Ästhetisch zwischen Essen und Verzweiflung pendeln: "Die Nibelungen".

Foto: Herwig Prammer

Mit Wumms in Worms beginnt, was drei Stunden und 20 Minuten später in einem Gemetzel bei Etzel endet. Am Landestheater Linz inszeniert Susanne Lietzow Die Nibelungen von Friedrich Hebbel und lässt gleich zu Beginn auf einem riesenhaften, mit Knochen umkränzten Bildschirm einen Falken von einem Adler zerfetzen. Ästhetisch irgendwo zwischen Discovery und Disney bedeutet die Sequenz einen Angsttraum von Kriemhild, burgundischem Königskind. Schauspielerin Theresa Palfi, zunächst mit überblonden Haaren bis zum Boden, gibt eine belastbare Protagonistin ab. Vom überschwänglichen Kind über eine erstmals Verliebte und Betrogene über eine gebrochene Witwe entwickelt sie die auf Blut sinnende Rächerin mit Monroe-Perücke ganz aus einem Gerechtigkeitsbedürfnis heraus.

Perückenwahnsinn

Aber zunächst träumt Bruder Gunther (Markus Ransmayr) vom Gefügigmachen, also Heiraten, der Frau, die nicht gefügig gemacht werden kann, nämlich Kraftlackl Brunhild, isländische Fürstin (Corinna Mühle). Gespielt wird in diesen ersten Minuten mit viel leidenschaftlicher Artikulation. Neben den vier Königskindern nimmt auch Onkel Hagen auf dem kacknazibraunen Fernsehsofa Platz. Schauspieler Christian Taubenheim hält ausgestellt hemdsärmelig und mit Martin-Sellner-Frisur gegen das ausgestellt naive Treiben der überblonden Familie im Perückenwahnsinn.

Die Kostüme von Marie-Luise Lichtenthal sind das Gegenteil von sparsam. Ebenso die Bühne von Aurel Lenfert und die Musik von Gilbert Handler. Es ist ein Abend, der überall ins Volle greift.

Hässliche Implikationen

Was ihn zu einem spannungsreichen Erlebnis macht, sind die orchestrierten Brüche im Pathos. Plötzlich klingelt das Telefon, plötzlich tritt Siegfried, der Drachentöter, der Herr des Nibelungenschatzes, auf. Christian Clauß gibt diesen nur an einer einzigen Stelle am Rücken verwundbaren Kerl als fröhlich unschuldigen Teenager. Sich seiner Kraft und Macht nicht bewusst oder sich jedenfalls wie selbstverständlich an den dadurch gewonnenen Vorteilen erfreuend, paktiert er, alle hässlichen Implikationen schulterzuckend als nicht plausibel verabschiedend, mit Gunther und bezwingt Brunhild im Kampf für diesen und darf sich seinerseits mit Kriemhild verheiraten.

Für die Darstellung dieses Kampfes greift die für Video zuständige Petra Zöpnek auf Fritz Langs 1924 entstandenen Stummfilm zurück. Später wird ein 70er-Jahre Siegfried-Softporno über den Bildschirm geistern und inmitten all der komplexen Rede von Treue für "comic relief" sorgen. Die Hochzeitsnacht zwischen Brunhild und Gunther beziehungsweise Siegfried kommt als Slapstick-Ballett daher.

Nach dem Sex

Erzählpassagen auf Mittelhochdeutsch treiben die Geschichte voran. Spannende Brüche all das. Aber auch das Schauspiel selbst funktioniert in Kontrasten. Mal übergroß, dann ganz trocken und schnell. Einen Moment lang steigen Palfi und Mühle aus den Figuren aus und verständigen sich über den patriarchalischen Irrwitz des Stoffes, dass Brunhild nach dem Sex kein Kraftlackl mehr ist. Der Stoff ist gewaltig und voller Widersprüche. Diese zu Gehör zu bringen, Die Nibelungen mithin für die Ansprüche platter Propaganda unverfügbar zu machen, das gelingt hier. (Theresa Luise Gindlstrasser, 16.10.2021)