistin.

Mit seinem lichtbefreiten Vortrag Borderlines im TQW stellte Pelmuș die Spannung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit dar, wie sie der heute 47-Jährige als Künstler erlebt hat, aber auch, wie sie nach der Öffnung des Eisernen Vorhangs zwischen Ost- und Westeuropa entstand. Bis heute, vermittelt Pelmuș, sieht man die im Osten ja nicht wirklich.

Radikaler Umsturz

Was der Vortragsperformer auslässt, ist der radikale Umsturz seines Themas "Sichtbarkeit" durch die digitale Weltrevolution im Zeitalter der sozialen Medien. Symptomatisch, denn die Auseinandersetzung mit diesem technologisch-politischen Bruch wurde in der Kunst generell verschlafen.

Eine Beziehung zwischen tanzenden Körpern und einem übermannsgroßen Monstrum aus Scheinwerfern versucht Alix Eynaudi in ihrem Stück Bruno herzustellen. Gebaut hat das Lichttanzgerät der Lichtdesigner Bruno Pocheron. Der Clou dabei ist, dass die potenzielle Aggression des Ungetüms in Eynaudis sehr sanfter Choreografie verborgen bleibt.

Noch eine weitere Arbeit präsentiert Manuel Pelmuș in den Vorräumen der Kunsthalle Wien und der auch vom TQW bespielten Museumsquartier-Hallen G und E. In Permanent Collection verkörpern fünf Performer und Tänzerinnen unaufgeregt Kunstwerke der Moderne wie Valie Exports Body Configurations und politische Interventionen wie den "Act Up"-Protest im New York der 1980er.

"Past – Present – Future"

Dazu liegt eine nüchterne Auflistung der 37 zitierten Werke und Aktionen auf. Die wird all den Besucherinnen und Besuchern, die keine Kunstspezialisten sind, nicht viel helfen. Ein paar kontextualisierende Erläuterungen hätten nicht geschadet. Insgesamt also ein Beginn, der dem bescheidenen Motto "Past – Present – Future" für den kommenden Performancereigen zur 20er-Feier durchaus entspricht.

Zufällig hätte auch ein Doppelabend, der am Samstag parallel zum TQW-Auftakt im Festspielhaus St. Pölten gezeigt wurde, perfekt zur interkulturellen Diversity-Programmlinie des Tanzquartiers gepasst. Dort beeindruckte die 75-jährige senegalesische Tanz-Ikone Germaine Acogny zusammen mit der Pina-Bausch-Tänzerin Malou Airaudo (73) in common ground[s], einem berührenden Duett zweier cooler Damen, in dem innere Konflikte im Dialog zwischen Afrika und Europa spürbar werden.

Etwas mehr Souveränität

Teil zwei des Abends ist Pina Bauschs berühmtes Stück Frühlingsopfer von 1975, das jetzt erstmals ausschließlich mit afrikanischen Tänzerinnen und Tänzern besetzt ist. Das finale Solo des Opfers tanzt Khadija Cisse – einfach umwerfend. Dieses künstlerische Ereignis versetzte sein Publikum in echte Begeisterung. Leider war die Kooperation der Pina-Bausch-Foundation mit Acognys École des Sables in St. Pölten nur einmal zu sehen. Nur wer kommendes Wochenende in Luxemburg ist, hat dieses Jahr noch eine Chance.

Auch solche größeren Werke sollte das seit einigen Jahren etwas einseitig gewordene Tanzquartier seinem Wiener Publikum bieten. Daher ist diesem Tanzhaus – immerhin jenes der österreichischen Hauptstadt – zum Jubiläum etwas mehr Souveränität und ein weiterer Horizont zu wünschen. (Helmut Ploebst, 11.10.2021)