Es kann sehr einsam werden auf offener See.

Foto: Ervin Dittrich

Attila Mányoki mit Martin Schauhuber, "Oceans Seven: How I Cheated Death and Broke the Hardest Record in Swimming". € 16,79 / 199 Seiten. 2021. Erhältlich auf Amazon.

Zehneinhalb Stunden ist Attila gestern geschwommen, das ist sogar für seine Verhältnisse viel. Jetzt liegt er im künstlichen Koma.

Vor zwei Jahren hat er es schon einmal übertrieben, damals war aber er nur eine halbe Stunde bewusstlos. Nach dem Aufwachen hat er stolz gesagt: "Ich habe es bewiesen! Ich habe meine Grenzen überschritten!"

Ist das normal? Nein. Aber faszinierend. Zumindest damals, als Attila gesund in einem Café gesessen ist und diese Geschichte zwischen zwei Sandwichbissen erzählt hat. Jetzt, da ihm überall die Schläuche rauskommen, ich am Spitalsbett stehe und einfach gar nichts mehr packe, ist es anders. Ist es das wert? Niemals.

Ratlosigkeit

Attilas Partnerin Mónika hat den Kollegen vom ungarischen Fernsehen die ganze Nacht am Telefon wachgehalten. Mein Glück war, dass ich kein Ungarisch spreche. Aber auch mein Pech, man will ja etwas tun, obwohl ich keine besseren Antworten geben könnte. Wie ist es ihm auf dem Boot zurück zur Küste gegangen? Er war am Rande der Bewusstlosigkeit. Was hat er gesagt? Nichts. Wird er wieder? Wir wissen es nicht, Móni, aber ja, sicher, das wird schon, er ist ja unverwüstlich.

Attilas Arzt glaubte nicht, dass er die erste Nacht überleben würde.
Foto: Ervin Dittrich

Nach der zweiten Nacht wissen wir: Attila überlebt. Mehr können die Ärzte noch nicht sagen. Sie erzählen von einem kollabierten und einem halbgefluteten Lungenflügel, von 28,6 Grad Celsius Körpertemperatur und von dem Gift, diesem bösartigen Quallengift. Vom Begleitboot haben wir gesehen, wie Attila den orange-fasrigen Ungetümen am Ende gar nicht mehr auswich. Wir haben gesehen, wie sich sein Bauch aufblähte, und gehört, wie röhrende Rülpsgeräusche aus seinem Körper brachen. Als er auf unsere Zurufe gar nicht mehr reagierte, hat ihn die Organisatorencrew aus dem Wasser geholt.

Die Kälte

Attila wollte den North Channel durchqueren, von Nordirland nach Schottland. Je nach Strömung schwimmt man 35 bis 45 Kilometer durch elf bis 15 Grad kaltes Wasser. Ich habe einmal ein paar Minuten mittrainiert, natürlich an der Küste, wo es am wärmsten ist. Mir ist immer noch kalt.

All das ist jetzt drei Jahre her. Der North Channel war Attilas letzter Schritt zur Vollendung der Oceans Seven, der größten Herausforderung im Ozeanschwimmen. Diese Oceans Seven sind sieben der schwierigsten schwimmbaren Meeresengen, erst 21 Menschen haben alle geschafft. Ein Vergleich, den Attila gerne bringt: Auf dem Mount Everest waren etwa 6000 Menschen.

Die Straße von Gibraltar und der Ärmelkanal gelten als die einfachsten Etappen der Oceans Seven. Die Tsugaru Strait zwischen Japans größten Inseln Honshu und Hokkaido ist schon deutlich gefährlicher, die Cook Strait zwischen der Nord- und Südinsel Neuseelands ist mit starken Strömungen und akuter Haigefahr auch kein Zuckerschlecken. Der North Channel ist für die meisten aber der Endgegner.

Es ist passiert

Warum ich mit einem Sportler in Nordirland war, der sogar in seiner Heimat nur mäßig bekannt ist? Dafür muss man noch weiter zurück, bis in den Herbst 2016. Geplant war ein ganz normales Interview: Café, Eisbrecherfrage, Plaudern, G’schicht. Wir redeten drei Stunden. Übrig blieb ein Gedanke: "Das ist ein Buch."

Vielleicht hätte ein 22-Jähriger mit Schwächen in Sachen Selbstdisziplin dieses Fass nicht aufmachen sollen. Egal. Verlag wollte Attila nicht, Deadlines wollte ich nicht, man einigte sich. Der Amazon-exklusive Vertrieb tut zwar moralisch weh, war in unserer Lage aber relativ alternativlos. Also hat mir Attila sein Leben erzählt. Wahnwitzige Schwimmereien, gestohlene Rucksäcke, seine große Liebe. Stundenlang, tagelang, die Speisekarte unserer Lieblingskonditorei habe ich praktisch durch. Immer wieder haben wir über diesen unerklärlichen Willen zum Erfolg – und zur Lebensgefahr – geredet. Ich wollte wissen: Warum ist der so?

