Bonaparte dokumentierte seine Verachtung für jene, die seinetwegen ins Gras bissen, in fäkaler Sprache: Garderobe des Kaisers Napoleon in Schloss Fontainebleau.

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Ausruf eines notorischen Vielfraßes auf dem unaufhaltsamen Weg an die Macht: das erste, ins Deutsche übertragene Auftrittswort von Alfred Jarrys Titelheld Père Ubu (im französischen Original: "merdre").
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Die Erkenntnisse der Justiz behörde haben nicht nur einen amtierenden Bundeskanzler veranlasst, mit Rücksicht auf die Würde seines Amtes einen Schritt beiseitezutreten. Die öffentlich gewordenen Chats haben vor allem eine schockierende Sprache offenbart. "Der dank der republik ist uns gewiss", wie es aus Anlass der Öbag-Debatten in den Zirkeln türkiser Macht schon lange vorher geheißen hatte. Und: "kriegst eh alles was du willst."

Die Ausdrucksarmut dieses Checker- und Macker-Jargons ist keine peinliche Schwäche, sondern sie ist programmatisch zu verstehen. Es handelt sich um ein Deutsch der Verabredung, des schmatzenden Behagens an der eigenen, für unentbehrlich gehaltenen Tüchtigkeit. Es scheint schlampig aufgesetzt und dabei um jede Nuance betrogen, jede Feinheit, außer derjenigen des Einverständnisses – auf Kosten Dritter.

Rohheit wird, sobald sie im Dienst von Umstürzen und angeblich erforderlichen "Reformschritten" steht, keineswegs als Manko begriffen. Sie wird, als Tool, das Tatsachen schafft, mit "vielsagenden" Kichergesichtern garniert. Spracharmut bildet seit jeher die Zierde derer, die mit der Schaffung vollendeter politischer Tatsachen – sei es mit der Herbeischaffung von Posten und Pfründen – ausreichend genug beschäftigt sind.

Das Regierungs-Rotwelsch ist insofern ein Stresssymptom. Es rechnet damit, dass alle anderen minderbemittelt sind und man selbst die kürzere Leitung gewählt hat. "Diese alten Deppen sind so unerträglich!" So Thomas Schmid über den damaligen Vizekanzler und Parteifreund Reinhold Mitterlehner, den er obendrein als "Linksdilettant" und, analytisch etwas weniger ausgereift, als "riesen oasch" charakterisierte.

Stunde des Klartexts

Übertroffen wird das Infantil-Deutsch in türkis kolorierten Ministerbüros allenfalls von seiner Vulgarität. In der Rollenprosa von Kanzler Kurz, Thomas Schmid und all den anderen folgte der Daseinsmodus jeweils dem Gehetztsein. Man kann und darf sich lange Einleitungen verabredungsgemäß sparen. Doch die Stunde, in der man Klartext redet, gehört seit jeher den Vertretern vermeintlich neuer Zeitrechnungen.

Es war die Französische Revolution von 1789 an aufwärts, die mit Napoleon und dessen Mitstreitern eine Flut von aufstiegswilligen Desperados an die Krippen der Macht gespült hatte. Der Korse selbst beliebte sich wiederholt fäkalisch zu äußern, um seine Geringschätzung von Menschenleben zu dokumentieren. Seinen Minister Talleyrand, einen gewieften Diplomaten, bezeichnete er kurzerhand als "Stück Scheiße im Strumpf".

Das Pimpen der politischen Verkehrssprache mit Ausdrücken aus der Gosse dient in der Geschichte der Moderne häufig genug als Aufbruchssignal. In Alfred Jarrys französischer Shakespeare-Travestie "Père Ubu" (1896) meldet sich der Titelheld, ein ebenso gefräßiger wie nutzloser Thronräuber, mit einem herzhaften "Schreiße!" (als Übersetzung der Verballhornung "merdre") putzmunter zu Wort.

Fortan sind es immer wieder Kraftwörter, mit deren Gebrauch in der politischen Arena Begehrlichkeiten signalisiert werden. Dokumentiert wird jugendliche Aufbruchsgesinnung, gepaart ist sie mit unbändiger Energie. Zugleich markiert der anstößige Ausdruck eine Art Abkürzung: Es soll nicht länger abgelenkt werden vom "Wesentlichen".

Mit der Lockerung des Sprachkorsetts wird der Klartext, verstanden als das Substrat der eigenen Wünsche, zum Ideal. Er steht ein für eine vermeintlich herrschaftsfreie Kommunikation unter Kumpanen, tolle Kerle allesamt. Die einander verbal zugetan sind wie Brecht-Schurken aus der "Dreigroschenoper", wie Mackie Messer und Tiger Brown. Und einander mit infantilen Zärtlichkeiten bedenken ("Ich liebe meinen Kanzler!").

Ethos des Dienstwegs

Im Falle der türkisen Chatgenossenschaft offenbart sich nicht nur ein Ethos des kürzesten Dienstwegs. Die giergetriebene Chatsprache von Kurz und Co nährt den Verdacht, dass ihresgleichen die Verfahrensweisen demokratischer Willensbildung für Zeitverschwendung halten, für Hindernisse auf dem Weg zur Macht. Politik "alten Stils" bliebe dann: Stoff für Deppen. (Ronald Pohl, 12.10.2021)