Vizekanzler Kogler bei der Präsentation der "ökosozialen Steuerreform" mit dem damaligen Bundeskanzler Sebastian Kurz am 3. Oktober.

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Wien – Eine Woche nach dem Rücktritt von Sebastian Kurz als Bundeskanzler ließ Vizekanzler Werner Kogler Revue passieren, wie die Gespräche unmittelbar vor eben diesem im Hintergrund abliefen. Der Grünen-Chef war es damals, der Kurz "nicht amtsfähig" nannte und damit die ÖVP vor die Wahl stellte: Entweder trete der Kanzler zurück oder aber er stelle eine Regierung ohne die ÖVP auf. Kurz trat bekanntlich zur Seite. "Dieser Schritt verdient Respekt", sagte im "Club3", dem Politik-Talk von Kurier, Krone und Profil, das am Samstag ausgestrahlt wird. Dieser sei Kurz schließlich "sicher nicht leicht gefallen".

Der ÖVP wiederum "fällt das Verdienst zu, dass sie das Richtige rasch getan hat", wie der Kurier schreibt. Für kommende Woche kündigte Kogler demnach ein "langes Gespräch" mit dem Neo-Klubobmann an. Zudem plane der neue Bundeskanzler Alexander Schallenberg, die gesamte Regierung zu einer Aussprache zu laden. Wobei Kogler sich selbst dabei dabei als eine Art Mediator sehe, wie die Krone schreibt.

Alternativszenarien

Es sei den Grünen jedenfalls gelungen, "das Staatsschiff trotz turbulenter Gewässer zu navigieren und jetzt führen wir es wieder in ruhigere Gewässer". Nachdem "eine Bombe eingeschlagen" habe, beruhige sich nun die Lage wieder. Hätten sich hingegen die Türkisen beziehungsweise Schwarzen allerdings geweigert, den Kanzler zu tauschen, "hätte man die Republik nicht zusperren müssen", meinte Kogler: "Es ist ja nie zu spät für eine Umkehr". Sprich: Auch im Falle eines Misstrauensantrag im Parlament und einer Abwahl von Kurz, hätte die ÖVP auch nach erfolgter Abwahl Kurz’ einen neuen Kanzler vorschlagen können. Ansonsten hätten die Grünen gemeinsam mit den Oppositionsparteien SPÖ, FPÖ und Neos sich auf eine "tragfähige Variante" geeinigt, um Neuwahlen zu verhindern. Kogler zufolge hätten die Grünen Allianzen gefunden, um Stabilität zu garantieren und in weiterer Folge auch für Aufklärung in der Causa zu sorgen.

Wie konkret die Gespräche bereits verliefen, vor allem jene mit der FPÖ, verriet er nur so weit: "Es ist überhaupt noch nicht um Regierungsposten gegangen. Die Frage, ob es eine Koalition mit der FPÖ geben könnte, hat sich nicht gestellt." FPÖ-Chef Herbert Kickl habe man "eigentlich nur im Talon" gehabt, denn es sei darum gegangen, "im Nationalrat Mehrheiten für Dinge zu finden, die uns wichtig waren". Diese Mehrheiten hätten sich auch tatsächlich abgezeichnet, und das gleich bei einer Anzahl an Vorhaben, "die größer ist als viele denken", meinte Kogler, etwa im Sozialbereich. "Insofern sage ich, locker bleiben."

