Kennen Sie die Arlberg-Bahnstrecke? Wenn nicht: Sie haben etwas verpasst. Denn sie ist wunderschön. Man fährt durchs Klostertal, genießt die Aussicht, und wenn man ganz hinten im Zug sitzt, kann man in engen Kurven durchs Fenster die Lok ganz vorn sehen.

Für Vorarlbergerinnen und Vorarlberger ist die Arlberg-Bahnstrecke aber vor allem eines: die einzige Verbindung in den Rest Österreichs, eine der wenigen Verbindungen in "die große Welt". Für mich war die Arlberg-Bahnstrecke vor wenigen Tagen ebendiese Verbindung. Zumindest für einige Jahre geht es – zwar nicht durchgehend, aber zumindest hauptsächlich – in die große Stadt: nach Wien. In die Hauptstadt. Zum Studium. Zum Lernen. Und ich bin nervöser, als ich mir das erhofft hatte.

Das "Ersti"-Leben vorm Bildschirm

An den Unis werden immer noch unglaublich restriktive Covid-19-Maßnahmen realisiert. Zumindest in Wien. Hier heißt es nämlich, zumindest in meinen ersten drei Vorlesungen der Politikwissenschaft: Verpflichtung für einen 3G-Nachweis, FFP2-Masken-Pflicht – auch auf dem Sitzplatz – und eine Beschränkung auf knapp 35 Prozent Hörsaalauslastung. Der Rest sitzt zu Hause vor dem Stream am Bildschirm, es ist zu großen Teilen ein "Ersti"-Leben zwischen Bett und Küche.

Der Hintergrund: Universitäten sind von den aktuellen Regeln der Verordnung des Gesundheitsministers ausgenommen. Sie können auf diesem Gebiet vollkommen autonom handeln, also vollkommen autonome Entscheidungen zu den Hygienemaßnahmen treffen. Und offenbar will man wirklich überhaupt keine Fehler machen, überhaupt nichts dem Zufall überlassen. So kommt es, dass ein Großteil der Studierenden auch im vierten "Pandemiesemester" wenige bis gar keinen Hörsaal von innen zu Gesicht bekommt – also zumindest nicht mit eigenen Augen, sondern nur über ein Kamerabild.

Schwankendes Studi-Leben

So entstehen im Moment zum Teil fast schon komisch anmutende Schwankungen. Zunächst sitzen wir für einen ganzen Tag mit mehr als einem Meter Abstand und FFP2-Maske im Hörsaal, danach treffen wir uns mit (fast) hundert Leuten am Campus, im Park (übrigens ein Wort, das ich vor Wien in Vorarlberg keinesfalls benutzt habe) oder halt nachts im U4, im Loco, wo auch immer – ich bin etwas verwirrt ob dieser ganzen Eindrücke. Und warum tun wir das? Weil wir es dürfen. Weil wir zum größten Teil geimpft sind, weil viele Covid-19-Impfstoffe für uns zugelassen sind. Und weil es halt doch das erste Semester im neuen Leben "als Erwachsene" ist. Das finde ich legitim, um ehrlich zu sein.

So stellt sich doch die Frage, wieso die Universität auf diese strengen Regeln setzt. Bei jeder anderen Zusammenkunft oder Veranstaltung darf nach einer 3G-Kontrolle auf den Abstand und die Platzbeschränkungen verzichtet werden. Sogar die FFP2-Maske könnte nach Ansicht des Verordnungsgebers fallen, auch wenn die nicht einmal ein Problem darstellt. Bei meiner Arbeit als Covid-19-Tester war die FFP2-Maske oft die einzige Barriere zwischen hustenden und spuckenden positiven Patientinnen, Patienten und mir, ich habe mich – Gott sei Dank – nicht angesteckt. Wieso sollte diese wirklich simple Maßnahme also auch nicht mit mehr Leuten in einem großen, durchlüfteten Saal möglich sein? Um ganz vielen jungen Menschen die vollen Möglichkeiten zum Austausch, zum Debattieren, zum Lernen zurückzugeben? Das ginge auch bei 2G oder 1G sehr gut – es sei ja eine "Pandemie der Ungeimpften", mittlerweile.

In fast leeren Hörsälen wird 2021/22 studiert.
Foto: APA/dpa/Uwe Zucchi

Hybride Lehre als Drahtseilakt

Hinzu kommt noch, dass man als Teilnehmer der "Hybriden Lehre", also einer Lehrveranstaltung, die vor Publikum im Hörsaal abgehalten wird, zu der aber auch Studierende zugeschaltet sind, etwas Glück braucht. Das sei überhaupt nicht bezogen auf den Inhalt, der hat mich zumindest an den ersten drei Tagen regelrecht begeistert, der mich in meiner Entscheidung bestärkte, Politikwissenschaft zu studieren.

Vielmehr braucht man Glück mit der Technik. Zum Beispiel wird der Stream zu oft einfach so unterbrochen – der Chat wird dann geflutet mit "Der Stream funktioniert nicht mehr", der Stream muss neu gestartet werden, es vergehen Minuten, in denen es zum Teil aber im Hörsaal weitergeht, zu Hause kommt man dann nicht mehr mit. Oder es werden Fragen im Hörsaal beantwortet, die Studierenden haben aber kein Mikrofon, also kommt die Frage digital nicht an, im Chat wird also wieder gefragt, was denn die Frage überhaupt war. Oder das Mikrofon im Hörsaal fällt aus, die Vorlesung geht aber weiter, es dauert wieder einige Momente, bis der Ton durch das Mikrofon auch wieder online zu hören ist. Kurzum: Es resultiert in Frust.

Hybride Lehre hat sicherlich einige Vorteile. Man ist aufgrund von potenziellen Aufzeichnungen zeitlich unabhängiger, man ist örtlich unabhängiger. Schön wäre es aber durchaus, wenn nach 18 Monaten Pandemie und Distanzlehre grundlegende technische und handwerkliche Dinge etwas runder laufen würden. Weil dann macht der sehr interessante Stoff – die sehr interessanten Themengebiete der Politikwissenschaft, die wir bisher kennenlernen durften – gleich noch ein bisschen mehr Spaß. Wie auch die potenziellen Diskussionen im Hörsaal, die – mit gebotenen Masken zum Beispiel – mit mehr Leuten gleich viel besser entstehen könnten. Und das wollen, glaub ich, Lehrende wie Studierende gleichermaßen.

Ich freu mich auf Wien. Danke. (Maximilian Werner, 15.10.2021)