Bei Spielen wie etwa "Bee Simulator" sollen Spieler in der Rolle von Bienen mehr über deren Leben lernen.

Foto: Varsav Game Studios

Schön ist er nicht, der Evergreen Harbour. Neben dem Industriehafen türmen sich die Müllberge, über den Straßen und Gebäuden hängt der Smog. Doch genau an diesem zunächst unwirtlichen virtuellen Ort im Computerspiel Sims: Nachhaltig leben sollen sich die gleichnamigen menschenähnlichen Figuren niederlassen. Die Spieler wählen, ob sie mit ihren Sims in eine Wohnung oder ein geothermisches Haus einziehen wollen, und versuchen dann, das eigene Leben schrittweise ökologischer zu gestalten: etwa indem sie mit Solar- oder Windanlagen sauberen Strom erzeugen, Gegenstände reparieren, Gemüse anbauen, sich in der Nachbarschaft vernetzen oder Lebensmittel vor dem Wegwerfen bewahren. Gelingt das, soll Evergreen Harbour zunehmend grüner und sauberer aussehen.

Das Kultspiel Sims ist längst nicht das einzige, das sich den Klimawandel und den Umweltschutz zum Thema macht. In den vergangenen Jahren sind Hunderte sogenannter Klimawandelspiele herausgekommen, die nicht nur auf das wachsende Umweltbewusstsein der meist jungen Zielgruppe reagieren, sondern versprechen, selbst einen Beitrag zum Klimaschutz zu leisten. Denn mithilfe der Spiele sollen Menschen lernen, ihren eigenen ökologischen Fußabdruck zu reduzieren, Umweltschutzmaßnahmen simulieren und mehr über die Auswirkungen des Klimawandels erfahren, heißt es vonseiten der Hersteller.

Der offizielle Trailer zum Spiel Sims 4: Eco Lifestyle. Einige Kritiker sehen darin eher eine Fortführung des Konsumismus als einen wirklich nachhaltigen Wandel. Zudem wird den Entwicklern vorgeworfen, ein sehr elitäres Verständnis von Nachhaltigkeit zu produzieren.
The Sims

Zu Nachhaltigkeit inspirieren

Seit rund zwei Jahren bekommt der Vorstoß auch Unterstützung von den Vereinten Nationen (Uno). In einem Bericht der Organisation heißt es, Computerspiele hätten das Potenzial, Menschen überall auf der Welt zu einem nachhaltigeren Leben zu inspirieren. Weltweit würden 2,6 Milliarden Menschen Videospiele spielen, die Industrie mache mit 140 Milliarden Dollar im Jahr dreimal so viel Umsatz wie die Kinoindustrie. Mithilfe der Initiative "Playing for the Planet" will die Uno die Spieleindustrie künftig dazu anhalten, ihre eigenen Emissionen und Müll zu reduzieren und sich in ihren Inhalten noch mehr auf den Klima- und Umweltschutz zu konzentrieren, damit mehr Menschen motiviert werden, sich für diese Themen zu engagieren.

"Spiele sind ein wertvolles Werkzeug, um der Gesellschaft Thematiken wie den Klimawandel näherzubringen", sagt Johanna Pirker, Spieleforscherin an der TU Graz. Denn mithilfe von Simulationen ließen sich reale Szenarien nachbauen, anhand deren wir spielerisch Konsequenzen unseres Tuns ausprobieren können. Komplexe Zusammenhänge können im Spiel besser veranschaulicht werden, zudem sehen Spieler, wann durch ihr Handeln Gutes oder Schlechtes passiert.

Reise in Klimazukunft

Diese Vorteile haben sich auch der Wissenschafter am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung Johan Rockström und der Softwarearchitekt Daniel Tamberg zunutze gemacht. Vor zwei Jahren entwickelten sie die App Sciara, bei der Menschen auf simulierte Zeitreisen in die Zukunft geschickt werden. Zu Beginn wählen die Nutzerinnen und Nutzer ihr Reise- und Konsumverhalten aus, anschließend lässt sich die Auswirkung des eigenen Verhaltens auf die Welt und in die Zukunft berechnen und darstellen. Wer beispielsweise angibt, viel Fleisch zu essen, oft zu reisen oder mit Öl zu heizen, sieht, wie bis ins Jahr 2050 die Temperatur und der Meeresspiegel nach oben schießen, würden sich "alle wie du" verhalten.

