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Alexander Schallenberg am Weg zum großen Auftritt.

Foto: Reuters / Niesner

Alexander Schallenberg hätte zum Amtsantritt eine Chance gehabt. Er hätte gleich klarstellen können, dass er mehr kann, als Kurz' bester Mann im Kanzleramt zu sein. Er hätte zeigen können, dass er das Potenzial hat, sich vom "System Kurz" zu emanzipieren.

Nach all den Enthüllungen der vergangenen Tage, nach all den Ungeheuerlichkeiten, welche die Chats von Kurz und seinen Getreuen offenbarten, musste gegenüber allen, die ihm bis dato getreulich folgten, der Misstrauensgrundsatz gelten. Schallenberg hätte einen ersten Schritt tun können, um auch den diesbezüglichen Bitten des Bundespräsidenten zu entsprechen.

Alexander Schallenberg wurde als Bundeskanzler angelobt.
Foto: Heribert CORN

Stattdessen hat er bloß angekündigt, mit seinem Vorgänger "eng zusammenarbeiten" zu wollen. Und er hat gleich klargestellt, dass er meine, an den Vorwürfen und Verdachtsmomenten der Justiz sei nichts dran. Der alte Kanzler ist also unschuldig, sagt der Neue – und drückt damit eine ähnliche Ignoranz gegenüber den Ermittlungen der Justiz aus, wie es sein Vorgänger getan hat.

Nun muss, bei der Dynamik der Ereignisse der vergangenen Tage, morgen nicht mehr gelten, was heute noch türkises Mantra ist. Man beachte in diesem Zusammenhang das Tempo, mit dem sich einige schwarze Landeshauptleute bereits vom Ex-Kanzler distanzieren. Noch am Freitag haben alle Ministerinnen und Minister – auch Schallenberg – mit ihrer Blankounterschrift den juristisch und moralisch angeschlagenen Kurz unterstützt und versichert, sie würden nur mit ihm an der Spitze weiter in ihren Ministerämtern verbleiben. Einen Tag später sah die Welt anders aus: Kurz verließ das Kanzleramt, alle Minister blieben in ihren Ämtern, Schallenberg wurde Kanzler.

Unnachgiebige Härte

Es gäbe viel zu tun für den neuen Kanzler, wenn er das verlorene Vertrauen in die ÖVP als staatstragende Kanzlerpartei ernsthaft wiederherstellen will. Auch an persönlich geschlagenen Scharten gäbe es einiges auszuwetzen.

Man erinnert sich beispielsweise noch gut, mit welch rüden Worten der Weltbürger Schallenberg die unnachgiebige Härte der ÖVP gegenüber Kindern und Frauen im Flüchtlingslager Moria rechtfertigte. Oder wie er das Hissen der israelischen Flagge auf dem Dach des Bundeskanzleramts mitten im eskalierenden Nahostkonflikt rechtfertigte. Obwohl dieses "Zeichen der Solidarität mit Israel" nicht seine Idee gewesen war – sondern jene von Kurz, die, wie Kritiker monierten, eigentlich seinem Freund Benjamin Netanjahu galt.

Dennoch ist der bisherige Außenminister, hinter den Kulissen, immer ein Mann des Dialogs gewesen. Er kann mit (fast) allen, er ist stets verbindlich und freundlich, als Diplomat beherrscht er die Kunst des Ausgleichs.

Als solcher müsste er sofort mit Veränderungen beginnen. Beispielsweise müsste er alle Männer, die Kurz’ "Prätorianer" waren, sofort aus seinem Einflussbereich verbannen. Die bisherige Arbeitsteilung in der Corona-Krise, "Bad News verkünden die Grünen, Good News bringt nur Kurz", muss ein Ende haben.

Dass er Michael Linhart zum Außenminister ernannte – und nicht etwa den Ex-Pressesprecher der türkis-blauen Regierung, Peter Launsky-Tieffenthal –, spricht für Eigenständigkeit. Seine ersten Äußerungen besagen wiederum das Gegenteil.

Für einen länger dauernden, gedeihlichen Fortbestand der Regierung war dieser Anfang jedenfalls kein gutes Zeichen. (Petra Stuiber, 11.10.2021)