Die Architektin und Stadtforscherin Amila Širbegović wohnt im Sonnwendviertel und schätzt das alte Favoriten. Die Wohnung selbst sieht sie wie die umliegende Stadt als kleinen sozialen Kosmos mit vielen Variablen.

"Der Sandleitenhof ist eine der größten Wohnhausanlagen des Roten Wien. Dort geht auch heuer wieder das Kunstfestival Soho Studios über die Bühne. In diesem Rahmen biete ich dort kommendes Wochenende einen Spaziergang an – und zwar zum Thema ‚Wohnen, Leben und Arbeiten im Sandleitenhof‘. Ich bin dafür mehr als prädestiniert, denn ich arbeite selbst immer wieder von zu Hause, hatte in meiner Wohnung den Arbeitsplatz insgesamt schon an vier verschiedenen Orten, meine Dissertation habe ich im heutigen Schlafzimmer geschrieben, und im Corona-Lockdown, als uns allen die Decke auf den Kopf gefallen ist, musste ich mich entscheiden, wo genau ich arbeiten will.

Mancherorts stehen noch Umzugskisten herum: Amila Širbegović in ihrer Wiener Neubauwohnung.
Foto: Lisi Specht

Die nunmehr vierte und hoffentlich auch endgültige Lösung ist mit Abstand die beste. Warum? Ganz einfach, weil ich den Esstisch aus dem Essplatz raus- und ins Wohnzimmer hineingestellt habe. Und da, wo früher der Esstisch stand, befindet sich nun mein ganz persönliches Arbeitszimmer mit Schreibtisch, Regalen und all dem Arbeitszeug, das man braucht. Zur Küche hin ist mein Arbeitsbereich durch einen Vorhang getrennt. Die beiden Löcher für die Aufhängung des Stahlseils haben mein Bruder und ich in die Wand gebohrt – und, ganz ehrlich, Löcher in Stahlbeton zu bohren ist eine Menschenquälerei.

Die Wohnung liegt in einem geförderten Wohnbau am Rande des Sonnwendviertels West und hat 117 Quadratmeter. Eingezogen sind wir noch zu viert, mittlerweile sind wir zu dritt, und ehrlich gesagt ist das jetzt zu groß für uns. Gleich beim Eingang gibt es eine Art multifunktionale Raumnische, die man als Arbeits- oder Lümmelbereich mit Blick auf den Laubengang nutzen kann. Eigentlich eine tolle Bonuskubatur, nur, wenn die Miete steigt, dann scheinen mir diese paar Quadratmeter wie ein zweites, unnötiges Vorzimmer zu sein, auf das ich gern verzichten würde.

Gearbeitet wird in der 117-Quadratmeter-Wohnung mal hier, mal dort.
Fotos: Lisi Specht

Über die Möbel will ich gar nicht sprechen. Außer dass es halt so ausschaut, wie es ausschaut, und dass wir nach acht Jahren immer noch nicht ganz angekommen sind. Das Bad ist noch halbe Baustelle, in einem Eck stehen noch Kartons herum, alles ist im Werden. Ich konnte es kaum glauben, dass einige unserer Nachbarn drei Monate nach Einzug fixfertig eingerichtet waren. Was tut man dann in all den anderen Jahren, wenn alles fertig ist, wenn es im Wohnen keine utopischen Projekte mehr gibt, die auf der To-do-Liste stehen?

Alles ist im Werden: So ähnlich wie die Wohnung hat auch das Stadtgrätzel rundherum eine ganz bestimmte, sich ständig verändernde Soziologie. Jeder wohnliche und städtische Raum hat seine Qualitäten, und so wie ich mit meinen beiden Söhnen Armin und Timur durch die Wohnung ziehe und meine Zelte mal hier, mal dort aufschlage, so ist auch die Stadt rundherum ein lebendiger, intensiver, wandelbarer Kosmos.

Was ich besonders schätze, ist die Nähe zur Bestandsstadt, also zum alten, urigen, gewachsenen Favoriten. Zum Keplerplatz und Viktor-Adler-Markt sind’s ein paar Minuten zu Fuß. Ich find’s hier richtig quirlig und schön und gehe gerne durch die umliegenden Gassen spazieren. Sehr lustig finde ich, dass meine Freunde und Freundinnen immer zu uns zum Abendessen und zum Feiern kommen wollen, weil sie sagen, dass man bei uns bis in die Nacht hinein laut sein kann, niemanden herum regt das auf, alles ist im Flow.

Die Nähe zum alten, "urigen" Favoriten schätzt Amila Širbegović sehr. In ein paar Jahren wird sie mit den beiden Söhnen aber wohl dennoch wieder umziehen.
Fotos: Lisi Specht

In ein paar Jahren, denke ich, werden wir wieder umziehen. Ich mag die Wohnung, aber 117 Quadratmeter zu dritt – das muss wirklich nicht sein. Ich finde, wir sollten uns als Gesellschaft überlegen, welche Wohnungsgröße für uns gerechtfertigt ist – und wie wir uns wieder kleinschrumpfen und als Kollektiv auf kleinerer Fläche zurechtkommen können. Wir werden mit dem Umzug in eine 90 Quadratmeter große Wohnung die Welt nicht verändern und den ökologischen Fußabdruck nicht dramatisch reduzieren, das ist mir klar. Aber das ist mein emotionaler Beitrag, den ich imstande bin zu leisten." (Protokoll: Wojciech Czaja, 18.10.2021)