Mitarbeiterüberwachung wird nicht erst seit der Corona-Pandemie in vielen Arbeitsbereichen eingesetzt.

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Wenn sich ein Uber-Fahrer ans Steuer seines Autos setzt, muss er sich in der App einloggen und ein Selfie machen. Das dient der Identifizierung. Irgendwo auf der Welt, so schreiben es Mary L. Gray und Siddharth Suri in ihrem Buch Ghost Work, sitzt ein Crowdworker an seinem Laptop und gleicht das Selfie mit dem in der Datenbank hinterlegten Foto ab. Alternativ führt ein Algorithmus den "Real-Time ID Check" durch. Doch die Gesichtserkennungssoftware von Microsoft, die der Fahrdienstleister bei der Identitätsprüfung einsetzt, hat offensichtlich erhebliche Schwächen.

Im März dieses Jahres erhoben Kuriere von Uber Eats schwere Vorwürfe: Sie seien entlassen worden, weil die Software ihre Gesichter aufgrund ihres dunkleren Hauttons nicht erkannt hätte. Der Algorithmus sei rassistisch verzerrt. Das Unternehmen wies die Vorwürfe zurück. Der Identitätscheck beinhalte eine "robuste menschliche Überprüfung".

Uber screent seine Fahrer aber nicht nur vor Fahrantritt, sondern während der gesamten Fahrt. Die App überwacht den Standort, die Geschwindigkeit und – über den Zugriff auf die Sensoren im Smartphone – ob der Fahrer gerade abrupt abbremst oder beschleunigt.

Dass Fahrer von Fahr- oder Lieferdiensten getrackt werden, ist nicht neu. Der Paketdienst UPS etwa hat seine Lieferwagen schon vor Jahren mit Sensoren ausgestattet, um zu prüfen, wann die Fahrer die Türen öffnen und schließen, den Motor starten und ob sie angeschnallt sind. Auch heimlich installierte Videokameras im Einzelhandel, die überwachen, ob Kassierer sich Geld in die Tasche stecken, sind seit Jahren gängige Praxis. Doch mit den Fortschritten der digitalen Technologien wird die Überwachung immer raffinierter.

KI-basiertes System

So hat Amazon damit begonnen, in seine Lieferwagen in den USA KI-gestützte Kameras einzubauen, die die Aufmerksamkeit und Regelkonformität der Fahrer kontrollieren. Vier hochauflösende Kameras – eine Frontkamera und zwei Seitenkameras, die auf den Fahrer gerichtet sind, sowie eine Dashcam – zeichnen kontinuierlich den Verkehr auf. Algorithmen erkennen in den Videoaufzeichnungen, in welche Richtung der Fahrer schaut und wie schnell sich das Fahrzeug auf andere Objekte zubewegt. Fährt der Fahrer zu dicht auf oder missachtet er ein Stoppschild, ertönt automatisch ein Warnsignal. Damit sollen gefährliche Situationen und Unfälle vermieden werden. Direkte Vorgesetzte gibt es keine, der Algorithmus schickt die Fahrer auf Touren – und entlässt sie sogar, wenn sie bestimmte Vorgaben nicht erfüllen. So geschehen vor einigen Monaten in Phoenix, wo ein Paketzusteller von Amazon seine Entlassung durch die E-Mail eines Bots erhielt.

Amazon ist berüchtigt für sein rigides algorithmisches Management. In den Logistikzentren werden Lagerarbeiter auf Schritt und Tritt verfolgt – wenn die Pakete nicht schnell genug sortiert werden und die Produktivität zu gering ist, ergeht automatisch eine Warnung. Im vergangenen Jahr hat Amazon in seinen Verteilzentren einen "Distant Assistant" eingeführt, ein KI-basiertes System, das via Videoüberwachung Hygieneregeln kontrolliert. Hält ein Angestellter den Mindestabstand zu seinen Kollegen, wird er von einem grünen Kreis markiert. Kommt er jemandem zu nahe, wird der Kreis orange oder rot.

Spionagesoftware auf Firmenrechnern

Doch nicht nur Fahrer oder Lageristen werden überwacht, sondern auch Büromitarbeiter. Immer mehr Unternehmen installieren heimlich Spionagesoftware auf Firmenrechnern – zum Beispiel Keylogger, die jeden Tastaturanschlag aufzeichnen. So sieht der Chef, an wen man E-Mails schreibt oder wie lange man sich in sozialen Netzwerken herumtreibt. Sogar private Passwörter können mit einer solchen Software ausgelesen werden. Dass infolge der Corona-Pandemie viele Büroangestellte im Homeoffice arbeiten, scheint die Schnüffelei am Arbeitsplatz nicht eingedämmt zu haben, im Gegenteil, sie hat die Mitarbeiterüberwachung verschärft, weil manche Vorgesetzte noch immer glauben, dass man zu Hause Däumchen dreht. Mittlerweile gibt es eine ganze Reihe von Spionagetools ("bossware"), mit denen Vorgesetzte heimlich Screenshots auf den Computern ihrer Mitarbeiter machen oder aus der Ferne Mikrofon oder Kamera aktivieren können.

Ins Gerede geraten ist unter anderem die Produktivitätsbewertung in Microsoft 365, die von vielen kleinen und mittelständischen Unternehmen genutzt wird. Das Tool sammelt Daten aus Microsoft-Produkten wie Skype, Teams oder Powerpoint und errechnet daraus eine Punktezahl für die Produktivität. Dabei werden auch Informationen über die Arbeitsgewohnheiten erfasst, etwa die Zahl der E-Mails oder Dauer der Kameraaktivität.

Cloudbasierte Dienste

Zwar hat Microsoft nach Kritik von Datenschützern nachgebessert und Nutzernamen entfernt. Datenschützer monieren jedoch, dass Nutzer bei cloudbasierten Diensten wie 365 keine vollständige Kontrolle über ihre Daten haben.

Der Kontrollwahn kennt keine Grenzen. So hat die Investmentbank Barclays über Monate hinweg Mitarbeiter mit einer Tracking-Software überwacht. Das Programm zeichnete unter anderem auf, wie lange Angestellte vor ihren PCs saßen und wie oft sie eine Toilettenpause einlegten. Barclays droht nun in Großbritannien eine Millionenstrafe wegen Verstößen gegen das Datenschutzrecht. Die Bank ließ bereits vor einigen Jahren Bewegungsmelder unter Bürotischen installieren, um zu schauen, ob jemand gerade an seinem Platz ist. Offenbar hat man aus den Fehlern der Vergangenheit aber keine Lehren gezogen. (Adrian Lobe, 15.10.2021)