Daneben sollen Spieler in der App aber auch in die Rolle der Regierung schlüpfen und Auswirkungen von Gesetzen und Verordnungen auf das Klima simulieren. Laut den Entwicklern sollen Menschen dadurch wie in einem Multiplayer-Online-Spiel mit dem Modell interagieren und dadurch mehr über ihr eigenes Verhalten und Klimaschutzpolitik lernen.

Hoher Stromverbrauch

Aber nicht jedes Spiel, was scheinbar mit dem Klimawandel zu tun hat, funktioniert deshalb auch gut, sagt Spieleforscherin Pirker. Wenn vor allem Klimaaktivisten oder Wissenschafterinnen ein Spiel entwickeln, sei dieses zwar oft lehrreich, mache aber meist wenig Spaß, weshalb es wiederum wenig genutzt werde. Seien wiederum nur Spieleentwickler damit beauftragt, werde das Spiel zwar vielleicht lustig und unterhaltsam, dafür aber wenig lehrreich.

Viele Umweltschützer stoßen sich aber auch an der Spieleindustrie selbst. Gaming verbrauche Schätzungen zufolge weltweit jedes Jahr 75 Milliarden Kilowattstunden Strom – mehr als ganz Österreich. Zudem werden für die Produktion der Computer seltene Rohstoffe benötigt, deren Abbau häufig zu Umweltschäden führt, so die Kritik. Die Entsorgung der Geräte führe wiederum zu mehr Elektroschrott. Zwar haben einige Spielehersteller in der "Playing for Planet"-Initiative angekündigt, ihren ökologischen Fußabdruck bis 2030 zu reduzieren. Vielen Umweltschützern gehen die Pläne allerdings nicht weit genug.

Bessere Zusammenarbeit

Nichtsdestotrotz sehen Expertinnen wie Pirker viel Potenzial beim Gaming in Bezug auf den Klimaschutz – besonders dort, wo Wissenschafterinnen und Spieleentwickler zusammenarbeiten. Glücklicherweise passiert das immer häufiger, da die Spieleentwicklung zugänglicher und interdisziplinärer geworden ist, sagt Pirker.

So entstand beispielsweise als Zusammenarbeit zwischen der BBC und dem US-Spieleentwickler E-Line Media das Spiel Beyond Blue, bei dem Spieler eine Wissenschafterin in der nahen Zukunft bei Tauchgängen im Pazifik begleiten. Um den Ozean und dessen Lebewesen möglichst realitätsnah darzustellen, nutzten die Entwickler Filmmaterial der BBC und Informationen von Meeresbiologen. Bei dem Spiel Bee Simulator wiederum schlüpfen Spieler in die Rolle von Bienen, können Pollen sammeln und erfahren, welche Auswirkungen menschliches Handeln auf die eigene Bienenpopulation hat.

"Beyond Blue" zeigt die Artenvielfalt im Ozean und wurde in Zusammenarbeit mit Meeresbiologen entwickelt.
The Escapist

Beitrag zu Aufräumaktion

Tatsächlich konnten einige Spiele auch einen kleinen Beitrag abseits der Bildschirme leisten. Wie etwa die Entwickler von Pokémon Go – einem Spiel, das die virtuelle mit der echten Welt verbindet –, die Spieler anlässlich des Earth Day 2019 Belohnungen innerhalb des Spiels boten, wenn sie sich an den Aufräumaktionen beteiligten. Durch den Anreiz konnten laut Angaben der Entwickler mehr als 17.000 Menschen in 41 Ländern für die Aktion motiviert werden.

Ein angespielter Test des Spiels "Bee Simulator".
PC Games

Bis die Gaming-Branche in Zukunft wirklich grün wird, muss sie aber noch besser beweisen, dass sie den Übergang von Simulation zu realer Veränderung tatsächlich schafft, sagen Umweltschützer. Denn im Vergleich zu Sims Evergreen Harbour, der schon nach relativ kurzer Zeit zur Ökostadt wird, ist die Umstellung im echten Leben oft beschwerlicher und länger. Zwei Dinge vermitteln die Spiele laut vielen Entwicklern aber bereits besser als jede herkömmliche Information: was der Welt droht, wenn alles so weitergeht wie bisher. Und was möglich ist, wenn wir die richtigen Ideen zur richtigen Zeit umsetzen. (Jakob Pallinger, 18.10.2021)