In "We Are", aus der Sammlung des Galeristen Thaddaeus Ropac, verewigte das britische Künstlerduo Gilbert & George 1985 Männer aus dem Londoner East End.

Gilbert & George / © Bildrecht, Wien 2021

Jean-Michel Basquiat, Francesco Clemente & Andy Warhol: "Alba's Breakfast".

© The Estate of Jean-Michel Basquiat / Bildrecht, Wien 2021

Martin, ab in die Ecke und schäm dich! Ende der 1980er hatte ein deutscher Kunstkritiker Martin Kippenberger vorgeworfen, ein dem Alkohol verfallener, frauenfeindlicher Zyniker mit fragwürdiger Gesinnung zu sein. Das für seinen exzessiven Lebensstil und seine gnadenlose Haltung bekannte Enfant terrible reagierte auf seine Weise. Unter gleichlautendem Titel stellte er sich also in der Pose eines ungezogenen Schuljungen als lebensgroße Figur in die Zimmerecke und verspottete damit die spießbürgerlichen Werte seiner Kritiker.

Es war eines der ikonischen Werke "Kippis", von denen er sechs Fassungen schuf. Eine davon steht nun im Winkerl in der Albertina Modern, wo dem stilistischen Pluralismus der Achtziger temporäres Quartier gewährt wird. Es war eine Dekade, die den Beginn der Postmoderne in der bildenden Kunst markiert und zum Verständnis der Kunst des 21. Jahrhunderts beiträgt, wie Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder den Anspruch formuliert.

Abkehr von der Konzeptkunst

Die von der jüngst zur Direktorin der Albertina Modern berufenen Angela Stief kuratierte Schau versammelt 165 Werke von 60 Künstlern und Künstlerinnen, die in ihrer gezielt internationalen Ausrichtung an die mit österreichischer Kunst bespielte Eröffnungsausstellung anknüpft (The Beginning, 1945–1980). Unter ihrer Regie wird die Abkehr von der Konzeptkunst, vom intellektuellen und distanzierten Minimalismus der 1960er- und 1970er-Jahre als wohl auffälligstes Merkmal des mit prominenten, aber auch weniger geläufigen Namen besetzten Line-ups nachvollziehbar.

Da wäre der Aufstieg von Street Art und Graffiti (Keith Haring), der das Kunstverständnis demokratisiert. Da wären Trivialitäten und Kitsch (Jeff Koons), die überhöht oder auch subversiv (Franz West) formuliert als Attacke auf die Hochkultur ihre Legitimation erlangen.

Figurativ und wild

Und schließlich der Neoexpressionismus: Er breitet sich in zig Spielarten aus – mal abstrakt (Herbert Brandl, Hubert Scheibl), dann wieder figurativ (Siegfried Anzinger, Hubert Schmalix), jedenfalls wild und impulsiv wie auch im Rückgriff auf historisches Quellenmaterial (Julian Schnabel, David Salle).

Die überaus ergiebige Praxis der Aneignung durch die Appropriation Art wäre ebenfalls nicht zu vergessen. Deren Vielfalt repräsentieren Cindy Sherman, die in ihren Serien Szenen aus 1950er-Filmen nachstellt, Franz Gertsch, der fotografische Vorlagen nutzt, oder Mike Bidlos Not Picasso, eine Kopie von Les Demoiselles d’Avignon (von 1907). Es ergibt sich so ein im besten Wortsinn buntes und vielseitiges Panoptikum, das eines ganz gewiss nicht ist: langweilig.

Geweckte Begehrlichkeiten

Insofern überrascht es nicht, dass sich diese Ära auf dem Kunstmarkt zuletzt wachsender Nachfrage erfreute und einigen Vertretern Rekordpreise bescherte. Jean-Michel Basquiat (2017: Totenkopfporträt, 99,5 Mio. Euro) wäre hier ebenso zu nennen wie Maria Lassnig (2021: Wilde Tiere sind gefährdet, 1,36 Mio. Euro) und natürlich Kippenberger: Dessen erste Version anfangs erwähnter Skulptur erzielte erst im Mai stattliche 7,82 Millionen Euro.

Für die Ausstellung ist derlei freilich nur für die (nicht kommunizierten) Versicherungswerte der Leihgaben von Relevanz, die gut zwei Drittel ausmachen. Darunter vor allem jene von Michael und Ellen Ringier (Hauptleihgeber) – ebenso aus der Schweiz wie auch solche des Galeristen Bruno Bischofberger, der zu den damaligen Schlüsselfiguren gehörte.

Die Aneignung

Die in seiner Privatsammlung verbliebene "Ware" könnte – als Nebenwirkung eines Ausstellungsbesuchs – durchaus Begehrlichkeiten wecken. Für Julian Schnabels The Exile etwa, bei dem sich der amerikanische Künstler 1980 Caravaggios Knabe mit dem Früchtekorb motivisch aneignet und darauf Geweihe applizierte. Oder auch für Jiří Georg Dokoupil: Auf dessen imposantes Gemälde Junge mit Messer hat Albertina-Direktor Klaus Albrecht Schröder ein Auge geworfen.

Wäre es denn verkäuflich, dann stünde Hans Peter Haselsteiner wohl parat. Dass der Unternehmer seinen Anteil an der Sammlung Essl, die nun unter "Familiensammlung Haselsteiner" firmierend als Dauerleihgabe im Museum gastiert, um Neuankäufe zu ergänzen gedenkt, hatte er schon 2017 angekündigt. Einige solcher Zugänge sind auch erstmals in der Ausstellung zu sehen: Gemälde von Isolde Maria Joham oder Erwin Wurms Hosenpaar. (Olga Kronsteiner, 11.10.2021)