Auf dem ersten Handy-Video lacht Miralbert Mariña noch fröhlich in die Kamera. Man sieht den 32-jährigen Venezolaner verwackelt auf einem voll besetzten Schnellboot, dahinter schemenhaft den Dschungel. "Da dachte ich noch, es sei eine Art Wanderung und in zwei Tagen erledigt", sagt der ehemalige Militär mit einem bitteren Lächeln. Doch was dann kam, war selbst für ihn als trainierten Mann die Hölle. Mariña spricht vom Darién, der Landenge zwischen Kolumbien und Panama.

Männer, Frauen und Kinder kämpfen sich durch den Darién-Dschungel, um in die USA zu gelangen. Nicht alle überleben diese Route.
Foto: AFP/Raul Alboleda

Der Darién ist ein undurchdringlicher, sumpfiger Mangrovendschungel, bis heute nicht erschlossen und bewohnt nur von verstreut lebenden Indigenen. Er ist der Flaschenhals, durch den alle Migranten müssen, die von Südamerika in die USA wollen. Seit dem Abflauen der Corona-Pandemie ist ihre Zahl wieder sprunghaft angestiegen.

Tödliches Bootsunglück

Rund 20.000 Menschen vor allem aus den Krisenländern Haiti, Venezuela und Kuba drängen sich derzeit im kolumbianischen Küstenort Necoclí. Von dort aus starten die Schnellboote der Schlepper Richtung Capurganá. 80 US-Dollar pro Person kostet die Fahrt. Am Montag erst meldete der kolumbianische Bürgerbeauftragte Carlos Camargo auf dieser Strecke ein Bootsunglück. Mehrere Menschen kamen dabei ums Leben, ein acht Monate altes Kind werde vermisst, twitterte er.

Jene, die es lebend bis nach Capurganá schaffen, sind dann kriminellen Gruppen ausgeliefert, die ihnen – je nach Nationalität und Laune – Passiergebühren von bis zu 200 US-Dollar pro Nase abknöpfen. Wer einen Führer braucht, muss noch einmal so viel drauflegen.

Von Kaimanen verfolgt

Danach geht es zu Fuß weiter – bei brütender Hitze und tropischem Dauerregen. Durch Sümpfe und über mit spitzen Steinen gepflasterte Hügel. Verfolgt von Moskitos, Schlangen und Kaimanen. Mit dem Tod als permanentem Begleiter. Oft ist kein trockenes Brennholz aufzutreiben, die Nässe und die Insektenstiche verursachen schmerzhafte Entzündungen an den Füßen. Was mit denen passiert, die erschöpft zurückbleiben, weiß keiner.

Auch Kutschen kommen zum Einsatz.
Foto: EPA/MAURICIO DUENAS CASTANEDA

Meist beginnen die Migranten in Gruppen von 25 bis 30 Personen. "Am Ende kommt vielleicht die Hälfte auf der panamaischen Seite an", sagt Mariña. Dort knöpfen ihnen die Grenzbeamten 20 US-Dollar für Registrierung, Transport und Unterbringung im Lager Bajo Chiquito ab. Der Weitertransport ins nächste, vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) verwaltete Lager kostet wieder 25 US-Dollar. Für den Autobus an die costa-ricanische Grenze werden 80 US-Dollar fällig. Wer kein Geld hat, sitzt fest.

"Es gibt Dinge, die sich in dein Hirn fressen", erzählt Mariña leise, "die Wasserleichen, der penetrante, faulige Geruch, die herumliegenden Kleider und Pässe. Ab und zu findet man ein Kreuz oder ein Skelett, notdürftig zugedeckt mit einem Stofffetzen." Wer sich einen Schlepper leisten kann, hat in drei bis vier Tagen die Hölle hinter sich – wenn er nicht unterwegs erschöpft zurückbleibt. Wer zu langsam marschiere, werde zurückgelassen, warnen die Schlepper. Wer will, dass die Schlepper sein Kind tragen, muss dafür extra bezahlen. Es ist ein lukratives Geschäft mit dem Tod.

Überfallen und vergewaltigt

Für Mariña, dessen Gruppe sich keinen Schlepper leisten konnte, wurde es eine Odyssee von zehn Tagen. Sie verirrten sich und mussten fauliges Wasser trinken und Fische fangen; dreimal wurden sie überfallen. "Einmal waren es Kolumbianer in Tarnanzügen, das zweite Mal Indigene, das dritte Mal eine panamaische Gang, die lautstark fluchte, weil wir nichts mehr hatten", erzählt er. Bargeld, Handys, Schmuck – alles war weg. Die Frauen wurden jedes Mal vergewaltigt, egal, ob sie schwanger waren, minderjährig oder in Begleitung ihrer Partner.

Kurze Rast im Dschungel.
Foto: AFP/Raul Alboleda

Mariña ist inzwischen in Honduras und hat eine Facebook-Seite über die Darién-Durchquerung angelegt. Darauf warnt er seine Landsleute, den Dschungel nicht auf die leichte Schulter zu nehmen. Vor allem für Frauen und Kinder sei es eine Tortur, schreibt er. "Ich habe gesehen, wie Kinder in den Armen ihrer Mütter starben", sagt Mariña.

50 Leichen haben die panamaischen Behörden in diesem Jahr schon im Dschungel geborgen und in Massengräbern verscharrt. "Leider haben sie meistens keine Papiere, und wir können nicht viel mehr machen, als ihre Finger- und Gebissabdrücke zu nehmen für den Fall, dass jemand sie sucht", sagt José Vicente Pachar, Direktor des Forensikinstituts von Panama.

Zurück nach Haiti

Heuer haben Schätzungen zufolge bereits mehr als 65.000 Menschen den Darién durchquert, im Vorjahr waren es knapp 6500. Und für Haitianer, die es tatsächlich bis an ihr Ziel schaffen, ist die Reise dann nicht vorbei: 7621 von ihnen wurden seit dem 19. September von den USA zurück in die Heimat geflogen. Auch wurden unter anderem aus Kuba 1194 und von den Bahamas 797 Haitianer zurückgeschickt. (Sandra Weiss aus Tegucigalpa, 13.10.2021)