Mit dem Gerangel rund um Sebastian Kurz’ Rücktritt als Bundeskanzler standen in den vergangenen Tagen die personellen Konsequenzen aus der türkisen Chat-Affäre im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. Aber inhaltlich? Was kann Österreich als Republik aus dem Skandal lernen? Welche Lücken und notwendigen Reformen werden offensichtlich?

Zur Erinnerung, worum es geht: Dem engsten Kreis um Sebastian Kurz und auch dem nunmehrigen Ex-Kanzler selbst wird von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) vorgeworfen, Meinungsumfragen in der Boulevardzeitung Österreich platziert zu haben. Die Probleme dabei: Die Umfragen sollen teilweise manipuliert worden sein; sie sollen über Scheinrechnungen vom Finanzministerium bezahlt worden sein; und die Zeitung soll im Gegenzug für die Berichterstattung Inserate der öffentlichen Hand zugeschanzt bekommen haben. Alle Beteiligten bestreiten die Vorwürfe, es gilt die Unschuldsvermutung.

Es geht also um unsaubere oder gar kriminelle Amtsgeschäfte im Verborgenen und um das Verhältnis zwischen Politik und Medien. Vieles von dem, was sich nun an Reformen geradezu aufdrängt, wird schon seit Jahren diskutiert – oder ist sogar im türkis-grünen Regierungsprogramm vereinbart. Ob die aktuellen Ereignisse und die Aufarbeitung des Kurz-Skandals den Ideen neuen Aufwind geben, hängt stark davon ab, wie schnell die frisch umgebildete Bundesregierung wieder Tritt fasst.

Die grüne Justizministerin Alma Zadić und die türkise Verfassungsministerin Karoline Edtstadler verhandeln das Informationsfreiheitsgesetz schon sehr lange.
Foto: apa / roland schlager

Informationsfreiheit: Ende für das Amtsgeheimnis, Start für Transparenz

Niemand anderer als Sebastian Kurz selbst hat stets so vehement beteuert, dem Amtsgeheimnis ein Ende bereiten zu wollen: Noch als Chef der Jungen ÖVP gab der spätere Kanzler das Motto "Gläserner Staat statt gläserner Bürger" aus. Öffentliche Stellen sollten zur Information von Bürgerinnen und Bürgern verpflichtet werden. Das würde nicht nur individuelle Vorteile für die Anfragenden bringen, sondern auch eine neue Kultur der Offenheit im Staatsapparat forcieren, glauben Experten.

Und nicht zuletzt soll ein Informationsfreiheitsgesetz auch Korruption verhindern können: Wenn durch die einfache Anfrage plötzlich Unterlagen, Zahlen oder auch Kommunikation ans Licht der Öffentlichkeit gelangen können, steigt die Gefahr, bei krummen Geschäften erwischt zu werden. Ein konkretes Beispiel: Jene Studie, in deren Rechnung das Geld für die angeblich manipulierten Kurz-Umfragen versteckt sein soll, ist nach wie vor unter Verschluss. Mit einem guten Informationsfreiheitsgesetz könnte der Inhalt abgefragt und überprüft werden.

Der türkis-grüne Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz ist seit Monaten ausverhandelt, wurde aber noch nicht beschlossen.

Sebastian Kurz und seine Chatnachrichten beschäftigen die Republik – und sie werden das auch nach seinem Rücktritt tun.
Foto: imago / juen

SMS ins Staatsarchiv: Vernünftige Regeln für digitale Kommunikation

Schriftstücke der Regierung müssen aufbewahrt werden, so steht’s im Gesetz. Alle Regierungsmitglieder müssen bei ihrem Abschied aus dem Amt schriftliches Material, das "in Ausübung ihrer Funktion oder in deren Büros anfällt und nicht beim Nachfolger verbleiben soll", dem Staatsarchiv übergeben. Allein: Passiert das nicht, gibt es keine Konsequenzen. Wolfgang Maderthaner, der ehemalige Generaldirektor des Staatsarchivs, kritisierte das schon bei der "Schredderaffäre" im Jahr 2019 im STANDARD-Gespräch. Damals ließ ein Mitarbeiter von Kurz kurz vor dessen Abwahl im Parlament Druckerfestplatten unter falschem Namen vernichten.

