SPÖ-Kontrahenten Rendi-Wagner, Doskozil: Nicht nur Kugelschreiber, auch die Hackln fliegen manchmal tief.

Foto: Matthias Cremer

Die ÖVP ist in eine tiefe Krise gerutscht. Doch die SPÖ wäre nicht sie selbst, würde sie daraus nicht einen eigenen Konflikt schöpfen. Schon ist die größte Oppositionspartei wieder Zielscheibe der Spötter. Die satirische "Tagespresse" titelte prompt: "Nach ÖVP-Skandal: SPÖ verliert in Sonntagsfrage nur fünf Prozent."

Die Debatte angezettelt hat – auch das ist keine Überraschung – Hans Peter Doskozil. Via "Presse" beschwerte sich Burgenlands Landeshauptmann und SPÖ-Chef über den Kurs der Genossen in der türkis-grünen Regierungskrise. Indem sie eine Koalition mit der FPÖ Herbert Kickls ins Auge fasste, habe die Bundespartei ein "massives Glaubwürdigkeitsproblem" aufgerissen, befand Doskozil: "Geschickt war das nicht."

Wer in die roten Reihen hineinhört, nimmt noch eine zweite Dimension der Kritik wahr. Auch dass sich Parteichefin Pamela Rendi-Wagner als neue Kanzlerin ins Spiel brachte, sei falsch gewesen, monieren manche. In einer derartigen Situation sei staatspolitische Noblesse angebracht: Da dürfe man keine persönlichen Machtgelüste aufblitzen lassen.

Hoffen auf den Kanzlerinnenbonus

Doch welche Möglichkeiten hatte Rendi-Wagner zur Auswahl? Da die Sozialdemokraten die Beseitigung des "Systems Kurz" zum Ziel erklärten, mussten sie eine Alternative anbieten. Die Wunschkoalition mit den Grünen und den Neos hat aber keine Mehrheit im Parlament. Bleibt noch eine Expertenregierung, die sich von Fall zu Fall im freien Spiel der Kräfte den Rückhalt sucht – oder eine Koalition, bei der zwangsläufig in irgendeiner Form auch die bislang geächtete FPÖ an Bord sein muss.

Rendi-Wagner wählte letztere Variante – allerdings nicht auf eigene Faust. Es sei einhellige Meinung des Parteipräsidiums am Donnerstag gewesen, für den Fall des Falles einen zeitlich begrenzten Pakt mit FPÖ, Grünen und Neos anzustreben, erzählt ein Eingeweihter. Das Kalkül: Der Kanzlerinnenbonus könne der SPÖ den entscheidenden Schub geben, um bei der nächsten Wahl dann auch Platz eins zu erringen.

Der Meinung Doskozils habe sich niemand angeschlossen, heißt es von mehreren Seiten aus dem Präsidium. Das gelte auch für den vom Burgenländer propagierten Ausweg, als "selbstbewusste Partei" Neuwahlen anzupeilen. Erstens fehle es der SPÖ schlicht am Geld für einen Wahlkampf, so ein Einwand. Zweitens sei bei einem baldigen Urnengang auch kein derart großer Umsturz der Mehrheitsverhältnisse zu erwarten, um wirklich etwas zu ändern.

Unaufdringlicher Auftritt Rendi-Wagners

Wer Rendi-Wagners Auftritt am Freitagabend in der "ZiB 2" des ORF gesehen hat, kann auch schwer behaupten, die SPÖ-Vorsitzende habe sich besonders aufdringlich um die Kanzlerschaft beworben. Erst auf Nachfrage erklärte sie im Interview: Wenn sie dadurch etwas zur Stabilität im Land beitragen könne, stehe sie als Regierungschefin zur Verfügung. Gleichzeitig sagte sie dazu, dass sich die Frage vermutlich gar nicht stellen werde, weil die ÖVP Kurz abziehen werde – eine treffsichere Prognose.

Wäre Rendi-Wagner der Kanzlerfrage ausgewichen, hätten ihr die Kritiker wohl fehlendes Selbstbewusstsein vorgeworfen, sagt ein Sozialdemokrat, der keineswegs zu den Anhängern der Obfrau gehört. Die Drohung mit einer alternativen Mehrheit abseits der ÖVP habe dazu beigetragen, dass die schwarzen Länderchefs Sebastian Kurz als Kanzler letztlich fallen gelassen haben, glauben Verteidiger der offiziellen Linie. Einer sagt: "Rendi-Wagner wird halt aus allem ein Strick gedreht."

Der stärkste Mann für die Spitze?

Zu verstehen ist das nur vor dem Hintergrund der endlosen Führungsdebatte in der SPÖ. Ein erklecklicher Teil der Funktionäre hat Rendi-Wagner samt ihrem Team als unprofessionell und überfordert abgeschrieben. Das lässt die parteiinternen Spekulationen über ihre Ablöse ständig neu aufflammen – schon viele Sozialdemokraten wurden als Nachfolger gehandelt. Derzeit steht der mächtigste Mann der Partei hoch im Kurs: Wiens Bürgermeister Michael Ludwig könnte selbst die Spitze übernehmen, wird gemunkelt. Aber nur dann, wenn die Nationalratswahl vor der Tür steht und eine realistische Aussicht aufs Kanzleramt besteht.

Ludwig selbst hat das bisher stets ausgeschlossen, und das dürfe man ihm getrost glauben, sagt ein Wiener Sozialdemokrat, der die aktuelle Nabelschau schlicht "verrückt" findet. Bei den Grünen finde niemand etwas dabei, in der Situation mit der FPÖ anzubandeln. Nur in der SPÖ schafften es manche, daraus ein Problem zu machen.

Ob sich da jemand angesprochen fühlt? "Es ist eine Krise der ÖVP. Da halte ich nichts davon, das Thema Richtung Sozialdemokratie zu leiten", sagte Hans Peter Doskozil am Montag. "Es mag sein, dass die Entscheidung im Präsidium nicht die war, die ich wollte. Aber auch dort muss man Mehrheitsentscheidungen akzeptieren." (Gerald John, Wolfgang Weisgram, 11.10.2021)