Handhygiene ist wichtig. Politische Hygiene auch.

Foto: Getty Images/iStockphoto

Krach. In Österreichs Politik hat es ordentlich gescheppert. Kann das der Beginn eines Reinigungsprozesses sein? Können schmutzige Deals, Intrigen und ungustiöse Chats dazu führen, dass sich die Spitze der Republik wieder auf so etwas wie Integrität, Anstand und, na ja, Gesetzestreue besinnt? Oder tanzen bald die nächsten Machthungrigen um das goldene Lamm des Einflusses? Das hängt davon ab, ob das politische Personal sich jetzt selbst an der Nase nimmt und wichtige Reformen umsetzt. DER STANDARD präsentiert zehn Reformen, die längst überfällig sind.

1. Du sollst für Transparenz sorgen

Seit Jahren beteuern Regierungen, das Amtsgeheimnis abschaffen und ein Recht auf Information einführen zu wollen. Doch trotz der jahrelangen Ankündigungen und großer inhaltlicher Fortschritte ist auch der türkis-grüne Entwurf für ein Informationsfreiheitsgesetz noch immer nicht beschlossen.

Dabei sind sich Expertinnen und Experten einig, dass ein gutes Transparenzgesetz nicht nur dem Journalismus, NGOs und interessierten Bürgerinnen und Bürgern helfen würde – sondern auch Garant dafür wäre, Korruption zu verhindern. Allerdings: Dafür muss das Gesetz auch wirklich Zähne haben. Im aktuellen Entwurf sind umfangreiche Ausnahmen definiert – selbst wenn Höchstgerichte letztlich für größere Transparenz entscheiden würden, kann das Jahre dauern. Jetzt ist die Zeit für ein starkes Recht auf Information.

2. Du sollst die Konten der Parteien offenlegen

Niemand lässt sich gerne in die Karten oder aufs Konto schauen. Schon gar nicht politische Parteien. Schon gar nicht, wenn Wahlkampf ist. Schon gar nicht, wenn man es mit Spendentransparenz und Kampagnenkostengrenzen nicht immer ganz genau nimmt.

Parteien bekommen viel Geld von Staat, manchmal auch von Spendern. Sie sollten offener damit umgehen.
Foto: imago images/Ralph Peters

Doch wenn die Politik das erschütterte Vertrauen der Bevölkerung zurückgewinnen will, muss sie auch bei den Parteikassen den Transparenzschritt wagen. Das beginnt mit umfangreichen Prüfrechten für den Rechnungshof, geht über volle Spendentransparenz bei Beträgen von mehr als ein paar Euro und endet bei vollständiger Öffentlichkeit bestimmter Ausgaben. Denn es geht hier darum, wer wie Demokratie gestaltet und auf die Politik Einfluss nimmt. Nicht zuletzt erhalten die Parteien viel Geld aus dem Steuertopf. Und wer zahlt, schafft an, oder?

3. Du sollst Lücken im Strafrecht schließen

Nach dem Sushi mit der Oligarchin den einen oder anderen staatlichen Auftrag gegen persönliche Vorteile versprechen? Vollkommen legal, wenn man das entsprechende Amt dafür noch nicht innehat. Heinz-Christian Strache machte das auf Ibiza als Klubobmann, hätte wenige Monate später als Vizekanzler den Deal leicht finalisieren können. Dennoch: Das Versprechen selbst blieb straffrei.

Das Kandidatenstrafrecht, eine Lex Ibiza, steht eigentlich auf der türkis-grünen Agenda. Umgesetzt wurde es noch immer nicht. Auch das Verbot für Parteien, Mandate zu verkaufen, verbleibt im Planungsstadium – obwohl die FPÖ auch hierfür schon einen Anlass gegeben hat. Wer glaubwürdig für saubere Politik eintreten will, muss sich außerdem auch bei überschießenden Wahlkampfkosten und illegalen Spenden des Strafrechts bedienen.

4. Du sollst Whistleblower schützen

Wer Missstände in einem Unternehmen oder einer Organisation meldet, soll keine Angst vor Repressalien haben müssen. Eine EU-Richtlinie sieht deshalb vor, dass Firmen ab einer gewissen Größe geschützte Meldesysteme für Korruption und Gesetzesverstöße einrichten müssen. Österreich hat bis zum 17. Dezember Zeit, diese Richtlinie umzusetzen.

Allerdings: Bisher ist noch nichts geschehen. Und die Zeit drängt. Ein effektives Meldesystem schützt Whistleblower, die etwa auf manipulierte Ausschreibungen oder Gesetzesbrüche hinweisen. Das liegt im Interesse der Allgemeinheit – auch weil solche Maßnahmen laut Experten präventiven Charakter haben: Wer fürchten muss, von Kolleginnen und Kollegen verpfiffen zu werden, hält sich womöglich von Anfang an an die Regeln.

5. Du sollst Kronzeugen ermutigen

Der Deal ist relativ simpel: Wer als Teil einer kriminellen Truppe vor den Ermittlern auspackt, kann einer Verurteilung entgehen. In Österreich befindet sich die Kronzeugenregelung im Probestadium: 2010 wurde sie befristet eingeführt, 2016 dann noch einmal befristet verlängert. Dieses Jahr würde sie auslaufen. Die Verlängerung ist angekündigt, aber noch nicht umgesetzt, wie die Vertreter des Antikorruptionsvolksbegehrens kritisieren.

