Fairphone-CEO Eva Gouwens macht die Erkenntnisse aus den eigenen Nachforschungen öffentlich – damit sich auch die Großen daran orientieren können.

Foto: Fairphone

Smartphones, die sich nicht reparieren lassen. Immer höher wachsende Berge an Elektroschrott. Und Rohstoffe, die unter zweifelhaften Bedingungen abgebaut werden. Man muss nicht lange darüber nachdenken, um zu verstehen: Unsere Taschencomputer sind eigentlich ein ökologisches und soziales Desaster. Eine Antithese dazu ist das in den Niederlanden ansässige Unternehmen Fairphone, das Smartphones anbietet, die unter möglichst verträglichen Bedingungen entstanden sind. Fairphone-CEO Eva Gouwens erklärt im Interview, wie man die gesamte Branche zu einem besseren Verhalten bewegen möchte.

STANDARD: Was war die ursprüngliche Motivation hinter der Gründung von Fairphone?

Gouwens: Fairphone hat schon 2010 als Projekt begonnen, um die Awareness für Rohstoffe aus Konfliktgebieten zu steigern. Die Kampagne lief drei Jahre, 2013 haben wir ein Sozialunternehmen gegründet und beschlossen, selbst ein Handy als Alternative anzubieten. Wir wollten in die Branche eintreten und sehen, ob wir sie von innen heraus verändern können.

STANDARD: Und wo stehen Sie jetzt?

Gouwens: Es ist am einfachsten, die Veränderung anhand der Geräte zu beschreiben. Das Fairphone 1 war das erste Fairphone, das die Aufmerksamkeit auf die Arbeitsbedingungen lenkte und Ersatzteile verfügbar machte. Damit fing die Reise an. Im Jahr 2015 haben wir das Fairphone 2 gelauncht, das komplett modular und darauf ausgelegt war, lange verwendet zu werden. Es war extrem einfach, das Gerät auseinanderzunehmen. Das 2019 vorgestellte Fairphone 3 hatte das Ziel, auf die Qualität des Produkts in Sachen Hardware und Software zu achten. Es war noch immer modular, aber deutlich stabiler als der Vorgänger. Das machte es massentauglicher, was sich auch in den Zahlen widerspiegelt: In den vergangenen zwei Jahren haben wir unseren Absatz verdoppelt, im Jahr 2020 waren wir profitabel. Unser Umsatz belief sich auf 36 Millionen Euro. In Europa haben wir bisher insgesamt mehr als 300.000 Geräte verkauft. Wir sind knapp über hundert Leute, von denen manche in Asien arbeiten, das Headquarter ist in Amsterdam.

STANDARD: 300.000 Geräte sind nicht wenig.

Gouwens: Ja, wenn Sie das mit Apple vergleichen, dann lachen Sie. Aber wenn man im Jahr 2013 noch kein einziges Smartphone hergestellt hat, ist es recht viel.

STANDARD: Was möchten Sie mit dem neu vorgestellten Fairphone 4 erreichen?

Gouwens: Wir wollen eine neue Zielgruppe ansprechen. Es ist für Menschen, die eine eigene Entscheidung treffen, aber keine Kompromisse eingehen wollen. Die Nutzung soll angenehm sein, gleichzeitig sollen sich unsere Kunden von jenen abheben können, die einfach der Herde folgen.

STANDARD: Wie gehen Sie mit dem Thema seltene Erden um, die in jedem Smartphone stecken, aber oft in Konfliktgebieten abgebaut werden?

Gouwens: Im Jahr 2019 haben wir begonnen, unsere Wertschöpfungskette in Bezug auf seltene Erden zu analysieren – inklusive der Auswirkungen auf die Umwelt und auf die lokale Bevölkerung. Als Konsequenz haben wir uns mit unseren Partnern darauf geeinigt, in den Lautsprechern zu hundert Prozent recycelte seltene Erden zu verwenden, im Vibrationsmotor sind es 90 Prozent. Wir machen Erkenntnisse – zum Beispiel zu unserer Wertschöpfungskette – aber immer insofern öffentlich, dass wir uns erstens selbst verbessern, zweitens andere uns aber auch nachahmen können. Und indem wir unsere Lieferanten mit an Bord nehmen, motivieren wir sie, das Gleiche auch für ihre anderen Abnehmer zu tun.

STANDARD: Und wie steht es um das Recycling Ihrer eigenen Geräte?

Gouwens: Mit dem Fairphone 4 machen wir ein Update unseres Recyclingprogramms. Wir wollen vor allem Kunden in Europa motivieren, ihre alten Smartphones abzugeben, sodass sie anderweitig verwendet oder wenigstens recyclet werden können. Denn derzeit landen viele alte Smartphones einfach irgendwo in der Lade – wenn sie aber rechtzeitig abgegeben werden, ist es einfacher, ihnen ein zweites Leben zu geben. Wir nehmen auch nicht nur Fairphones, sondern Smartphones aller Hersteller, und die Kunden bekommen im Gegenzug eine Gutschrift.

