Die Bilanzen der Commerzialbank Mattersburg wuchsen Jahr für Jahr – allerdings war ein Großteil davon erfundenem Geschäft zu verdanken. Ein Gutachter arbeitet das nun alles Euro für Euro auf.

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Zwölf Zwischenberichte hat der Sachverständige für Wirtschaftsprüfung in der Causa Commerzialbank Mattersburg bereits erstellt – und seine Erkenntnisse fördern erstaunliches Zahlenmaterial zutage. Insgesamt hat Karl Hengstberger 794 fingierte Bankkonten identifiziert, die für erfundene Kunden und ihre erfundenen Kredite eingerichtet worden sind. Dafür Verantwortung übernommen haben Ex-Bankchef Martin Pucher und seine Vorstandskollegin K., die jahrzehntelange Manipulationen gestanden haben. Für sie und für die übrigen Beschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

Zwischen 2007 und 2020, als die Manipulationen aufflogen und die Bank umfiel, summierten sich diese Fake-Kredite an Fake-Kunden auf 214,8 Millionen Euro, hat der Gutachter nun errechnet. Dazu kamen noch 38,1 Millionen Euro an Bareinzahlungen und Barauszahlungen von 2,3 Millionen Euro.

Der Gesamtbetrag aus diesen Fake-Krediten muss sozusagen von der Bilanzsumme abgezogen werden – die zuletzt mit rund 800 Millionen Euro ausgewiesen war.

Fingierte Kredite für echte Kunden

Allerdings kamen auch echte Kunden in den Genuss von fingierten Krediten – wovon sie freilich nichts ahnten. Die Beträge, die da zusammenkamen, rechnet der Sachverständige gerade aus, ließ er die ermittelnde Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) Anfang Oktober wissen.

Eine wichtige Rolle spielten im System Commerzialbank Bargeldtransaktionen, von denen ein paar spezielle Firmenkunden profitiert haben sollen, deren Eigentümer bzw. Chefs sich auch auf der Beschuldigtenliste wiederfinden. Bei einem Mattersburger Gewerbebetrieb etwa, der gern Rechnungen an nichtexistente Kunden an nichtexistenten Adressen stellte, fanden die Ermittler aus der Zeit von 2012 bis Juli 2020 allein 99 Kasseneinzahlungen, bei denen die Herkunft des Geldes – immerhin rund 1,3 Millionen Euro – nicht bekannt ist. In der Bank selbst dürften Auszahlungen von Barem, das Schaltermitarbeiter Bankchef Pucher und später K. brachten, zum Alltag gehört haben. Das jedenfalls legen Zeugenaussagen nahe.

Bargeld im Kuvert

Einer, der in die Bargeldtransaktionen eingebunden war, schilderte, wie das alles lief. Aus seiner dem STANDARD vorliegenden Aussage erschließt sich, dass Barbehebungen ungefähr einmal im Monat vorgekommen seien, zunächst sei es um 100.000 bis 200.000 Euro gegangen. Dann allerdings sei es immer mehr geworden: "Zum Schluss waren es teilweise schon siebenstellige Beträge. Die Überbringung der Bargeldbeträge erfolgte mittels Kuvert, wobei bei der Übergabe die Summe vor Herrn Pucher gezählt wurde."

Ob ihm die "im heutigen Geschäftsleben unüblichen" Bargeldübergaben (auch an den Fußballverein SV Mattersburg) nicht seltsam vorkamen, fragten die Ermittler. Er habe sich da schon Gedanken gemacht, nachgefragt habe er aber nicht, antwortete der Zeuge. Denn: Man habe bei Pucher "nicht ohne zu befürchtende Konsequenzen hinterfragen können". Zudem habe der Bankchef "nie eine Gelegenheit ausgelassen, auf die 'blütenweiße Weste' der Bank hinzuweisen". (Renate Graber, 13.10.2021)