Auf dieser Seite des Glasgefäßes ist das Wort "vivas" zu erkennen. Wofür die Schale genutzt wurde, ist noch nicht bekannt.
Foto: S. Steidl / RGZM

Als der römische Kaiser Augustus über jene keltischen Stämme triumphierte, die als Gallier bekannt sind, setzte er diesem Erfolg mit der Stadt Augustodunum ein Zeichen. In den Jahren 16 bis 13 vor unserer Zeitrechnung gegründet, weist der Name auch auf dieses historische Ereignis hin: Er setzt sich zusammen aus "Augustus" und dem keltischen Begriff "dun", der für "Festung", "Lager", "Burg" oder "Stadt" steht. Damals trug Augustodunum, das ein paar Jahrhunderte des Wohlstands genoss, den Sondertitel "Schwester und Rivalin von Rom" und wurde auch als "Rom Galliens" bezeichnet. Heute ist die Stadt Autun eine vergleichsweise beschauliche Unterbezirkshauptstadt in der französischen Region Bourgogne-Franche-Comté. (Augustodunum ist nicht zu verwechseln mit Augustodurum, das das spätere Bayeux in der Normandie bezeichnet.)

Das heißt aber nicht, dass die Stadt nicht für die eine oder andere Überraschung gut wäre. Eine archäologische, beispielsweise. Das demonstriert eine gläserne Schale, die im vergangenen Jahr in der Nähe entdeckt wurde, auf einem Friedhof mit 230 Gräbern. Genauer gesagt befand sie sich in einem Sarkophag, zu Füßen des Bestatteten – allerdings nicht vollständig, sondern als ein kleiner Haufen an Glassplittern.

Seltenes Luxusgut

Um dieses Puzzle zusammenzufügen, wandte man sich an Fachleute in Deutschland: Die Spezialistin Katja Broschat kümmerte sich am Römisch-Germanischen Zentralmuseum (RGZM) in Mainz um die Scherben und setzte sie im Laufe von fünf Monaten wieder zum edlen Gefäß zusammen.

Dabei handelt es sich um ein echtes Luxusgut der römischen Elite, ein sogenanntes Diatretglas. Es wird von einer Art filigranem Glasnetz umgeben und ist in der Fertigung entsprechend komplex. Gefunden wurden bisher etwa einhundert Diatretgläser, und das zwischen Portugal und Afghanistan. Ein im heutigen Kroatien entdecktes Gefäß aus dem vierten Jahrhundert ist im Kunsthistorischen Museum Wien ausgestellt – es war einst mit dem lateinischen Wort "faventibus" dekoriert (was in etwa "denen, die wohlgesinnt sind" bedeutet).

Auch das Gefäß aus Frankreich ziert wie viele Diatretgläser ein Spruch, und zwar "vivas feliciter", also "lebe glücklich". Obwohl der Kelch in Fragmenten gefunden wurde, konnte er fast vollständig zusammengesetzt werden – was bisher nur bei wenigen Diatretgläsern der Fall war. Ein Glas von vergleichbarer Qualität wurde zuletzt vor mehr als 45 Jahren in Montenegro entdeckt, sagt Christian Eckmann, Leiter des Kompetenzbereichs Restaurierung und Konservierung am Zentralmuseum in Mainz. Entsprechend enthusiastisch ist der Experte: "Dieses Gefäß ist wirklich eine kleine archäologische Sensation."

Reparierter Buchstabe

Die Rekonstruktion zeigte auch ein ungewöhnliches Detail: Das zarte Gefäß ist schon einmal in der Antike zu Schaden gekommen, wie der Buchstabe "c" verdeutlicht. An dieser Stelle wurde das Glas bereits repariert. Wahrscheinlich wurde dazu heißes Glas aufgeschmolzen und erneut in Form des Buchstabens geschliffen, nachdem es erkaltet ist. Lange hielt die Reparatur allerdings nicht, sagt Eckmann, denn "bereits vor der Beigabe des Diatretglases in das Grab ging der Buchstabe, vermutlich aufgrund thermischer Spannungen, erneut verloren".

Diese könnten bei der Nutzung des Glases entstanden sein. Der eindeutige Zweck ist bisher nicht bekannt, laut Eckmann gibt es aber Hinweise auf zwei Möglichkeiten: Es könnte als Trinkgefäß genutzt worden sein, oder aber als Lampe. Dekoriert wurde das Gefäß mit rund 15 Zentimetern Durchmesser womöglich mit Weintrauben oder einem Fischernetz, auch hier ist die Lage nicht klar.

Bestattung in turbulenter Epoche

Das wertvolle Glas stammt aus der spätrömischen Zeit. Der Kontext des Grabes, in dem es gefunden wurde, verrät: Die Nekropole wurde ab dem dritten Jahrhundert genutzt, in diesen Zeitraum fällt also auch die Bestattung der Person, die das Gefäß als Beigabe erhalten hat. Weitere Beigaben wurden nicht gefunden. Damals hatte die Stadt Augustodunum bereits ihren antiken Zenit überschritten, wurde immer wieder belagert und verwüstet.

Welche weiteren Geheimnisse lassen sich der Nekropole noch entlocken, die womöglich in Zusammenhang mit dem außergewöhnlichen Gefäß stehen? Diese Frage geht – gemeinsam mit dem Kelch – zurück an das Forschungsteam in Frankreich. Das Glas mit dem heiteren Spruch soll außerdem ausgestellt werden, sagt Carole Fossurier vom Institut National de Recherches Archéologiques Préventives (Inrap): "Im Sommer nächsten Jahres werden wir es in einer Ausstellung in Autun erstmals der Öffentlichkeit präsentieren." (sic, 11.10.2021)