Foto: Matthias Horn

Ein verfallendes Anwesen hat sich unglücklich im Bühnenkasten des Burgtheaters verkeilt, seine Fenster in den fleckig grauen Wänden sind mit Brettern notdürftig verschlagen. Einige Stühle und zwei Klaviere harren in der Leere ihres Einsatzes, ebenso zwei Herren. Sie werden mit Beginn des Stücks an die Flügel wechseln und als Erben von Philipp Glass in die Tasten klopfen: klar, hart und kalt.

Da stellt sich erste Unruhe im Zuschauerraum ein. Aus den enervierenden, repetitiven Klängen formt sich allerdings bald ein Soundtrack. Dazu arbeiten sich der für die Komposition verantwortliche Josh Sneesby und Thomas Hojsa das Manual mit leichten Veränderungen von den hohen Tönen zu den tiefen durch, statt klirrend klingt es nach einigen Minuten auf dumpfe und schwermütige Art bedrohlich.

Rechtzeitig, wenn den Fingern die tiefen Tasten ausgehen, jault Autolärm auf: Der Gast ist da! Als sechsköpfiges Grüppchen wuselt er aus dem Bühnenboden herauf. Die Darsteller halten sich sachte aneinander fest, stützen sich ab, horchen, spähen, als wären sie eins.

Abendfüllendes Format

Auf dem Spielplan steht Der Untergang des Hauses Usher – an sich kein Stück, sondern eine Kurzgeschichte von Edgar Allan Poe. Es verdankt sich des beherzten Zugriffs von Regisseurin Barbara Frey, dass sie auf abendfüllendes Format angewachsen ist. Der offenbart sich erstens darin, dass Frey der titelgebenden vier weitere Gruselerzählungen aus Poes Feder untergejubelt hat, und zweitens in dem Umstand, dass der Text trotzdem zur Nebensache wird: Poes 200 Jahre alter, einst erregender Horror wirkt heute eher abgestanden wie aus Kindergeschichten.

Tatsächlich geboten wird (neben der fabelhaften Musik) zwei Stunden lang weniger ein Sprechstück, sondern ein exquisites Bild- und Klangereignis aus ätherischem Sprechen, Hauchen, Lispeln und Singen. Die famosen Sprechkünstler agieren auf einer Bühne, deren Düsternis (Uraufführung der Koproduktion mit der Ruhrtriennale war im Sommer in der Zeche Zweckel nahe Essen, deren Maschinenhalle Bühnenbildner Martin Zehetgruber für Wien hat nachbauen lassen) nur effektvolle Schlaglichter erhellen.

Ein ins Elektronische sich auswachsendes Fliegensurren zieht etwa alle Aufmerksamkeit in jener Szene der Haupthandlung auf sich, in welcher der schwermütige Herr des Hauses (Markus Scheumann) den kürzlichen Tod seiner geliebten Schwester (Annamária Lang) beklagt. Lang hat sich dafür einen Mantel mit einem massiven Buckel übergezogen (Kostüme: Esther Geremus), der sie nur im rechten Winkel über die Bühne schlurfen lässt.

Singender Frauenmörder

Solche Bilder erzeugen mehr Eindruck als die Passagen auf Englisch (Debbie Korley) und Ungarisch, die dem Gebot zur Mehrsprachigkeit von Burgtheaterdirektor Martin Kušej mit wenig Gewinn Folge leisten. Lustiger ist da das Sächseln im auf die Erzählung Berenice zurückgehenden Sprechduett von Katharina Lorenz und Jan Bülow. Michael Maertens wird indes mit Affenmaske zumindest zum liebestoll singenden Stalker, vielleicht sogar Frauenmörder. Nicht dem einzigen. Beide Nummern gelingen, außer gefährlich auch beklemmend schmissig.

Gruseldichter Poe muss man nach diesem Abend nicht wiederentdecken. Man darf ihm aber für den Vorwand zu diesen betörenden und einfallsreichen Szenen danken. (Michael Wurmitzer, 11.10.2021)