Bild nicht mehr verfügbar.

Foto: Reuters/Lisi Niesner

Sebastian Kurz ist nicht ganz freiwillig zurückgetreten, und gern hat er es auch nicht getan. Aber politisches Talent zeigt sich dann, wenn man auch ungünstige Situationen zum eigenen Vorteil wenden kann. Ein solcher Schachzug ist Kurz am Samstagabend zweifellos gelungen.

Herrschen über Ministerriege

Mit dem Verzicht auf das Kanzleramt, das in Österreich über wenige formale Kompetenzen verfügt, hat Kurz keine Macht aufgegeben. Als Partei- und Klubchef wird er die auf ihn eingeschworene ÖVP-Ministerriege weiter beherrschen. Sogar die ungeliebte Parlamentsarbeit nimmt ihm August Wöginger ab.

Zusätzlich hat sich Kurz vorerst aus der Schusslinie gegenüber neuen Enthüllungen und Schritten der Justiz genommen. Das gilt vor allem für das Verfahren wegen Falschaussage vor dem U-Ausschuss, in dem bald eine Anklage und eine – wohl milde – Verurteilung möglich sind. Sobald dann Rufe nach seinem Rücktritt laut werden, kann Kurz darauf verweisen, dass er dieses Opfer im Dienste des Landes bereits erbracht hat.

Weniger verwundbar

Aber auch gegenüber den viel härteren aktuellen Vorwürfen ist Kurz in seinen Parteifunktionen weniger angreifbar und daher weniger verwundbar als zuvor. Und sollte es zu Neuwahlen kommen, wird wohl Kurz – und nicht Alexander Schallenberg – wieder als Spitzenkandidat ins Feld ziehen.

Nur ein ernsthaftes Strafurteil oder eine Wahlniederlage kann die Ära Kurz beenden. Bis dahin ist der doppelte Altkanzler mehr denn je der Herr der politischen Lage. (Eric Frey, 10.10.2021)