Druck auf Landeshauptleute

Auch im Ö1-Gespräch äußerte sich Werner Kogler am Samstag dazu, was hinter den Kulissen ablief: So hätten die Oppositionsparteien mit Unterstützung der Grünen eine "Allianz zur Aufklärung der Korruptionsvorwürfe" im Parlament geschmiedet. Vor allem die rote Parteichefin Pamela Rendi-Wagner werde aktuell falsch verstanden. Irgendetwas sei hier "in der Interpretation schief gelaufen", denn von einer klassischen Koalition sei "nie die Rede" gewesen. Er verteidige SPÖ-Chefin Rendi-Wagner, die er schätze und möge und die mit "den Eigenen schon genug Schwierigkeiten hat, was oft unschön anzuschauen ist": Sie sei lediglich in "außergewöhnlichen Situation zu außergewöhnlichen Maßnahmen" bereit gewesen.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen hätte bereits eine neue Expertenregierung vorbereitet, was die Grünen den ÖVP-Landesfürsten auch deutlich gemacht hätten. Unter starkem parteiinternen Druck sei Kurz schließlich eingeknickt und habe den damaligen Außenminister Schallenberg als neuen Kanzler vorgeschlagen. Ansonsten hätten die Landeschefs laut Einschätzung Koglers wohl selbst einen Kanzler nominiert: "Was hätte das zur Konsequenz gehabt? Dass wir relativ rasch ÖVP-Vorschläge für einen neuen Bundeskanzler oder Bundeskanzlerin gehabt hätten. Das war die nächstgrößere Wahrscheinlichkeit."

Kontakt mit Kurz

Ob das grüne Drohszenario zwar aufgegangen, die ÖVP nun aber unberechenbar geworden sei? Das werde die Zukunft weisen, er erwarte aber eine ungestörte Fortsetzung der Regierungszusammenarbeit: "Die ÖVP ist gut beraten, sich nicht in Unberechenbarkeit zu begeben." Allen Beteiligten sei wichtig gewesen, das "wir aus Verantwortung für längere Zeit die Lage stabil halten" und es keine Neuwahlen gebe. Dass einige Landeshauptleute diese Meinung geteilt hätten und "wir mit denen Verbindung gehalten haben", sei zutreffend. "Entsprechend unserer Aufgabe" würden Schallenberg wie auch er selbst auch weiterhin Kontakt haben mit dem nunmehrigen Klubobmann Kurz. Querschüsse seien allerdings "nicht so günstig an türkiser Spitze". Es seien nun "zu konstruktiver Mitarbeit aufgerufen". Und er gehe davon aus, dass mit Kurz eine konstruktive Zusammenarbeit möglich sein wird: "Es muss ja so sein", sagte er in der Ö1-Reihe "Im Journal zu Gast".

Auch bei der Landesversammlung der Wiener Grünen ging der Bundessprecher auf die Regierungskrise ein: Er resümierte erneut die "mehreren Varianten" und hob den laufenden Kontakt mit den Landesparteien der Grünen hervor. Was aus den Chats hervorleuchte, sei völlig eindeutig gewesen, hielt Kogler fest. Angesichts der in der Anordnung zu den Hausdurchsuchungen dargelegten Vorwürfe, habe man sich entschieden, Konsequenzen zu fordern. "Nicht aus taktischen Gründen." Die Grünen seien nicht diejenigen gewesen, die den "ganzen Quargel" aufgerührt hätten. Man nehme die staatspolitische Verantwortung wahr und versuche, sofort wieder Orientierung zu geben.

Zukunft der Regierung

Im "Club3"-Gespräch räumte Kogler der türkis-grünen Regierung unter dem neuen Bundeskanzler "gute Chancen" ein. Er sei optimistisch, dass erst mit dem regulären Ende der Legislaturperiode 2024 wieder gewählt werde. Allen voran gebe es momentan zwei Krisen, die es zu bewältigen gelte: die Pandemie und den Klimawandel. In puncto Corona kündigt Kogler die Einführung der 3G-Regel am Arbeitsplatz "noch in diesem Jahr" an. Was die Klimakrise angehe, so schlage die Regierung nun durch die ökosoziale Steuerreform und vor allem über die Rückverteilung dessen, was über die Bepreisung hereinkomme nun einen "einzigartigen Weg" ein. Die Differenzen bei den Steuererleichterung je nach Wohnlage erklärte Kogler so: "Durch den Klimabonus gibt es Erleichterungen für alle – und zusätzlich den regionalen Mobilitätsbonus für jene, die nicht die gleichen Möglichkeiten haben."

