Das Amt des Bundeskanzlers habe er nie angestrebt, sagte Alexander Schallenberg bei der Angelobung. Seinen inhaltlichen Kurs, den er gemeinsam mit Sebastian Kurz fuhr, kann er in dieser Rolle fortsetzen.

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Jahrelang bewegte er sich nahe der Macht, plötzlich sieht er sich in deren Zentrum katapultiert: Alexander Schallenberg ist seit Montag Bundeskanzler – womit der Spitzendiplomat von seinem Vorgänger aus der zweiten in die erste Reihe gehievt wurde. Schallenberg ist ein erfahrener Diplomat, politisch groß gemacht hat ihn allerdings Sebastian Kurz. Für ihn werkte der 52-Jährige jahrelang im Hintergrund: Schallenberg prägte maßgeblich die Außen- und Europapolitik seines Vorgängers – als wichtigster außenpolitischen Berater, als Leiter der Europasektion wie auch der Stabsstelle Strategie und Planung im Kanzleramt. Seine Rolle war stets an der Seite von Kurz. Kaum eine Auslandsreise oder internationale Konferenz fand ohne "Schalli", wie ihn die Politik-Blase nennt, statt. Nach dem Ende der türkis-blauen Koalition infolge der Ibiza-Affäre brachte Kurz seinen loyalen Beamten schließlich als Europa- und Außenminister in Stellung.

Dem Spross einer Diplomatenfamilie aus dem Mühlviertel war das internationale Parkett vertraut. Dass er sich auf dessen Bühne durchaus wohlfühlte, war zuletzt schon als Außenminister augenscheinlich. Der mehrfache Familienvater, der sich als umgänglicher Geist und liberal gesinnter Bürgerlicher einen Ruf gemacht hatte, trat der ÖVP erst Anfang 2020 bei – fortan positionierte er sich unmissverständlich als türkiser Hardliner. Was seine bisherigen Positionen über seinen zukünftigen Kurs verraten:

  • EU: Wenig Zweifel gibt es, dass Schallenberg als Bundeskanzler die Außen- und Europapolitik, konkret die EU-Integration Österreichs, zu einem der Kernthemen seiner Politik machen und wohl auch ganz persönlich prägen wird. Anders als seine Vorgänger an der Regierungsspitze ist der studierte Jurist und gelernte Diplomat in dieser Materie nämlich "zu Hause" wie sonst kaum jemand. Das hat familiäre Hintergründe (sein Vater war Außenamtsgeneralsekretär unter ÖVP-Minister Alois Mock zu Zeiten des EU-Beitritts 1995), aber auch biografische: "Europa" hat fast sein gesamtes Berufsleben seit 25 Jahren dominiert. Schallenberg absolvierte das renommierte Europakolleg in Brügge. Bei der Regierungskonferenz zur Erarbeitung des EU-Verfassungsvertrages 2002 war er als Leiter der Rechtsabteilung der Ständigen Vertretung in Brüssel ganz vorne dabei, er kennt in den EU-Verträgen jeden Beistrich. Der Kanzler, der anders als Kurz neben Englisch exzellent Französisch spricht, wird es sich nicht nehmen lassen, der Europapolitik ganz seinen Stempel aufzudrücken, auch als sehr aktiver Regierungschef im Kreis des Europäischen Rates.

  • Migration: Schallenberg zeigte sich beim Thema Flucht und Migration ähnlich hart wie Sebastian Kurz. Er argumentiert, dass jegliche Verteilung von Flüchtlingen in Europa nur noch mehr Flüchtlingsströme nach sich ziehe. Im September 2020 unterstrich Schallenberg die Haltung Österreichs, keinen einzigen Menschen aus dem abgebrannten Elendslager Moria, Griechenland, aufzunehmen, im ORF-Fernsehen mit den Worten: "Wir müssen diese Debatte, glaube ich, deemotionalisieren, wir müssen sie rationalisieren. Und nicht bei jedem Fall, wenn ein Schiff an der Küste Europas auftaucht oder ein Zwischenfall in einem Lager ist oder eben so eine Notlage, gibt es sofort das Geschrei der Verteilung." Später bedauerte Schallenberg zwar seine Wortwahl, in der Sache bleibt er aber bei seiner Haltung, wie er dem Profil sagte: "Ich habe seit 2015 bei der Gestaltung der Migrationspolitik mitgearbeitet und bin in dieser Frage ein Überzeugungstäter." Gleichzeitig wähnt er sich als Kämpfer für Menschenrechte, führt etwa den Schutz der Minderheiten als politisches Ziel an. Während der Afghanistan-Krise nach dem Abzug der Amerikaner sprach sich Schallenberg gegen die Aufnahme von Flüchtlingen aus. Nach dem Fall der Hauptstadt Kabul machte er sich allerdings im Gegensatz zu Innenminister Karl Nehammer nicht mehr für Abschiebungen nach Afghanistan stark.

  • USA: Schallenberg rühmte sich für die klaren Haltungen, die Österreich in Sachen transatlantische Beziehungen habe. Seine Stellung zu den USA, genau wie jene zu Israel, bezeichnete er in einem Interview mit dem Falter als "akzentuierte, couragierte Positionen" und lobte Kurz als einen Regierungschef, der "international sichtbar ist und wahrgenommen wird". Genau das hätten frühere Regierungen vermissen lassen. Schallenberg kämpft gegen "diesen latenten Antiamerikanismus, den wir in der deutschsprachigen Welt haben". Es spiele dabei eine "enttäuschte Liebe" mit. Der Antiamerikanismus habe nicht erst in der Ära Donald Trump begonnen.

  • Nahost: In Sachen Nahostkonflikt sieht sich Schallenberg als "neutraler Vermittler zwischen Israel und Palästinensern". Österreichs Position beschrieb er, dass man wolle, dass zwei Völker nebeneinander in Frieden und Sicherheit existieren können. Keinen Widerspruch zu diesen Aussagen erkennt er im Hissen der israelischen Flagge auf dem Bundeskanzleramt im Mai 2021: "Es war ein ganz bewusstes Zeichen der Solidarität angesichts der über 3000 Raketen, die von einer Terrororganisation, nämlich Hamas, wahllos auf israelisches Gebiet losgelassen wurden", rechtfertigte er die Aktion im ORF-Radio. Dies sei "kein Zeichen der Desolidarisierung mit Palästina". Von wem die erste Idee dazu gekommen sei, "ich glaube vom Bundeskanzleramt", sei "sekundär".

  • Atom: Der Neokanzler trat in den vergangenen Monaten wiederholt als Bekämpfer von Atomwaffen auf. Sie würden "keine Sicherheit, sondern Tod und Leiden bringen", erklärte er unisono mit Sebastian Kurz. Ein vom Außenministerium veröffentlichtes Video, das auf die Gefahr von Nuklearwaffen hinweisen sollte, wurde aber stark kritisiert. Das Drohszenario, das zeigen sollte, was passiert, wenn Wien mit Atomwaffen angegriffen werde, schüre Angst, wetterte etwa Wiens Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ). (Anna Giulia Fink, Thomas Mayer, Rosa Winkler-Hermaden, 12.10.2021)