Sie hat gerötete, trockene Augen von der Arbeit am Bildschirm. Stressbedingt ist ihre blasse Haut gereizt, und vom stundenlangen Sitzen vor dem Computer hat sie einen krummen Rücken. Ihre Beine sind geschwollen, Krampfadern treten hervor. Und weil sie sich zu wenig bewegt, hat sie ein paar Fettpölsterchen am Bauch zugelegt.

Sie, das ist Emma, die Arbeitskollegin der Zukunft. Zumindest wenn es nach dem Szenario eines Teams rund um den Zukunftsforscher William Higham geht. Emma ist das plastische Ergebnis ihrer Studie "The Work Colleague of the Future" von 2019, die vom Büroausstatter Fellows beauftragt wurde. Die Wachspuppe soll die negativen gesundheitlichen Folgen der Büroarbeit darstellen, basierend auf den Angaben von 3000 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus Deutschland, Großbritannien und Frankreich.

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Emma, die Arbeitskollegin der Zukunft, soll zeigen, welche körperlichen Auswirkungen die Büroarbeit auf uns hat
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Wer in den vergangenen Pandemiemonaten viel Zeit im Homeoffice verbracht hat, erkennt vielleicht an sich selbst Gemeinsamkeiten mit Emma. Immerhin klagen rund zwei Drittel der Arbeitenden über gesundheitliche Probleme im Homeoffice. Das ergab im Vorjahr eine Befragung des Büromöbelherstellers Aeris unter 2000 Heimarbeitenden in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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Neue Führung
Der hybride Arbeitsalltag und die daraus resultierenden Belastungen benötigen neue Führung mit Fingerspitzengefühl. Führungskräfte dürfen die Sichtbaren im Büro nicht bevorzugen und die Unsichtbaren im Homeoffice nicht vergessen. Chefinnen und Chefs sollten auch gut zuhören, was den Beschäftigten fehlt, damit sie überall gut arbeiten können. Und Empathie zeigen, um Überlastungssignale wahrzunehmen.
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Zeichnet sich für die hybride Zukunft also ein noch drastischeres Bild ab, als die Forscher damals für das Büro herausarbeiteten? Klar ist jedenfalls, die Gesundheitsfallen im Office sind genauso Fallen im Homeoffice und im Hybridoffice. Und es kommen neue dazu: wenn wir am Küchentisch ohne ergonomischen Bürosessel arbeiten und den Laptop nicht auf Augenhöhe haben. Wenn wir uns kaum mehr bewegen, weil der Arbeitsweg wegfällt, oder wir nicht mehr von einem Meeting durch die Gänge zum nächsten hasten, sondern einfach in den Videocall einsteigen. Wenn wir von den virtuellen Meetings müde sind und wir abends auf dem Sofa Mails beantworten.

Schädliches Sitzen

Das mit Abstand Schädlichste, heißt es in Highams Forschungsbericht, sei das lange Stillsitzen. Viele Wissenschafter und Medizinerinnen bezeichnen gar das Sitzen als das neue Rauchen. Der durchschnittliche deutsche Büroarbeitende verbringt laut Highams Studie über 80 Prozent des Arbeitstags am Schreibtisch. In Österreich sitzen die Menschen im Schnitt 5,3 Stunden pro Tag, ergab eine Auswertung heimischer Forscher der Uni Graz und Med-Uni Wien im Februar.

Beim langen Sitzen verspannen die Muskeln im Nacken und in den Schultern, die Wirbelsäule trägt deutlich mehr Last als im Stehen. Auch weil wir oft vor dem Bildschirm eine krumme Haltung einnehmen. Das kann zu Schmerzen im Rücken führen. Weitere mögliche Folgen: Muskel-Skelett-Beschwerden, Durchblutungsstörungen, erhöhter Blutdruck, Herzkrankheiten, Diabetes oder Gewichtszunahme. Laut der Aeris-Untersuchung leiden Heimarbeitende am häufigsten unter Rückenschmerzen – in der Arbeitsmedizin ist das Volksleiden "Rücken" bekannt als einer der häufigsten Gründe für Krankschreibungen –, laut Aeris-Umfrage dicht gefolgt von Muskelschmerzen im Nacken- oder Schulterbereich und Kopfschmerzen.

