Daniela Kraus, Generalsekretärin des Presseclub Concordia, fordert transparente Kriterien für Regierungswerbung und eine Reform der Presseförderung.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Inseratenkorruption ist ein Wort, das immer wieder im Zusammenhang mit Wolfgang Fellner und seiner Mediengruppe Österreich fällt: Waren Sie überrascht, als der mutmaßliche Inseratendeal mit dem Finanzministerium publik wurde?

Kraus: Das grundsätzliche Problem mit der intransparenten Inseratenvergabe ist ja längst kein Geheimnis und wurde von der Concordia und vielen anderen immer wieder thematisiert. Auch die keiner demokratiepolitischen Logik folgende Bevorzugung des Boulevards ist bekannt und wurde von Medienhaus Wien zuletzt in einer Studie in vielen Facetten sichtbar gemacht. Über die eigenwilligen und unethischen Praktiken im Hause Fellner hört und liest man seit vielen Jahren. Jetzt stehen Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit im Raum. Ganz unabhängig von Verurteilungen oder Freisprüchen: Die Unverfrorenheit, die in den Chats sichtbar wird, ja, die hat mich doch überrascht. So bitter das ist, es ist auch gut, dass die Zustände nun schwarz auf weiß dokumentiert und für jede und jeden nachvollziehbar sind. Was auf der Seite der politischen Akteure schon bemerkenswert und schockierend ist: Die Unkenntnis und das Unverständnis für die Notwendigkeit von unabhängigem Journalismus. Sehr erhellend war ja in der Folge die Aussage von Sebastian Kurz im "ZiB 2"-Interview: "Ich hoffe sehr, dass es eine Gegenleistung gab. Nämlich Berichterstattung und ein Inserat. Das ist nämlich der Preis, den man bezahlt." Nein, so ist das nicht. Die Gegenleistung für den Kauf eines Inserats ist das Inserat. Punkt.

STANDARD: Welche Rolle spielt dabei die österreichische Medienpolitik bzw. die Regierungswerbung, die sich nicht zwingend an Transparenzkriterien orientiert? Begünstigt so ein Biotop solches Vorgehen?

Kraus: Die Regierungswerbung in der jetzigen Form ist ein Systemfehler. Im schlechtesten Fall regt das System zur Korruption an, in jedem Fall ist es wettbewerbsverzerrend und intransparent. Es geht im Übrigen nicht nur um Regierungswerbung, sondern insgesamt um die Werbung öffentlicher Stellen – also auch Gemeinden und Unternehmen, die der Rechnungshofkontrolle unterliegen. Geschätzte 300 Millionen Euro waren das 2020.

STANDARD: Sie wettern gegen die "intransparente, qualitätsfeindliche und korruptionsanfällige Praxis" bei der Vergabe von Regierungsinseraten: Wo sehen Sie die Probleme?

Kraus: Wie viel Platz habe ich, um die ganze Problematik darzulegen? Um es verkürzt zu sagen: Es ist völlig unklar, welche Kommunikationsziele öffentliche Stellen mit diesen Werbeschaltungen verfolgen – und warum sie dazu Inserate und nicht andere Formen der öffentlichen Kommunikation und idealiter des öffentlichen Diskurses nutzen. Es ist völlig intransparent, welche Medien warum wie viel erhalten, also nach welchen Parametern und Schaltplänen hier Budget eingesetzt wird. Es fehlt völlig an Qualitätskriterien, so ist es etwa gleichgültig, dass gerade "Österreich" am alleröftesten vom Presserat wegen ethischer Verstöße verurteilt wird. Das führt dazu, dass der Boulevard im Verhältnis zur Reichweite überproportional viel Geld erhält, das hat der STANDARD an anderer Stelle ausführlich berichtet – etwa 2,43 Euro pro Leser beim STANDARD, aber 8,22 pro Leser beim Gratismedium "Österreich". Hinzu kommt, dass die "Medientransparenzdatenbank" auch für Expertinnen und Experten kaum durchschaubar ist. Dieses Fehlen von Richtlinien und Kontrollmaßnahmen macht das System natürlich korruptionsanfällig. Und zuletzt kommt noch dazu, dass von beiden Seiten – leider oft auch von den Medienunternehmen – die öffentlichen Inserate als "Medienförderung" missverstanden werden.

STANDARD: Wie könnte die Vergabe von Regierungsinseraten aussehen? Welchen Kriterien soll sie folgen?