Justiz nun am Zug

Wie es nun mit Sebastian Kurz weitergehen soll, das müsse man wohl zuerst einmal bei der ÖVP nachfragen, sagte Kogler im "Club3"-Talk. Nun gehe es um Aufklärung, die Justiz solle "ohne Zurufe" ermitteln. Dafür werde auch die grüne Justizministerin Alma Zadić Sorge tragen. Das österreichische Rechtssystem funktioniere hierzulande jedenfalls "einwandfrei". Wobei Kogler durchaus einige Baustellen einräumte, etwa "dass verschiedene Instanzen und verschiedene Staatsanwaltschaften ein Verhältnis pflegen, das dazu führt, dass zusätzliche Probleme auftauchen". Es gebe einige "Erbprobleme", die von anderen verursacht worden seien und die die Grünen nun zu begradigen versuchen müssten. Generell gelte aber: "Wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, dann soll man sich an die durchaus funktionierenden Institutionen des Rechtsstaats wenden, aber nicht den Rechtsstaat bekämpfen."

Auch im Ö1-Gespräch sagte Kogler: In einem Rechtsstaat gebe es Rechtsmittel, und an diesen Rechtsstaat solle man sich wenden, und nicht diesen attackieren. Das gelte auch für den neuen Bundeskanzler. Halte man eine Hausdurchsuchung für nicht gerechtfertigt, könne man eben Rechtsmittel etwa gegen die Verwendung der erhobenen Daten einlegen.

Umfrage: Zwei Drittel glauben an Vorwürfe gegen Kurz

Die deutliche Mehrheit der Österreicher glaubt einer aktuellen Umfrage zufolge, dass die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen Altkanzler Kurz Substanz haben. In einer Erhebung von Unique Research für das Magazin Profil äußerten sich demnach 67 Prozent in diese Richtung. Nur 23 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass an den Vorwürfen nichts dran ist. Wenn am Sonntag gewählt würde, käme die ÖVP mit einem Spitzenkandidaten Schallenberg der Umfrage nach nur noch auf 25 Prozent (minus zehn Prozent) und läge damit gleichauf mit der SPÖ (plus vier Prozent).

Die Grünen könnten laut Umfrage leicht zunehmen (auf 14 Prozent, plus zwei Prozent), FPÖ (19 Prozent) und NEOS (elf Prozent) bleiben unverändert. Nur 16 Prozent würden Schallenberg bei der fiktiven Direktwahl zum Bundeskanzler wählen. Stünde Kurz zur Wahl, würden ihn 20 Prozent direkt zum Kanzler wählen – ein Minus von acht Prozent zu seinem Wert im Vormonat.

Auch einige Tage zuvor hatte eine Market-Umfrage für den STANDARD einen Absturz der ÖVP ergeben: Die Kanzlerpartei rutscht von 31 Prozent im August auf 27 Prozent ab – gegenüber der Nationalratswahl vor zwei Jahren (37,46 Prozent) würde sie also rund zehn Prozentpunkte oder etwa jeden vierten Wähler verlieren. Allerdings bleibt die ÖVP in der Market-Hochrechnung (ebenso wie in den Rohdaten) stärkste Partei, allerdings nur noch mit zwei Prozentpunkten Abstand zur SPÖ (25 Prozent).

Khol: "Atmosphäre einer Hexenjagd"

Der ehemalige Nationalratspräsident Andreas Khol (ÖVP) sprach Freitag Abend davon, "die Kirche im Dorf zu lassen". Im Zeit im Bild-Interview meinte er, es sei notwendig zu trennen zwischen einer sehr "verhetzten Atmosphäre" und einer "Atmosphäre einer Hexenjagd". Es stünden "unangenehme Vorwürfe im Raum", von denen bislang nichts bewiesen sei.

Auch der ÖVP-Ethikrat spreche hier von einer Frage der politischen Moral und sehe keine rechtliche oder politischen Verantwortung. Khol begrüßte die Vorgangsweise des Ethikrats, der zuvor einzelne Aussagen in den Chats kritisiert hatte: Es ist ein außergewöhnlicher Vorgang, dass ein Ethikrat selbstkritisch Vertreter der eigenen Partei überprüft." Die "Fetzen-Botschaften aus dem Telefon" könne niemand akzeptieren. Aber Kurz habe sich entschuldigt. Darüber hinaus seien die Nachrichten aus dem Zusammenhang gerissen und hätten nie an die Öffentlichkeit gelangen dürfen. (giu, 16.10.2021)