Der Plan

Schwimmen kann auch Freude machen.
Foto: Stefan Schauhuber

"Es gibt keinen Plan B", sagte Attila einmal. Ich hatte gefragt, warum er nie eine Trainingseinheit abbricht, aber es hätte seine Antwort auf jede andere Frage sein können. Begleitet man diesen so laut lachenden Mittvierziger fünf Jahre lang, versteht man ihn irgendwann ein wenig besser. Man hört von einer schweren Kindheit, von Schlägen und von der Unmöglichkeit, sich als viel zu klein gewachsener Schwimmer auf höchstem Niveau zu beweisen. Man erlebt, was es bedeutet, sein ganzes Leben einem Ziel zu widmen.

Fast alles, was dieser Mensch tut, kommt vom Schwimmen oder führt zum Schwimmen. Sponsorentermine, Planung und endloses Training. Nur das Familienleben ist eine kleine Insel, die nur gelegentlich von der Schwimmerei überflutet wird. Das ist noch erträglich, wenn zu Hause der Wasserboiler kaputt ist, Attila sich aber gerade in San Francisco die Badehose anzieht. Das wird unerträglich, wenn Mónika nach einer durchtelefonierten Nacht endlich auf dem Flughafen von Belfast landet.

Es ist kein leichtes Leben mit einem Getriebenen, der kein Aufhören kennt. Ein kleiner Buchauszug:

Fast zu sterben hat meine Diskussionen mit Móni nicht leichter gemacht.

"Für mich ist der der Sieger, der vier Achttausender besteigt und überlebt. Nicht der, der auf dem zwölften stirbt!", sagt sie.

Ich verstehe ihre Angst. Aber ich kann nicht aufhören. "Wenn er zwanzig Jahre später aufhört, hat er weniger Gipfel als der andere. Weil er die Mentalität eines Aufgebers hat!"

"Aber er lebt!"

"Ob tot oder lebendig, das interessiert niemanden! Der andere hat mehr erreicht", flehe ich sie an. Wenn mir Leute sagen, dass ich ein Sieger bin, weil ich es überlebt habe … Wen interessiert das? Wenn ich wirklich etwas erreiche, dann werden die Menschen zu mir aufschauen. Auch wenn ich danach ein paar Tage im Spital bin.

Als mir Attila einige Tage später von dieser Diskussion erzählte, begriff ich, dass er sich das alles wirklich gut überlegt hat. Sein Wille zur Selbstzerstörung ist nicht einer inneren Alternativlosigkeit geschuldet; er sieht das einfach als besten Weg, sein Leben zu bestreiten. Wer Abbrechen als Plan B zulässt, hat es beim Marathonschwimmen wirklich schwer. Unsereins würde diesen in einer siebenstündigen Trainingssession sehr schnell zum Plan A machen. Von Ganztagsschwimmereien mit Quallenbusserl im Halbstundentakt ganz zu schweigen.

Attila (l.) anno 1996.
Foto: Attila Mányoki

Bei den Oceans Seven geht es für die allermeisten nur darum, auf die andere Seite zu kommen. Attila hätte das nicht gereicht. Er wollte die schnellste Gesamtzeit. Er fühlte sich von seinem Geburtsort benachteiligt: Andere, besser Verdienende können schwimmen, so viel sie wollen und schaffen. Attilas ungarisches (Sponsoren-)Geld finanzierte maximal zwei Reisen und Begleitboote pro Jahr. Andere zogen so beim Sevens-Sammeln an ihm vorbei, aber der Zeitvergleich, der war seine Sache. Im Wasser sind alle gleich.

Der Abschluss

Nach zwei Nächten konnten die Ärzte Attila aus dem künstlichen Koma wecken. Mit dem Reden musste er sich etwas gedulden, das ging mit den Schläuchen im Mund nicht. Als er wieder sprechen durfte, begann er mit den Planungen für seinen dritten North-Channel-Versuch. Außer die Ärzte und Pfleger überraschte das genau niemanden.

Attila und zwei der Pflegekräfte, die ihn am Leben hielten.
Foto: Ervin Dittrich

Ein Jahr später durfte ich wieder mit aufs Boot. Es gab schwierige Strömungen, weniger Quallen, mehr Delfine, schottische Nachmittagssonne und vielleicht auch einen Moment, in dem ich zurückdachte und mir selbst zuflüsterte: Das ist es wert. Aber ich will hier nicht das Schlusskapitel vorwegnehmen. Es wollen Konditoreirechnungen ausfinanziert werden. (Martin Schauhuber, 18.10.2021)