Vor 50 Jahren wurde die erste E-Mail versendet. Die letzte ist nicht in Sicht.

Foto: Georg Pichler

Die E-Mail, die vielen als Ablenkung und Zeitfresser gilt, ist passenderweise selbst ein Produkt der Prokrastination. Quasi nebenbei erfand der US-amerikanische Informatiker Ray Tomlinson Ende 1971 den elektronischen Brief, der später einmal die Welt erobern sollte. "Erzählt es keinem!", soll er damals seinen Kollegen gesagt haben. Denn eigentlich hätte das Team der Firma BBN das Arpanet, einen Vorläufer des heutigen Internets, weiterentwickeln sollen.

Dass sein Nebenprojekt zu seinem Lebenswerk werden würde, konnte Tomlinson damals noch nicht ahnen, als er in Cambridge, USA, die erste Nachricht von einem Computer zu einem anderen im selben Raum verschickte. Der genaue Inhalt der ersten E-Mail ist nicht bekannt – wohl auch, weil es keine pathetischen Worte waren, die sich eignen würden, um den Beginn der Geschichte des Kommunikationszeitalters zu erzählen. Es sei bloß eine zufällig eingetippte Buchstabenkombination gewesen, sagte der 2016 verstorbene Informatiker später.

@-Zeichen gerettet

Fakt ist hingegen, dass er mit tomlinson@bbntenexa auch die erste E-Mail-Adresse überhaupt schuf. Als Trenner zwischen Benutzer und Host benutze er das jahrhundertealte, aber kaum genutzte @-Zeichen, das er damit wohl vor dem Aussterben rettete.

Heute werden jeden Tag rund 320 Milliarden E-Mails versendet. Die E-Mail ist 50 Jahre nach ihrer Erfindung – für Internetmaßstäbe eine Ewigkeit – so quicklebendig wie noch nie. Aus den vollmundigen Ankündigungen, die altmodische E-Mail abzuschaffen, ist nichts geworden. Stattdessen setzen Unternehmen, Medien, aber auch Influencer wieder stärker auf Newsletter. Vielleicht gerade weil die Technologie so einfach zu durchschauen ist, ein Gegensatz zu den sozialen Netzwerken, die von undurchsichtigen Algorithmen gefiltert werden.

Mit Messengern wie Whatsapp, Signal, Slack oder sozialen Medien gibt es zwar dutzende Nachfolger – aber letztendlich keinen, der so universell und verbreitet ist wie die E-Mail. Dazu kommt, dass die Technologie im Gegensatz zu anderen Netzwerken vergleichsweise dezentral ist – jeder kann zu Hause kurzerhand einen E-Mail-Server aufsetzen, ohne dass IT-Giganten Nachrichten mitlesen oder gar abfangen können. Die E-Mail-Adresse ist so etwas wie der Postkasten, der kurzerhand aufgestellt ist und in dem von Stromrechnung bis Liebesbrief – und massenweise Werbung – alles landen kann.

Vielleicht liegt der Erfolg auch an dem speziellen Stil von E-Mails mit den vielen Abkürzungen, der irgendwo zwischen förmlichen Brieffloskeln und legerer Unterhaltung angesiedelt ist. Das wusste schon Queen Elizabeth II, die die erste von einem Staatsoberhaupt versendete Mail 1976 mit HME2 unterzeichnete. (Philip Pramer, 13.10.2021)