Dazu kommt, dass es keine genauen Regeln für den Umgang mit digitaler Kommunikation gibt. Sind SMS nun Schriftgut, das archiviert werden muss? Die Meinungen dazu gehen auseinander. Einerseits ähneln solche Chats oft tatsächlich mehr einer persönlichen, auch informellen Unterhaltung. Andererseits zeigten die Nachrichten von Kurz und seinen Vertrauten auch, dass auf diesem Kanal Hochpolitisches und Amtsgeschäfte besprochen, beschlossen und verhandelt wurden. Eine gesetzliche Klarstellung scheint also überfällig.

Inseratenvergabe: Klare und transparente Kriterien für staatliche Werbung

"Ethisch und demokratiepolitisch ein Wahnsinn": So beschreibt Medienforscher Andy Kaltenbrunner die Vorwürfe rund um den mutmaßlichen Inseratendeal zwischen Österreich und dem Finanzministerium.

Im Jahr 2020 haben Bundeskanzleramt und Ministerien mehr als 30 Millionen Euro für Medienkooperationen mit Tageszeitungen und deren Onlinemedien ausgegeben, mehr als die Hälfte flossen in den Boulevard an Krone, Österreich, Heute. Journalisten-Organisationen fordern seit Jahren eine Änderung dieses Systems und klare und für alle nachvollziehbare Kriterien. Das derzeitige System ist anfällig für Korruption und schadet in weiterer Folge der Glaubwürdigkeit des Journalismus. Die Gegenleistung für ein Inserat darf nichts anderes sein als ein Inserat. Und für den Steuerzahler muss klar ersichtlich sein, welches Medium wann von wem wie viel Geld für Inserate bekommt. Werbung öffentlicher Stellen darf nicht länger als "indirekte Presseförderung" angesehen werden, sondern als notwendige Kommunikation für Bürgerinnen und Bürger über Regierungsarbeit und Sachthemen.

Dafür benötigen Medien nach Ansicht von Experten mehr öffentliche Förderungen, um ihrer Rolle in einer Demokratie seriös und unabhängig wahrnehmen zu können. Es wäre jetzt der richtige Zeitpunkt, die Medienförderung zu überarbeiten und nach objektiven, nachvollziehbaren Kriterien zu vergeben. Diese Medienförderung neu braucht klare, messbare Parameter wie Qualität, technische Innovationen, ethische Standards, Diversität in Redaktionen, Aus- und Weiterbildung. Diese Konzepte gibt es, umgesetzt wurden sie bisher nicht.

Überbordende Wahlkampfkosten führten Sebastian Kurz zum Erfolg.
Foto: apa / pfarrhofer

Parteifinanzen: Mehr Kontrolle bei der Förderung von Demokratiearbeit

Ein wesentlicher Teil des Systems Kurz waren die opulenten Wahlkämpfe der Volkspartei. Aber nicht nur die ÖVP hat den gesetzlichen Rahmen der Wahlkampfkosten gesprengt. Nach wie vor sind die Sanktionen für überbordende Kampagnen zu gering, um zahlungskräftige Parteien davon abzuhalten.

Dazu kommen mangelnde Kontrollmöglichkeiten. Die Finanzen der Parteien sind für den Staat immer noch eine Blackbox. Das türkis-grüne Regierungsprogramm sieht Einschaurechte für den Rechnungshof und schärfere Transparenzregeln für Parteispenden vor. Umgesetzt wurde dieser Teil des Abkommens aber noch nicht. (Astrid Ebenführer, Sebastian Fellner, 12.10.2021)