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Beim langen Sitzen verspannen die Muskeln im Nacken und in den Schultern, die Wirbelsäule trägt deutlich mehr Last als im Stehen. Viele Beschäftigte im Homeoffice klagen über Rückenschmerzen
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Letztere werden oft auch als "Tech-Neck" bezeichnet. Dieser entsteht, wenn man lange mit geneigtem Kopf auf den Laptop schaut oder den Kopf wie eine Schildkröte nach vorn streckt, um auf dem kleinen Schirm ausreichend zu sehen. Diese unnatürliche Haltung kann schmerzen. Unser Kopf wiegt zwischen vier und fünf Kilo. Neigen wir ihn um 30 Grad, ist die Belastung der Halswirbelsäule deutlich höher: Der Druck steigt auf 20 Kilo.

Viereckige Augen

Das ständige Auf-den-Bildschirm-Starren belastet auch die Augen. Beim konzentrierten Blick auf den Screen vergessen wir oft zu blinzeln – die Augen trocknen aus, jucken, röten sich. Während man im Büro mal zwischendurch mit der Arbeitskollegin tratscht, gibt es diese Abwechslung für die Augen im Homeoffice kaum. Laut Expertinnen und Experten klagen Menschen ab einer zweistündigen Bildschirmarbeit über brennende und trockene Augen. Weitere Folgen sind Druckgefühl und Kopfschmerzen. Auch Ermüdung und Lichtempfindlichkeit können vorkommen oder vorübergehend verschwommene Sicht. Letztlich kann das auch Einfluss auf die Arbeitsleistung haben.

Hinzu kommt, dass wir auch nach der Arbeit mehr Zeit vor Smartphone, Laptop und Fernseher verbringen, als unseren Augen lieb ist. Die naheliegende Empfehlung von Expertinnen und Experten: Die Augen benötigen Pausen. Arbeitsrechtlich sind diese in Österreich auch vorgeschrieben. Alle 50 Minuten sollten wir uns nach ununterbrochener Arbeit am Bildschirm für zehn Minuten davon abwenden. Wichtig ist auch, zwischendurch den Blick vom Schirm in die Ferne zu richten.

Fürsorgepflicht
In der Pandemie ist Gesundheit ein wichtiges Gut geworden. Auch die Firmen sorgen am Arbeitsplatz dafür. Das sollten aber nicht nur Hygienekonzepte und ergonomische Sessel sein, sondern etwa auch Trainings zur Stressbewältigung. Und Führungskräfte sollten beim hybriden Arbeiten besonders auf das Wohl ihres Teams achten, indem sie erinnern und vorleben, Pausen vom Schirm zu machen oder abends abzuschalten.
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Eine weitere Ursache für die Belastung der Augen sehen Forschende im blauen Licht, das die Screens abgeben. Studien zeigen, dass das Blaulicht schlecht für unsere Augen ist. Umstritten ist laut Wissenschaft aber noch die gesundheitsfördernde Wirkung von Brillen mit Blaulichtfiltern – sie dürften jedenfalls zumindest die Augenmüdigkeit verringern.

Meeting-Müdigkeit

Müde machen auch virtuelle Meetings. Auch wenn viele Beschäftigte in der Pandemie ihre Vorzüge erkannt haben, haben sie ebenso zu einem neuen Belastungssyndrom geführt: zur sogenannten Zoom-Fatigue, benannt nach dem gleichnamigen Videocall-Anbieter. Diese beschreibt die Erschöpfung und Müdigkeit durch Videokonferenzen. Sogar Zoom-CEO Eric Yuan sagte, dass er darunter leide.

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Müde von den vielen Videokonferenzen? Frauen dürften laut Untersuchungen davon häufiger betroffen sein als Männer
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Wer an einem Tag von einem Videotermin zum nächsten springt, kann sich danach schlechter konzentrieren, ist ungeduldig oder genervt. Das sind die am häufigsten genannten Belastungen, die Arbeitende in einer Mehrfachbefragung des Instituts für Beschäftigung und Employability der Hochschule für Wirtschaft und Gesellschaft Ludwigshafen nannten. Aber auch Kopf- und Rückenschmerzen, erhöhte Reizbarkeit oder Sehstörungen wurden von einem Drittel der Befragten angegeben. Insgesamt sagen rund 62 Prozent der Arbeitenden, Zoom-Fatigue zu verspüren, fast zwölf Prozent davon permanent.

