Gespräche mit der FPÖ über eine mögliche Zusammenarbeit führte SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner auf die "außergewöhnliche Situation" zurück.

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Es war nur ein kurzer Moment, in dem Pamela Rendi-Wagner mit ihrer Kanzlerinnenschaft lieb äugeln durfte. Sie stünde zur Verfügung, sagte die Chefin der zweitstärksten Parlamentspartei Freitagnacht. Und brach damit ein rotes Tabu: Denn für eine Mehrheit gegen Sebastian Kurz und dessen ÖVP benötigt es neben den Abgeordneten von SPÖ und Grünen jedenfalls auch die Stimmen der FPÖ. Der blaue Klubobmann Herbert Kickl hatte zu diesem Zeitpunkt bereits klargestellt: Eine Zusammenarbeit im Nationalrat könne er sich nur "auf Augen höhe" vorstellen.

Eine Koalition mit der FPÖ – in der Sozialdemokratie zumindest auf Bundesebene ein No-Go, seitdem der ehemalige rote Bundeskanzler Franz Vranitzky 1986 die Zusammenarbeit mit den Blauen beendet hatte. Doch in dieser "außergewöhnlichen Situation", in der sich das Land befinde, brauche es auch "außergewöhnliche Handlungen", formulierte es Rendi-Wagner. Auf Gespräche mit den im Parlament vertretenen Parteien abseits der ÖVP hatte sich das SPÖ-Parteipräsidium kurz zuvor geeinigt; rote Linien sind eben oftmals fließend.

Doskozil plädierte für Neuwahlen

Es gab allerdings auch einen Gegner der angepeilten Vier-Parteien-Einigung und Einwände gegen Gespräche mit der FPÖ – im engsten roten Parteizirkel. Er hätte "eine Offensivstrategie für das Beste gehalten: Wir sind in einer Situation, wo es besser gewesen wäre, dem Wähler das Wort zu überlassen", sagte der burgenländische Landeshauptmann und SPÖ-Landesparteichef Hans Peter Doskozil am Sonntag in einer Stellungnahme zum STANDARD. Die SPÖ hätte demnach gut getan, sich für baldige Neuwahlen ins Zeug zu legen statt mit den Freiheitlichen eine mögliche Zusammenarbeit auszuloten.

Die Gespräche mit der FPÖ hätten der SPÖ ein "massives Glaubwürdigkeitsproblem" gebracht, befand Doskozil zudem in einem Interview mit der Presse: Damit habe sich die SPÖ "ähnlich geschadet wie die Grünen, indem sie Kurz jetzt das Putin-Modell verwirklichen lassen".

Franz Schnabl, SPÖ-Chef und Landeshauptfrau-Vize in Niederösterreich, sieht das jedoch anders: "Gespräche sind nie falsch", sagte er dem STANDARD – auch nicht mit Kickl. Er werde Rendi-Wagners Gespräche mit der FPÖ "sicher nicht negativ beurteilen". Andere Rote sahen das hinter vorgehaltener Hand anders: Dass sich Rendi-Wagner mit Kickl noch am Samstag, wenige Stunden vor dem Rückzug von Kurz, getroffen hatte, wird im Nachhinein als "nicht gerade geschickt" beurteilt.

Viel Fantasie für Zusammenarbeit mit FPÖ

Nach dem Rücktritt des Kanzlers wird in SPÖ-Kreisen besänftigt: Es sei schließlich nie um eine Koalition im engen Sinne gegangen, sondern vielmehr um eine Art Zusammenarbeit im Parlament gegen die türkise ÖVP, hieß es da. Für die Vorstellung, dass Rendi-Wagner und Kickl gemeinsam in einer Regierung arbeiten, brauche man natürlich viel Fantasie. Aber ein solches Arbeitsübereinkommen wäre nicht auf lange Dauer möglich gewesen, befindet man bei den Roten.

Das Kanzlerinnenfenster schloss sich für Rendi-Wagner so schnell wieder, wie es sich geöffnet hatte. Seither ist der Frust in der SPÖ groß. Rendi-Wagner selbst gab sich enttäuscht darüber, dass die Grünen statt mit ihr lieber weiterhin mit der ÖVP unter Alexander Schallenberg als Kanzler und Kurz als Klubchef regieren würden. Sie nannte es die "Fortsetzung einer Regierungsarbeit mit dem türkisen System".

In der SPÖ stellt sich wieder einmal die Frage: Ist Rendi-Wagner in solch einer turbulenten Zeit die Richtige für den Job der Parteichefin? Zumindest ein Viertel der Delegierten verneinte diese Frage bereits im Juli auf dem SPÖ-Bundesparteitag. Dort musste sich Rendi-Wagner mit 75 Prozent Zustimmung und dem historisch schlechtesten Ergebnis bei einer Vorsitzwahl ohne Gegenkandidatin oder Gegenkandidaten abfinden.

Doskozil rechnet mit Neuwahlen 2022

Aktuell will man nicht so recht eine klare Antwort darauf geben, wer die Partei in die nächste Nationalratswahl führen soll. Und diese, da ist man sich in der SPÖ sicher, werde deutlich vor dem regulären Ende der Regierungsperiode 2024 stattfinden. "Ich gehe davon aus, dass wir 2022 sowieso Wahlen haben werden", sagte Doskozil zum STANDARD.

Eine öffentliche Debatte über den roten Chefsessel will man in der Partei momentan jedoch vermeiden. Zuletzt überschattete die Führungsfrage im Sommer das politische Geschehen – als der Streit zwischen Rendi-Wagner und dem burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil eskalierte.

ÖVP-U-Ausschuss geplant

Für eine Vorsitzdebatte sei keine Zeit, heißt es aus der SPÖ. Es gehe darum, das System Kurz zu durchleuchten. Das soll im Zuge eines neuen U-Ausschusses geschehen: SPÖ, FPÖ und Neos bestätigten am Sonntag, dass die Korruptionsvorwürfe gegen die ÖVP und den zurückgetretenen Kanzler Thema eines neuen Untersuchungsausschusses sein werden.

Denn auch die restliche Opposition gab sich mit der Fortsetzung der Koalition nicht zufrieden. Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger stellte sich etwa die Frage, ob der Rücktritt und der Wechsel als Klubobmann in den Nationalrat ausreichen würden. Das Kurz’sche System sei eines "der Machtbesessenheit" und werde weitergeführt, sagte sie.

Für FPÖ-Chef Kickl bricht Kurz mit seiner "Flucht in die parlamentarische Immunität" sein Versprechen, für rasche Aufklärung zu sorgen. Offenbar plane Kurz, die "Affäre zu einer unendlichen Geschichte" zu machen, "bis die ÖVP das Justizministerium wieder innehabe", mutmaßte Kickl.

Burgenlands Landeshauptmann Doskozil meinte, dass sich Kurz nun so positioniert habe, "dass er alle Fäden in der Hand behält und bei den nächsten Wahlen antreten kann. Diese Vorgangsweise der ÖVP offenbart ein bedenkliches Demokratieverständnis – derlei war man in Europa bislang maximal von Putin oder Berlusconi gewöhnt". (Oona Kroisleitner, David Krutzler, 10.10.2021)