Während die Zulassung einer Corona-Schutzimpfung für Fünf- bis Zwölfjährige näherrückt, lassen immer mehr Eltern ihre Kinder schon jetzt impfen. Die große Mehrheit verhält sich bei Kinderimpfungen aber zögerlich.

Foto: imago/Fotostand/K.Schmitt

Der Schulstart ist nicht optimal verlaufen, gelinde gesagt. Zunächst waren da Probleme mit nicht abgeholten Corona-Tests oder verspäteten Testergebnissen. Darüber hinaus waren nach kurzer Zeit so viele Schulklassen in Quarantäne, dass die Regierung kurzerhand die Quarantäneregeln änderte und nun nur mehr Sitznachbarn von Infizierten in Quarantäne müssen. Laut dem Mikrobiologen Michael Wagner geschah die Änderung "wider besseres Wissen der Übertragung des Virus über Aerosole", sagte er zum STANDARD.

All das schlägt sich auch in den Zahlen nieder. Die Sieben-Tage-Inzidenz pro 100.000 Personen in der Altersgruppe der Fünf- bis Zwölfjährigen liegt seit Mitte September konstant über 250, zeitweise über 300. Damit ist es die Gruppe mit der höchsten Inzidenz von allen. Zum Vergleich: In der Gesamtgesellschaft erreichte die Inzidenz in dieser Zeit nicht einmal 200.

Vor diesem Hintergrund lassen immer mehr Eltern auch ihre unter zwölfjährigen Kinder off label impfen, also ohne auf die Empfehlung der Europäischen Arzneimittelagentur (EMA) oder des österreichischen Nationalen Impfgremiums (NIG) zu warten – und zwar auch, wenn der Nachwuchs keine Vorerkrankungen aufweist. Seit Anfang September, als DER STANDARD zum ersten Mal über das Phänomen berichtete, stieg die Zahl der bereits geimpften Kinder unter zwölf Jahren von etwa 500 auf 1.900 an, jene der Vollimmunisierten von 103 auf 450.

Gegen Kinderimpfen

Insgesamt ist die Kinderimpfbereitschaft in Österreich bei Corona allerdings niedrig. Laut dem Austrian Corona Panel Project des Vienna Center für Electoral Research der Universität Wien sagten Ende Juni 2021 nur 21 Prozent der repräsentativ Befragten, die mit Kindern in einem Haushalt leben, dass sie diese so rasch wie möglich immunisieren lassen wollen. 55 Prozent konnten diesem Gedanken nichts abgewinnen.

Was aber motiviert einen Vater, der seiner gesunden elfjährigen Tochter schon zwei Stiche gegen Corona verabreichen ließ? "Ich wollte ihr das Risiko einer Long-Covid-Erkrankung ersparen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit bei eins zu tausend liegt", sagt Markus Macho.

Der Allgemeinmediziner, der selbst keinen Corona-Impfstoff zur Verfügung hat, nennt darüber hinaus epidemiologische Gründe. Laut den ihm bekannten Studien hätten Kinder "eine hundertprozentige Ansprech-Rate auf den Impfstoff", begründet er. Dass ein Kind keine Immunität gegen den Erreger entwickelt, komme also im Gegensatz zu Erwachsenen nicht vor, was die Weiterverbreitung des Virus in der Gesellschaft stark einbremsen könne.

Seine Tochter habe die Impfung ohne Impfreaktion oder -nebenwirkung überstanden, sagt Macho. Das Risiko von unter Zwölfjährigen für Nebenwirkungen, die über Reaktionen wie kurzfristiges Fieber und Abgeschlagenheit hinausgehen – also etwa die Auslösung einer Allergie –, bezeichnet er als weitaus geringer als jenes, durch die Infektion chronisch zu erkranken, sagt er.

Steigende Impfbereitschaft spürt auch der Wiener Kinderarzt Andreas Dóczy, der bereits seit einigen Monaten Kinder unter zwölf Jahren immunisiert. In Wien ist er einer von etwa zehn Ärztinnen und Ärzten, die die Off-Label-Verwendung praktizieren, manche nur bei kleinen Kindern mit Vorerkrankungen, manche bei allen.

Spätestens seitdem Dóczys Name an die Öffentlichkeit gedrungen ist, wird er mit Anfragen überhäuft. Hunderte Mails pro Woche, das permanente Läuten des Telefons, unzählige Anfragen per SMS und Whatsapp hätten "einfach den Rahmen gesprengt", erzählt er. Auch andere off label impfende Medizinerinnen und Mediziner haben Wartelisten bis in den November hinein.

Dóczy arbeitet mittlerweile auch am Samstag und stellte zwischenzeitlich sogar eine neue Mitarbeiterin ein, nur um die Anfragen zu sortieren. Dóczy reiht Hochrisikokinder bei den Impfungen vor und hat mittlerweile bei so vielen Kindern Zweitimpfungen verabreicht, dass er schon fast nicht mehr zu Erststichen kommt. Über 300 Kinder hat er bereits geimpft. Der Rest der Praxis sollte dabei selbstverständlich auch noch weiterlaufen.

Viele besorgte Eltern

Der Pädiater steht trotzdem weiterhin zu seiner Entscheidung, öffentlich über das Thema gesprochen zu haben. "Ich bereue es keinesfalls, aber ich muss zugeben, dass ich nicht nur diesen enormen Ansturm, sondern auch die damit verbundene riesige Arbeitsbelastung für mich, meine Familie und mein Team unterschätzt habe", sagt Dóczy, zu dem laut eigenen Angaben auch bereits Eltern aus Deutschland und Monaco gekommen sind. "Es zeigt, wie sehr die Eltern besorgt sind und dass wir viele Kinder haben, die in die Risikogruppe fallen oder deren Familienmitglieder in diese Gruppe fallen", erklärt der Arzt sein Engagement trotz des Ansturms.

Gleichzeitig wünscht er sich aber kein vorschnelles Okay vom heimischen Impfgremium oder der EMA. "Ich erwarte mir vom Impfgremium nicht, dass sie ‚Hurra!‘ schreien, weil sie das nicht können und auch nicht dürfen – das ist mir vollkommen klar." Er hofft aber, dass wenn die Zulassung der EMA für die unter Zwölfjährigen da ist, seine Kolleginnen und Kollegen schnell bereit sind zu impfen. Gerade bei Kindern sei es wichtig, dass sie vom Arzt ihres Vertrauens geimpft werden.

Bei der EMA konnte eine Sprecherin keinen Zeitrahmen nennen, innerhalb dessen ein Antrag der bei den Studien für die Corona-Impfung unter Zwölfjähriger führenden Pharmakonzerne Pfizer/Biontech – und in weiterer Folge eine Empfehlung – zu erwarten sei. In den USA wurde ein solcher Antrag bereits gestellt, für die EU ging man bisher davon aus, dass es im heurigen Oktober so weit sein werde. (Irene Brickner, Levin Wotke, 12.10.2021)