Inhalte des ballesterer (http://ballesterer.at) #165 (November 2021) – Seit 15. Oktober im Zeitschriftenhandel und digital im Austria-Kiosk (https://www.kiosk.at/ballesterer)

Schwerpunkt: Fussball und Videospiele

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Matchberichte aus Deutschland, Spanien und Norwegen

Antoine Griezmann tanzt "Take the L".

Foto: APA/AFP/FRANCK FIFE

Ein Tor fällt – und was dann? Daniel Welbeck macht den "Salzstreuer", Antoine Griezmann tanzt "Take the L", Dele Alli wackelt den "Floss". Wie bitte? "Wenn du einen Jubel siehst, den du nicht verstehst, ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit aus ‚Fortnite‘. Einem Spiel, das die Welt im Sturm erobert und in die Sphäre des Sports in einer Weise einsickert, wie man es nur selten gesehen hat." So beschrieb James Dator vom Blog SB Nation im März 2018 den Hype, als die seltsam anmutenden Jubelgesten in sämtlichen Sportarten vermehrt zu sehen waren.

Im Fußball wurde nicht immer ausufernd gejubelt. In früheren Jahrzehnten waren geballte Fäuste, ungelenke Hüpfer und vereinzelt Jubeltrauben Ausdruck der Freude. In manchen Ländern hätte man die "Fortnite"-Tänze als Verhöhnung des Gegners und grobe Unsportlichkeit ausgelegt. Selbst ein Exzentriker wie Diego Maradona feierte nach heutigen Standards verhalten, doch sein Zeitgenosse Hugo Sanchez setzte bereits erste Meilensteine.

Der Mexikaner legte sich mit seinem Vorwärtssalto als Erster einen personalisierten Jubel zu. Auch der Eckfahnen-Makossa von Roger Milla bei der WM 1990 ist im Bildgedächtnis des Weltfußballs gespeichert. In Folge sah man Babybäuche, Sambas und Flickflackeinlagen. Große Sommerhits wie "Gangnam Style" und "Ai Se Eu Te Pego" fanden mit ihren dazugehörigen Tänzen ebenfalls Niederschlag im Repertoire. Und dann kam "Fortnite".

Für ABC- und Torschützen

Unter bildungsbürgerlichen Eltern hat das ab zwölf Jahren freigegebene Spiel einen zweifelhaften Ruf, kaum besser als Heroin. "Epic Games hat mit ‚Fortnite‘ ein Spiel mit einem sehr hohen Wiederspielwert auf den Markt gebracht. Es stimmt, dass die Kinder in diesem Spielmodus schnell die Zeit vergessen", sagt Spielpädagogin Claudia Bayerl. "Es muss aber dennoch eine Restverantwortung bei den Eltern bleiben, ihre Kinder medienpädagogisch zu erziehen."

Bayerl arbeitet bei der wienXtra-Spielebox, die Freizeitaktivitäten für Kinder und Jugendliche organisiert. Sie setzt sich intensiv mit pädagogischen Aspekten digitaler Spiele auseinander. Dafür ist es bei den Fußballprofis wohl schon zu spät, sie scheinen dem Spiel ähnlich viel Freizeit zu widmen wie Schulpflichtige.

Doch was ist "Fortnite" eigentlich, Frau Bayerl? "Streng genommen ist es nur der Überbegriff für verschiedene Spielmodi. Wir reden im Allgemeinen über ‚Fortnite. Battle Royale‘. Das Spiel ist per se kostenlos, bietet aber diverse Elemente und kosmetische Erweiterungen gegen Echtgeld an." Um den Plot in aller Kürze zu erklären: Man wird auf einer Insel abgeworfen, kann dort eine Menge cooles Zeug anstellen und kämpft gegen alle anderen auf dem Eiland, bis nur noch einer übrigbleibt.

Das hat offensichtlich auch den Kickern gefallen, denn schon bald nach dem Erscheinen im Sommer 2017 tauchten erste Referenzen auf "Fortnite" unter Fußballern auf. Einerseits durch typische Spielhandlungen: Einer kriecht am Boden, einer hackt auf ihn ein, einer bandagiert ihn. Das hat keine tiefere Bedeutung, drückt nur die Freude und Begeisterung der Kicker am Zocken aus. Interessanter sind die Jubeltänze oder Emotes, wie sie Bayerl nennt.

Wann kommen die Gesten im Spiel zum Einsatz? "Die Emotes können die Spielenden jederzeit machen. Es gibt eines, bei dem sich die Figur in einen Sessel setzt und Banjo spielt, mit dazu passender Audioausgabe. Manche führen dieses Emote aus, während sie auf den Start einer neuen Runde warten." Mit den Gesten und Tänzchen werde nicht immer jemand provoziert, das komme aber vor. "Viele Emotes dienen dem Ausdruck der Freude, manche auch der Schadenfreude."

Während der auch aus dem WM-Finale 2018 bekannte "Take The L"-Tanz von Griezmann aus dem Spiel stammt, sind viele Emotes aus dem Bilderstrom der Popkultur gefischt worden. Aus Fernsehserien wie "Seinfeld" und "Scrubs", aus Musikvideos, aus Twitter und Instagram wie der "Salzstreuer" von Welbeck, der eigentlich der Signature-Move des Gastro-Unternehmers Nusret Gökce ist. Bei ihm hat Franck Ribery sein goldenes Tomahawk-Steak bestellt, das einen ausgewachsenen Shitstorm nach sich gezogen hat.

Aus Spaß an der Freude

Die Grenze von realer und digitaler Welt verwischt immer mehr: Abgefilmte Realität wird zum Meme, das Meme zum Emote, das Emote von Sportlern in ihre Wettkämpfe integriert. Diese kann man wiederum als Game nachspielen, die Simulation "FIFA 21" kennt bereits 100 Möglichkeiten, ein Tor zu feiern. So wird die Frage, woher eine Jubelgeste stammt, zum Henne-Ei-Problem.

Weil man in der Welt des modernen Fußballs immer annehmen muss, dass hinter allem die Gier nach Geld steckt: Ist es nicht ein sonderbarer Zufall, dass so viele Spieler – fast wie in einer konzertierten Aktion – nach "Fortnite"-Art jubeln? Sind wir besonders raffiniertem Crossmarketing aufgesessen? Claudia Bayerl kann sich das nicht vorstellen. "Die ‚Fortnite‘-Emotes haben in der Offlinewelt so viel Erfolg gefeiert, weil sie genauso niederschwellig sind wie das Spiel: Die Tänze sind gratis, können überall aufgeführt werden und zeigen meiner Umgebung, wofür ich mich interessiere", sagt sie.

"Die Gesten im Rahmen der Spiele aufzuführen, hilft den Fußballern in den Medien sicherlich genauso stark, wie es ‚Fortnite‘ hilft." Die Sportler würden so auch von einer jüngeren Zielgruppe besser wahrgenommen werden. Das könnte wiederum erklären, wieso sich die Fußballverbände dem Hype gegenüber recht tolerant verhalten und keine Strafen wegen Schleichwerbung verhängt haben.

Anfang 2021 haben sich Fußball und "Fortnite" erneut getroffen. Der Spielehersteller Epic Games hat Kooperationen mit 23 Vereinen abgeschlossen – von Manchester City über Borussia Mönchengladbach bis zu den Western Sydney Wanderers. Man kann sich im Spiel in den Farben dieser Vereine einkleiden und eine reichlich lahme Geste namens "Pele’s Air Punch" ausführen. Diesmal ist wohl Geld geflossen, und gleich macht es weniger Spaß. (Hannes Gaisberger, 18.10.2021)