Signierte Urinale, leere Bilderrahmen, Bananen und geschredderter Kitsch. Was ist Kunst (wert)?

Foto: STANDARD / Otto Beigelbeck

Anno 1917 reichte ein gewisser R. Mutt für die Jahresausstellung der frisch gegründeten New Yorker Society of Independent Artists ein signiertes Urinal ein. Obwohl die Society im Vorfeld angekündigt hatte, alles zu zeigen, was gegen die Entrichtung eine Teilnahmegebühr eingereicht worden war, entschied man sich um, als deren Mitglieder des Werkes Fountain ansichtig wurden.

Ein maschinengefertigtes Urinal sei keine Kunst. Es wurde also nicht ausgestellt und gerade deswegen zum Talk of the Town. Sein eigentlicher Urheber – folgt man der kunsthistorischen Communis Opinio – war Marcel Duchamp, pikanterweise Gründungsmitglied der Society. Die Kollegen waren dem Konzeptkunst-Pionier auf den Leim gegangen. Nicht nur deckte Duchamp mit seinem Readymade die Heuchelei der Künstlergesellschaft auf, die nicht nur mit der Frage, ob ein vorgefundener Gegenstand Kunst sein kann, kämpfte, sondern auch ein Problem damit hatte, dass diesen R. Mutt niemand in der Szene kannte.

Mit seinem Urinal thematisierte Duchamp also zweieinhalb große Fragen: Was gilt als Kunst, wer als Künstler (und wer entscheidet darüber?). Duchamps Antwort, die er mit der verschollenen Fountain gab, lautet: Der Künstler entscheidet darüber, was Kunst ist, indem er sich als solcher und sie als solche deklariert.

Diebstahl ist auch Kunst

2019 klebte Maurizio Cattelan auf der Art Basel Bananen auf die Wand. Kostenpunkt 120.000 Dollar pro "Cattenane", und ja, die Früchte fanden Abnehmer. Erst kürzlich ging die Geschichte des dänischen Konzeptkünstlers Jens Haaning durch die Medien. Er hatte sich umgerechnet 72.000 Euro von einem Museum ausgeborgt, um die Geldscheine auszustellen. Als seine Arbeiten dann im Museum ankamen, waren die Rahmen leer. "The work of art is that I took their money", sagte Haaning dazu, der mit seiner Aktion die ökonomisch schwierigen Bedingungen unter denen Künstler arbeiten, kritisieren wollte.

Und dann ist da noch der als kapitalismuskritischer Street-Artist bekannt gewordene Banksy. 2018 kam sein Acrylbild, das ein bekanntes Banksy-Motiv zeigt, namens Girl with Balloon beim Auktionshaus Sotheby’s zur Versteigerung.

Kurz nachdem eine Bieterin den Zuschlag für ungefähr eine Million Pfund erhalten hatte, wurde das Bild von einem im Rahmen eingebauten Schredder zur Hälfte in dünne Streifen geteilt. Banksy gab dem so entstandenen neuen Werk den Namen Love is in the bin – am 14. Oktober soll es nun wieder bei Sotheby’s versteigert werden. Man rechnet damit, dass es um vier bis sechs Millionen Pfund verkauft werden wird.

Was verbindet Banksy und Haaning, Cattelan und Duchamp? Alle sind Trickster, die mit unterschiedlichen Absichten ein Spielchen mit jenen spielen, die Deutungshoheit über Kunst und ihren Wert beanspruchen. Duchamp legte sich vor hundert Jahren mit seinen Kollegen an, die darüber bestimmen wollten, was Kunst ist und was nicht. Er erteilte ihnen eine saftige Lektion und schrieb sich in die Kunstgeschichte ein. Auch Haaning gewann sein Spielchen, indem er seine Kritik anbrachte und sich aktuell sogar im Besitz des Geldes befindet.

Wahnsinnige Mechanismen

Aber was machen wir mit Cattelan und Banksy, die sich mit dem heutigen Endgegner in Sachen Deutungshoheit anlegten, dem gesichtslosen Kunstmarkt? Denn nimmt man als gegeben an, worauf sich die meisten Kommentatoren der Aktionen einigen können, nämlich dass Cattelan und Banksy mit ihren Aktionen in erster Linie Kritik am Kunstmarkt und den irren Preisen, die er für Bananes, äh Banales, vorsieht, üben wollen, wird uneindeutig, wer hier der Gewinner ist.

Besonders beim nicht für große Subtilitäten bekannten Banksy ist es ja die naheliegendste Lesart, dass er sein Bild geschreddert hat, um aufzuzeigen, wie schnell etwas, das gerade noch um eine Million Pfund verkauft wurde, wertlos gemacht werden kann. Wenn Banksy das System Kunstmarkt vorführen, Käufer belehren wollte, ist ihm das jedenfalls nicht gelungen – immerhin ist sein Bild nicht wertlos geworden, sondern hat sogar eine deutliche Wertsteigerung erfahren.

Vielleicht spielt Banksy aber auch ein anderes Spiel. In diesem Fall hätte er die Preissteigerung ob des Schredderns ganz bewusst einkalkuliert. Indem er sich also die wahnsinnigen Mechanismen des Kunstmarkts zunutze machte, hätte er ihn also gewissermaßen besiegt: indem er als Künstler nicht nur darüber entscheidet, was Kunst ist, sondern auch, wie viel sie kostet. (Amira Ben Saoud, 13.10.2021)