Kronzeugen kommen unter bestimmten Bedingungen ohne Verurteilung davon – noch.
Foto: istockphoto

Sie fordern auch inhaltliche Nachbesserungen. Etwa dass erzählwillige Beschuldigte auch noch später in den Ermittlungen in den Genuss der Regelung kommen können. Derzeit geht das de facto nur, wenn man ohne großen Druck, quasi aus dem Nichts, aussagt. Und: Es bräuchte größere Rechtssicherheit für die Betroffenen, um sie für die Beichte vor der Staatsanwaltschaft zu motivieren.

6. Du sollst deine Chats nicht löschen

Eine schnelle Nachricht auf dem Handy getippt, und der wohlgesinnte Beamte weiß, welchen Aufsichtsrat der Minister wünscht. Noch eine, und der Kollege im Bundesland weiß, gegen welches Reformvorhaben er opponieren muss. Und damit das im Nachhinein niemand rekonstruieren kann, wird alles bei nächster Gelegenheit gelöscht.

So einfach lassen sich heute auch schmutzige Amtsgeschäfte erledigen, ohne dass sie im Nachhinein auffliegen können. Das Schriftl ist kein Giftl mehr. Die NGO Forum Informationsfreiheit fordert deshalb ein Löschverbot für amtliche Kommunikation: Nachrichten von Politikern müssten für die Nachwelt erhalten und nachvollziehbar bleiben, um politische Verantwortung klären zu können. Und: Private Kommunikation gehört aufs private Handy, dienstliche aufs dienstliche.

7. Du sollst Medien vernünftig fördern

Guter Journalismus blickt hinter die Fassaden der Regierungs-PR, erklärt Wichtiges und deckt so manchen Missstand auf. Ohne Medien geht Demokratie nicht – doch das kostet Geld. Die Finanzierung einer so zentralen Aufgabe dem freien Markt zu überlassen wäre gefährlich. Eine gute Medienförderung muss also her.

Das bedeutet zum einen: mehr Geld. Ein paar Millionen Euro fließen derzeit an (regulärer) Presseförderung. Darüber hinaus braucht das Fördersystem an sich ein Update: Druckkosten- und Vertriebsförderung für Printprodukte sind wichtig, der Fokus muss aber auf qualitätsvollem Journalismus liegen – unabhängig vom Kanal. Es geht um Ressourcen für aufwendige Recherchen, Diversität in den Redaktionen und journalistische Innovationen. Gute Medien gehören zu einem sauberen Staat dazu.

8. Du sollst die Vergabe von Inseraten abgeben

Was an Geld bei der offiziellen Presseförderung fehlt, steckt in teuren Regierungsinseraten: Hunderte Millionen fließen jedes Jahr in Werbung von Regierung, Ländern, Städten und Unternehmen in deren Eigentum. Die Zahlen werden zwar im Nachhinein veröffentlicht, nachvollziehbar sind sie deshalb aber noch nicht.

Denn manche Medien sind den öffentlichen Inserenten sehr viel mehr wert als andere. Der Vorwurf der Inseratenkorruption liegt in Österreich seit Jahren in der Luft, nun führte er sogar zu einer Hausdurchsuchung im Kanzleramt. Die Lösung kann nur radikal sein: enge Grenzen für Regierungsinserate, unabhängige Kommissionen entscheiden, wo die öffentliche Hand wirklich Geld für Information ausgeben muss. Von der Werbung sollte die Politik die Finger lassen.

9. Du sollst U-Ausschüsse aufwerten

Nicht nur Medien und Justiz sind für die Aufklärung fragwürdiger Vorgänge in der Politik da, auch die Rolle des Parlaments muss in dieser Hinsicht aufgewertet werden. Die Reform des Untersuchungsausschusses drängt seit Jahren.

Zum Beispiel: die TV-Übertragung wichtiger Befragungen. Liveticker sind gut und schön, aber es gibt Dinge, die sich schriftlich und in Echtzeit kaum wiedergeben lassen. War die Stimmung im Ausschuss tatsächlich so aufgeheizt und feindselig, wie es Sebastian Kurz nach seiner Befragung behauptet hat? Davon sollten sich die Menschen selbst ein Bild machen können.

Dazu muss eine bessere technische Ausstattung für die Abgeordneten kommen. Wer mit Millionen Seiten Akten arbeitet, braucht professionelle Forensiksysteme, um sie zu durchsuchen.

10. Du sollst anderen ein Vorbild sein

Eine Maßnahme, die kaum in ein Gesetz zu gießen ist – aber dennoch höchst wirksam sein kann. Wenn sich der Chef oder die Chefin schlecht benimmt, nehmen sich alle anderen ein Beispiel daran. Umgekehrt gilt aber auch: Legen die höchsten Amtsträger der Republik auch die höchsten moralischen Standards an den Tag, wirkt sich das positiv auf die unteren Ebenen aus.

Fragwürdige Chat-Nachrichten vom politischen Spitzenpersonal gehören nicht zum "guten Ton", den sich Experten wünschen.
Foto: matthias cremer

Das bedeutet: Spitzenpolitikerinnen und -politiker vermeiden es um jeden Preis, dass auch nur der Anschein entsteht, ihren Entscheidungen läge etwas anderes zugrunde als Gesetz und Sachlage. Sollte das dann doch einmal schiefgehen und die Bevölkerung den Eindruck von Freunderlwirtschaft, Intrige oder Korruption bekommt, werden Konsequenzen gezogen. Das Ansehen von Politik und Republik stehen ja über dem persönlichen Fortkommen. (Sebastian Fellner, 16.10.2021)