Als Ungarns Premier Viktor Orbán kurz vor der tschechischen Parlamentswahl Prag besuchte, kritisierten viele das als Wahlkampfhilfe für Premier Andrej Babiš.

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Die tschechischen Wahlsieger machen Druck. Spätestens am 8. November wollen sie einen Koalitionsvertrag unterschreiben. Darauf einigten sich am Mittwoch Vertreter der beiden Bündnisse, die gemeinsam künftig auf eine bequeme Mandatsmehrheit kommen und eine Koalition gegen den amtierenden Premier Andrej Babiš und seine Partei Ano schmieden wollen.

Das Datum – genau 30 Tage nach der Parlamentswahl vom vergangenen Wochenende – ist nicht zufällig gewählt. Es ist der Tag, an dem das neue Abgeordnetenhaus automatisch zusammentritt, sofern es Präsident Miloš Zeman nicht vorher einberuft. Bis dahin wollen die Partner vollendete Tatsachen schaffen.

Kranker Präsident

Am Mittwochnachmittag war aber noch unklar, wie Zeman, der derzeit auf der Intensivstation eines Prager Krankenhauses liegt, weiter vorgehen wird. Etwa ob er tatsächlich wie angekündigt den Chef der stärksten Einzelpartei – und nicht des stärksten Bündnisses – zum Premierminister ernennen will. Das nämlich wäre erneut Babiš.

Das konservative Dreiparteienbündnis Spolu (Gemeinsam) und jenes aus Piraten und der liberalen Bürgermeisterpartei Stan jedoch geben Babiš für diesen Fall keine Chance auf eine Parlamentsmehrheit und beschwören die Einigkeit in den eigenen Reihen. In der breit gefächerten Koalition werden dennoch einige Gräben zu überwinden sein. Postenbesetzungen gehören da ebenso dazu wie Inhaltliches. Als möglicher Stolperstein etwa war bereits vor der Wahl die Ehe für alle im Gespräch, die manchen ein Anliegen, anderen ein Gräuel ist.

Brüchige Einigkeit

Aber vor allem in europapolitischer Hinsicht ist die Einigkeit zwischen den neuen Partnern weniger groß, als diese derzeit den Anschein erwecken. Dabei kam gerade in diesem Punkt nach der Wahl auch im Ausland einige Erleichterung auf.

"Es ist so weit!", hatten die Spolu-Anhänger am Wahlabend skandiert. Mit dem bekannten Slogan erinnerten sie auch an jene Herbsttage des Jahres 1989, als das Land, angeführt vom Dissidenten und späteren Präsidenten Václav Havel, die kommunistische Diktatur abschüttelte und seine Rückkehr nach Europa einläutete.

Premier Andrej Babiš hat es seinen Gegnern freilich leicht gemacht, sich als proeuropäische Alternative zur aktuellen Regierung zu präsentieren. Immer wieder war er rhetorisch auf Konfrontationskurs zu Brüssel gegangen, etwa als er das Flüchtlingsthema in den Mittelpunkt seines Wahlkampfs stellte und dabei lautstark gegen die EU wetterte.

Zugpferd Orbán

Kurz vor der Wahl empfing er in Prag demonstrativ seinen ungarischen Amtskollegen Viktor Orbán, der sein Land als "illiberale Demokratie" ansieht und in der Union seit Jahren aneckt. Mit ihm fuhr Babiš sogar in seinen nordböhmischen Wahlkreis Ústí nad Labem (Aussig an der Elbe) und nutzte die Gelegenheit, sich an Orbáns Seite einmal mehr als Hüter der nationalen Souveränität zu stilisieren.

Auch wegen seiner Geschäfte wird der milliardenschwere Unternehmer in Brüssel mit Argwohn beäugt. Obwohl Babiš seine Holding Agrofert mittlerweile an zwei Treuhandfonds übergeben hat, steht nach einem EU-Audit der Vorwurf im Raum, dass er diese weiterhin kontrolliert und sich als Premier in einem Interessenskonflikt befindet: Immerhin läuft die Verteilung der meisten EU-Subventionen über staatliche Stellen.

Babiš im EU-Mainstream

In der Beziehungskiste zwischen Babiš und der EU gibt es aber auch eine Kehrseite: Politisch ist die Babiš-Partei Ano fest im europäischen Mainstream verankert. Im Europäischen Parlament ist sie Teil der liberalen Fraktion Renew Europe – unter anderem an der Seite der österreichischen Neos, der deutschen FDP oder ungarischen Oppositionsbewegung Momentum. Sie alle sind in ihren Ländern alles andere als Speerspitzen der EU-Skepsis. Dasselbe gilt für die Ano-Politikerin Věra Jourová, weithin respektierte Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, zuständig für Werte und Transparenz.

Bei dem in Tschechien nun siegreichen Dreierbündnis Spolu sieht die Sache ein wenig anders aus. Zwar sind die Christdemokraten (KDU-ČSL) und die rechtsliberale Top 09 Mitglieder der Europäischen Volkspartei, Top 09 hat sich sogar für die Einführung des Euro stark gemacht. Die stärkste Bündnispartei aber, die Bürgerdemokraten (ODS), die mit ihrem Chef Petr Fiala den Premier stellen wollen, sind mit den postfaschistischen Fratelli d’Italia oder der polnischen Regierungspartei PiS in der Fraktion Europäische Konservative und Reformer (EKR). Gerade Polen steht derzeit wegen seiner Justizreformen und der jüngsten Weigerung, sich dem gemeinsamen EU-Recht unterzuordnen, mit Brüssel auf Kriegsfuß.

"Demokratisches Europa"

"Gemeinsam garantieren wir eine klare demokratische und prowestliche Orientierung der Tschechischen Republik", hatte Fiala vor der Wahl versprochen. Am Wahlabend schwärmte er unter dem Jubel seiner Anhänger von der Chance, nun "Teil des demokratischen Europa zu bleiben". Wie die ODS diese "Chance" in der EKR nutzen will, bleibt abzuwarten – auch im Lichte der tschechischen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2022.

Das europapolitische Bild in Tschechien zeigt also einen Andrej Babiš, der im EU-Mainstream mitschwimmt und daheim mit EU-skeptischer Rhetorik punkten will. Und es zeigt einen Petr Fiala, der im Wahlkampf auf "prowestliche" Aufbruchsstimmung setzte, dessen Seilschaft auf europäischem Boden aber seinen Bündnispartnern daheim kaum schmecken dürfte.

Die derzeit ohnehin vertrackte Lage in Tschechien wird dadurch nicht gerade einfacher. (Gerald Schubert, 13.10.2021)