Dabei ist aber nicht die Anzahl der Videokonferenzen an einem Tag ausschlaggebend, sondern vielmehr, ob die Kamera an oder aus ist, ob man sich selbst in der Kachel sieht oder nicht. Das ergab eine Studie von Psychologen der University of Georgia, die im September im Fachblatt Journal of Applied Psychology erschienen ist.

Die Untersuchung bestätigte zudem, was Forschende an der Stanford University rund um den Kommunikationswissenschafter Jeffrey Hancock bereits im April berichteten: Videokonferenzen sind viel anstrengender als persönliche Treffen. Und: Frauen sind durch Zoom-, Skype- und Microsoft-Teams-Calls stärker gestresst als Männer. Eine von sieben Frauen, aber nur einer von zwanzig Männern gab bei der Befragung an, sich nach Videokonferenzen "sehr" bis "extrem" geschlaucht zu fühlen. Und egal welchen Geschlechts: Jüngere Personen fühlten sich schneller müde als ältere.

Dieser Text ist am 21. Oktober 2021 im Der Standard Karriere Magazin erschienen.
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Den Grund sehen die Forschenden in einem Phänomen, das in der Sozialpsychologie als "selbstbezogene Aufmerksamkeit" bezeichnet wird. Wir werden in den virtuellen Meetings nicht nur ständig beobachtet, sondern sehen uns zusätzlich dauernd selbst, was zu einer multiplen Selbstspiegelung führt. Wir beobachten, ob wir optisch und verbal einen guten oder schlechten Eindruck machen. Achten darauf, dass die Kinder nicht durchs Bild rennen. Solche Gedankenschleifen können Stress auslösen. Vor allem Frauen sorgen sich mehr um ihr Image als Männer, wissen Forschende. Sie nennen das "Spiegelangst".

Daraus zu schließen, dass Frauen auch im Homeoffice immer geschminkt und gestylt erscheinen, ist aber zu kurz gegriffen. Etliche von ihnen berichteten – genauso wie die männlichen Kollegen –, wie befreiend es sei, beim Arbeiten zu Hause einen legereren Dresscode zu haben oder die Haare mal länger nicht zu waschen.

Entgrenzung und Einsamkeit

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Teamspirit
Der soziale Zusammenhalt kann wichtig für die Gesundheit der Mitarbeitenden sein. Und sich als Teil eines Teams zu fühlen kann motivieren. Doch beim hybriden Arbeiten wird das manchmal zur Herausforderung. Auch, weil etwa die Kollegin nun mehr zu Hause arbeitet und nicht mehr so oft in die Mensa mitkommt. Wichtig ist deshalb, auch virtuelle Räume für Austausch zu schaffen, etwa zu Beginn eines Meetings.
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Auch die Psyche leidet beim virtuellen Arbeiten. Laut der zitierten Aeris-Umfrage belasten die Befragten Stress und Unruhe. Bei zwölf Prozent führe die Arbeit zu Hause sogar zu Abgeschlagenheit oder Depression. Das kann auch an der Entgrenzung der Arbeit liegen: Wenn es sich anfühlt, als würde man nicht zu Hause arbeite, sondern im Büro leben. Für mehr als jeden zweiten Arbeitnehmer verteilen sich die beruflichen Aufgaben "von früh bis spät" über den ganzen Tag, ergab eine repräsentative Umfrage des Instituts für Soziologie der Uni Wien. Ebenso klagen besonders junge Beschäftigte über Einsamkeit im Homeoffice. Für sie ist das Büro viel eher ein sozialer Ort, wo sie auch Freunde haben, als etwa für ältere Kollegen mit Familie.

Wie Emma im durchgehenden pandemiebedingten Homeoffice oder im künftigen Hybridoffice aussehen würde, haben Higham und seine Kollegen nicht untersucht. Vermutlich ginge es ihr ähnlich, vielleicht sogar noch schlechter. Klar ist jedenfalls: Die virtuelle Last ist nicht nur auf das Remote Arbeiten beschränkt. Auch wenn in der neuen Arbeitswelt Teams künftig hybrid arbeiten, wird sie uns begleiten. Um nur ein Beispiel zu nennen: Wir werden auch im Büro mehr Meetings haben, wo parallel die Kollegen im Homeoffice zugeschaltet sind. Die Bildschirmzeit – samt ihren negativen Folgen – wird sich also nicht reduzieren. (Selina Thaler, 23.12.2021)