Kraus: Erstens einmal gehört das Ausmaß gekürzt und die Mittel stattdessen für eine durchdachte, transparente und demokratiepolitisch sinnvolle Journalismusförderung eingesetzt. Zweitens muss es klare Richtlinien geben, die von einem Gremium des Nationalrats erstellt werden, damit alle Parteien in die Definition eingebunden sind. Und wir brauchen ein neues Medientransparenzgesetz mit regelmäßigen Berichten, die jede und jeder verstehen kann.

STANDARD: Das Bundeskanzleramt hat angegeben, die Inserate nach einer Formel zu vergeben, die sich an der Mediaanalyse und der Auflage orientiert. Was halten Sie davon?

Kraus: Diese "Formel" ist nicht exakt nachvollziehbar, jedenfalls deutlich wird aber, dass gedrucktes Papier gegenüber digitaler Verbreitung bevorzugt wird. Das ist nicht nur unzeitgemäß, es begünstigt auch Gratiszeitungen.

STANDARD: Generell fällt auf, dass öffentliche Gelder wie Inserate oder Förderungen bei Medien beträchtliche Teile des Umsatzes ausmachen, was wiederum die Abhängigkeit von der Politik erhöht. Wie kommt man aus dieser Spirale raus?

Kraus: Das ist die schwierigste Frage. Ohne öffentliche Gelder kann die Finanzierung von Journalismus derzeit wegen der ökonomischen Rahmenbedingungen nur schwer funktionieren. Wir sehen aber gleichzeitig auch, dass im jetzigen System am allermeisten jene Medien profitieren, die sich am wenigsten um den demokratischen Diskurs, die Kernaufgabe von Journalismus, scheren. Daher ist es also ganz zentral, dass öffentliche Gelder nicht als Inserate, sondern als transparente Förderungen mit ganz klaren Kriterien, nämlich Qualität, journalistische Ethik, Unabhängigkeit, Innovation usw., vergeben werden. Die Förderung von Innovation bedeutet dann eben gerade auch Unterstützung bei der Entwicklung neuer journalistischer Zugänge, neuer Geschäftsmodelle und technischer Lösungen, durch die Medien innovative Erlösmodelle erschließen können – und nicht Förderung als Lebensverlängerung für gescheiterte Geschäftsmodelle.

STANDARD: Welche Rolle spielt dabei die Presseförderung, die ja viel geringer dotiert ist als die Ausgaben für Regierungsinserate?

Kraus: Eine geringe: Sie beträgt ja nicht einmal neun Millionen Euro im Jahr, ist im Vergleich zu den 300 Millionen Inserate also derzeit vernachlässigbar.

STANDARD: Welche Parameter sollten für die Presseförderung herangezogen werden? Mitgliedschaft beim Presserat etwa?

Kraus: Auf jeden Fall. Vom Grundprinzip treten wir in der Concordia für eine konvergente Journalismusförderung ein. Das bedeutet, dass im Zentrum die Unterstützung von qualitätsvollem und demokratiepolitisch relevantem Journalismus steht, egal auf welcher Plattform. Dafür gibt es dann unterschiedliche Parameter, die transparent nachvollziehbar sein müssen, etwa die Anzahl der Journalistinnen und Journalisten, die Qualitätssicherungsprozesse in Redaktionen, das Fehlermanagement, Forschung und Entwicklung, Weiterbildung und natürlich die nachweisbare Sorgfalt und Einhaltung professioneller ethischer Grundregeln – dazu gehört die Mitgliedschaft im Presserat, aber auch ethische Richtlinien wie Redaktionsstatuen, Ethikkodizes etc. Ebenfalls wichtiger Parameter ist die Diversität in Redaktionen. Auch Innovationsanreize und Anreize für einzelne Felder der Berichterstattung – etwa Wissenschaftsjournalismus oder Korrespondenten – sind sinnvoll. Im Übrigen muss diese Förderung und ihre Auswirkung dann natürlich auch regelmäßig evaluiert werden, Berichte öffentlich zugänglich sein.

STANDARD: Hat sich die 2012 implementierte Medientransparenzdatenbank überholt?

Kraus: Es ist extrem wichtig, dass es sie gibt. Aber sie gehört dringend reformiert, muss zum Beispiel für Recherchen, etwa von Datenjournalisten, sauber aufbereitet sein, idealiter von einem jährlichen Bericht, der Experten und Laien gleichermaßen verständlich ist, begleitet werden. Oberstes Ziel muss die Transparenz der Transparenzdaten sein. (Oliver Mark, 11.10.2021)