Keighley McFarland hat Politische Ökonomie, Germanistik und Umweltressourcen-Management in den USA und Berlin studiert. Nach acht Jahren in der Nachhaltigkeitsbranche orientierte sie sich beruflich neu. Seit Anfang 2020 arbeitet die 32-Jährige als Web-Developerin in Wien.
Foto: Thomas Ragger

Bevor ich mit dem Programmieren angefangen habe, war ich acht Jahre im Bereich Nachhaltigkeit tätig und habe in NGOs und der Forschung gearbeitet. Das war etwas, das ich seit der Jugend machen wollte. Bereits nach kurzer Zeit habe ich aber gemerkt, dass die Arbeitsbedingungen für mich nicht passen. Es gibt kaum Aufstiegschancen, die Bezahlung ist schlecht und der Konkurrenzdruck groß. Auf Praktika und Juniorstellen kommen schon mal bis zu 80 Bewerbungen, teilweise von deutlich überqualifizierten Personen.

Mit meiner Erfahrung in den Bereichen Kommunikation und Projektmanagement habe ich mich dann in anderen Branchen beworben. In dieser Zeit habe ich sehr viele Bewerbungen geschrieben, aber kaum Rückmeldungen erhalten. Während meiner Jobsuche bin ich aber immer wieder auf freie Stellen im Tech-Bereich gestoßen.

Aus Neugierde habe ich Onlinekurse für Coding-Grundlagen belegt und Networking-Veranstaltungen für Frauen in der Tech-Branche besucht. Durch die Bestärkung und Erfahrungen der anderen habe ich mich 2019 dazu entschieden, ein Web-Development-Bootcamp in Berlin zu machen, und ein Teilstipendium bekommen. Dort lernt man alles von Anfang an, und innerhalb von drei Monaten erreicht man das Level, um in den Job einzusteigen.

Finanzielle Sicherheit

Es war eine sehr intensive Zeit, ich hatte 60-bis-80-Stunden-Wochen. Doch es hat sich gelohnt: Nur wenige Tage später hatte ich ein Jobangebot als Junior Web Developer in Wien. Seit meinem Umstieg habe ich mehr Freiheit bei der Jobwahl, finanzielle Sicherheit und spannende Aufgaben. Und ich bin überzeugt, dass viel mehr Menschen in dem Bereich arbeiten könnten. Programmieren ist nicht nur für "Nerds" oder Menschen mit einer besonderen Begabung. Es hat mehr damit zu tun, ob man gerne Rätsel löst oder Sprachen lernt – und dafür konnte ich mich schon immer begeistern.

Ich denke schon, dass es eine gewisse Skepsis gegenüber diesen Bootcamps von Arbeitgeberseite gibt, aber auch von anderen Beschäftigten in der Branche. Man hat auch nicht genau dasselbe Wissen, wie Entwicklerinnen und Entwickler, die mehrere Jahre studiert haben. Aber man sieht an dem Code, ob jemand etwas kann oder eben nicht. Die Ausbildung rückt dann eher in den Hintergrund. Es gibt auch genug Leute, die sich das Programmieren selbst beigebracht haben. Deshalb sind viele Unternehmen in diesem Bereich offener, und die Nachfrage nach Fachkräften ist nun einmal sehr groß.

Das zeigt sich auch bei der Bezahlung: Mein letztes Gehalt in der Forschung lag mit 32 Wochenstunden bei rund 35.000 Euro brutto jährlich. Bereits in meinem ersten Tech-Job habe ich mehr verdient. Aktuell ist mein Gehalt als Web Developerin sogar 40 Prozent höher, hinzu kommen außerdem noch Benefits wie Öffi-Ticket, Essensgutscheine und Fitness-Mitgliedschaften.

Früher ansetzen

Seitdem ich das Bootcamp absolviert habe, habe ich es schon oft weiterempfohlen, und vier Frauen aus meinem Bekanntenkreis haben es ebenfalls gemacht. Ich bin überzeugt, dass Tech-Berufe eine super Karriere für Frauen bieten: Man ist sehr flexibel, man verdient gut, und man kann den Job leicht wechseln, wenn die Arbeitsbedingungen nicht passen. Selbst während der Corona-Krise hatte ich keine Probleme, eine neue Stelle zu finden.

Was es braucht, damit mehr Menschen in Tech-Berufen arbeiten? Ich denke, vielen fehlt der Zugang zum Programmieren, und dann sieht man das auch nicht als Jobchance. Bereits in der Schule anzusetzen wäre wichtig. Für mich war die Neuorientierung eine der besten Entscheidungen meines Lebens. Deswegen möchte ich auch andere dazu ermutigen. (Anika Dang, 22.10.2021)