STANDARD: Wie einfach ist es für Kunden, im Fairphone 4 einzelne Module auszutauschen?

Gouwens: Wir bleiben beim Prinzip der Modularität, weil wir an dessen positiven Effekt glauben. Aber das System wurde verändert. Beim Fairphone 3 musste man zuerst das Display entfernen, um die Kamera auszutauschen. Beim Fairphone 4 sieht man nun alle Teile, sobald man das Smartphone öffnet.

STANDARD: Das umweltfreundlichste Smartphone ist jenes, das man gar nicht erst kauft. Es gibt gewisse Marken, die sich mit einer besonders langen Nutzungsdauer brüsten. Wie lange nutzen Fairphone-Kunden ihr Handy?

Gouwens: Wir haben User beim Kauf gefragt, wie lange sie ihr Smartphone nutzen wollen. Derzeit planen sie durchschnittlich viereinhalb Jahre.

STANDARD: Vor zwei Jahren meinte Fairphone-Gründer Bas van Abel in einem Interview, dass Sie die einzige weibliche CEO der Mobile-Branche sind. Was bedeutet das für Sie?

Gouwens: Ich habe mit den CEOs der anderen Smartphone-Hersteller wenig Kontakt (lacht). In dieser Branche sind weibliche Führungskräfte rar, aber ehrlich gesagt habe ich dazu keine explizite Meinung. Ich bin bei Fairphone in dieser Position, und das macht es auch für andere Frauen in unserem Unternehmen leichter, entsprechende Rollen einzunehmen. Derzeit ist die Hälfte unseres Teams weiblich, das Gleiche gilt für die Führungsebene. Ich habe keine Policy, die Frauen bei der Einstellung gegenüber Männern bevorzugt, es gibt keine speziellen Programme für Frauen. Aber ich glaube, dass Frauen bei uns leichter hinzukommen, weil wir schon jetzt diese gute Balance haben.

STANDARD: Viele Tech-Unternehmen nennen sich selbst nun auch "grün", weil sie zum Beispiel keine Ladegeräte mehr mitliefern. Wie nehmen Sie das wahr?

Gouwens: Das ist ein großer Schritt in die richtige Richtung. Ich bin glücklich, dass es immer mehr ein Thema wird – das war zum Beginn von Fairphone vor zehn Jahren nicht der Fall. Aber es sind bloß erste Schritte. Ich möchte klar sagen, dass man auch einen Blick auf das Gesamtsystem haben muss, wenn man wirklich etwas verändern will. Das geht dann darüber hinaus, dass man bloß das Ladegerät weglässt. Es geht auch darum, dass man die eigenen Geräte reparierbar macht und analysiert, wie die Rohstoffe abgebaut werden. Wenn sich die Großen bewegen, dann macht das einen viel größeren Unterschied, als wenn wir es tun. Und ich hoffe, dass deren Herangehensweise bald über das Weglassen von Kabeln hinausgeht.

STANDARD: Stichwort Reparierbarkeit: Gewisse Marktteilnehmer lobbyieren gegen ein Recht aufs Reparieren. Was muss sich aus Ihrer Sicht auf politischer Ebene ändern?

Gouwens: Die superschnellen Produktlebenszyklen sind das, was in dieser Branche falsch läuft. Jedes Jahr werden weltweit 1,4 Milliarden Handys verkauft. In Europa werden sie durchschnittlich 26 Monate verwendet, danach werden weniger als 15 Prozent recyclet. Das ist eine gewaltige E-Müll-Maschinerie. Es geht darum, dieses System zu ändern, indem die Lebenszeit der Produkte verlängert wird. Unser Ziel ist, die besagten 26 Monate auf fünf Jahre zu verlängern. Das bedeutet aber auch, dass es möglich sein muss, einen Akku selbst auszuwechseln, denn der hält nicht fünf Jahre – in den meisten Geräten ist das aber nicht möglich oder zu teuer, weil es nur bei zertifizierten Händlern möglich ist. Die Geschäftsmodelle sind darauf ausgelegt, möglichst viele Geräte zu verkaufen.

STANDARD: Sehen Sie nun eine politische Bewegung?

Gouwens: Das Recht auf Reparatur bekommt mehr Aufmerksamkeit. Man sieht auch in anderen Bereichen – etwa Mode –, dass man sich zunehmend vom Konzept des Massenkonsums löst. Ich hoffe, dass das Momentum in Zukunft noch größer wird. (Stefan Mey, 17.10.2021)