Was die Wirtschaft aus Berufsfeldern wie Rettung oder Feuerwehr, die ständig mit dem Unvorhersehbaren rechnen müssen, lernen kann, ergründen Forscher in Wien.

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Wie Organisationen mit dem Unerwarteten umgehen, untersucht die sogenannte Human-Factors-Forschung. Auch an der Fachhochschule des Berufsförderungsinstituts Wien (BFI) ist man auf diesem interdisziplinären Feld tätig.

Edgar Weiss, Leiter des Fachbereichs Persönlichkeitsbildung und Methodenkompetenz, hat in den vergangen vier Jahren mit seinem Team untersucht, was die Wirtschaft von Berufsfeldern lernen kann, die ständig auf unerwartete Ereignisse reagieren müssen: "Wir haben uns die Frage gestellt, ob sich Erkenntnisse von Einsatzorganisationen oder der Luftfahrt auf das Projektmanagement übertragen lassen."

Die Überlegung dahinter ist: Alle diese Organisationen teilen sich eine Reihe von Eigenschaften – sie sind prozessorientiert und ziemlich stabil, sie sind in funktionalen Hierarchien organisiert, und die Operationen werden aus klaren strategischen Zielen abgeleitet. "Wir haben einen Blick darauf geworfen, wie hier mit Risiken, Unsicherheitsfaktoren und Dingen, die man nicht planen kann, umgegangen wird."

Alarm im Cockpit

Die Forscher befragten dazu unter anderem Beschäftigte der Feuerwehr, der Rettungsdienste, des Permanenzdienstes der Stadt Wien und der Austrian Airlines. Wie deren Problemlösungsstrategien vom Management adaptiert werden könnten, wurde anschließend mit zahlreichen Personen aus der Wirtschaft in Umfragen, Interviews und Diskussionen eruiert.

Für die Befragung des Luftfahrtpersonals war Weiss in der Forschungsgruppe selbst zuständig. Gerade im Cockpit habe sich im Laufe der Jahrzehnte im Umgang mit Ausnahmesituationen sehr viel getan, berichtet er. In den vergangenen fünfzig Jahren sei die Zahl der tödlichen Flugzeugunfälle massiv zurückgegangen. Und das liegt Weiss zufolge nicht nur am technologischen Fortschritt: "Dieser Erfolg ist zu einem Gutteil der konsequenten Anwendung der Erkenntnisse aus der Human-Factors-Forschung zuzuschreiben."

Pläne und Freiräume

In der Luftfahrt mit ihren zahlreichen Checklisten werde zwar alles bis ins kleinste Detail geplant, aber dort könne man sich bei Bedarf in einer Krisensituation von einem Plan trennen.

"Im Management ist das noch viel zu wenig abgebildet. Das Projektmanagement hält häufig an der Idee fest, die Ergebnisse kontrollieren und die Organisation auf vorhersehbare Weise steuern zu können. Aber neben Plänen braucht man auch Freiräume, um professionell improvisieren zu können." Und dazu gehört auch ein kommunikativer Umgang mit Fehlern. Aus Schaden wird man bekanntlich klug.

Solch eine offene Auseinandersetzung mit Versagen geschehe laut Weiss im Wirtschaftsleben aber immer noch viel zu selten: "Das ist auch ein gesellschaftliches Problem: Fehler sind in der Regel etwas, worüber man nicht spricht. Gesellschaftlich wie organisational sind wir immer noch keine ‚reporting culture‘. Wir brauchen aber eine Fehlerkultur ohne Schuldzuweisung, um besser miteinander interagieren zu können."

Starre Hierarchien

Stattdessen aber werden viele Entscheidungen nicht hinterfragt, weil vielenorts immer noch starre Hierarchien existieren und vor allem in Österreich und Deutschland häufig der Status und nicht das in der jeweiligen Situation erforderliche Know-how ausschlaggebend sei. Das müsse hinterfragt werden, um zu anderen, ergo besseren Entscheidungen zu kommen: "Das Bild vom Projektmanager oder von der Projektmanagerin, die allein imstande ist, den Überblick zu bewahren, ist nicht nur hinderlich, sondern auch gefährlich. Bei komplexen und neuen Herausforderungen braucht es unterschiedliche Zugänge ohne Überbewertung faktischer Informationen statushoher Personen."

Gerade in Krisensituationen könne sich auch "kreativer Ungehorsam" gegenüber den Vorgesetzten bezahlt machen. So herrschen etwa bei der Feuerwehr ganz klare Standards und Vorgehensweisen. Gleichzeitig dürfen aber auch unter zeitlichem Druck von den einzelnen Akteuren schnelle Entscheidungen eigenständig getroffen werden, und dabei wird akzeptiert, dass so auch Fehler passieren können. "Man muss Rahmenbedingungen schaffen, damit man, wenn man schnell entscheiden muss, auch schnell entscheiden kann." Und eine solche Flexibilität sei eigentlich ebenfalls im Projektmanagement angebracht.(Johannes Lau, 16.10.2021)