Seit vergangener Woche ist Sebastian Kurz zurück auf der Abgeordnetenbank – und damit vorerst immun.

Foto: Heribert Corn

Ex-Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) wird also ausgeliefert, aller Voraussicht nach in der nächsten Plenarsitzung des Nationalrats, die findet vom 16. bis zum 19. November statt. Etwa einen Monat lang muss also die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) ihre Ermittlungen gegen Kurz ruhen lassen. Was heißt das konkret?

Erst ein Blick in den Auslieferungsantrag. Den stellte die WKStA am 14. Oktober, also gleich an dem Tag, an dem Kurz als Nationalratsmitglied angelobt worden war. Darin ersucht sie um Zustimmung des Nationalrats zur Verfolgung des Abgeordneten Kurz, denn sie wirft ihm vor, sich der Untreue und der Bestechlichkeit als Beitragstäter schuldig gemacht zu haben. Eine Anklage gibt es allerdings noch nicht. Für Kurz und für alle Mitbeschuldigten gilt die Unschuldsvermutung.

Offenes Ende des B.-"Österreich"-Tools

Der WKStA beschäftigt sich mit der Frage, wie weit Kurz in die Inseratencausa involviert war. Bekanntlich geht es darum, dass frisierte Umfragen gegen Steuergeld in der Tageszeitung "Österreich" platziert worden sein sollen. Konkret geht es um den Zeitraum vom April 2016 bis zum 5. Oktober 2021.

Denn die Ermittler nehmen an, dass im Jahr 2016 "ein Tatplan entworfen wurde, der aufgrund der derzeitigen konkret bekannten Handlungen bis zumindest März 2018 umgesetzt wurde". Was in der Zeit, also bis zum Frühling 2018, mutmaßlich passiert war, war für die Ermittler relativ einfach zu rekonstruieren: Die Chats von Thomas Schmid, Ex-Generalsekretär im Finanzministerium, gaben zahlreiche Einblicke, sie reißen dann allerdings ab.

Nachdem aber das Unternehmen von Meinungsforscherin B., sie ist ebenfalls Beschuldigte in der Causa, laut WKStA bis 2020 vom Finanzministerium beauftragt wurde, und auch "bis zuletzt" Umfragen sowie Inserate in der Tageszeitung "Österreich" erschienen waren, seht für die Ermittler der Verdacht im Raum, dass das B.-"Österreich"-Tool bis zum Tag vor der Hausdurchsuchung angewandt wurde, konkret bis zum 5. Oktober. Weil am Tag darauf bei "(fast allen) Beschuldigten", wie die WKStA schreibt, Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, geht man nicht davon aus, dass die mutmaßlichen Straftaten danach noch weiter begangen wurden.

Was folgte, ist bekannt: Kurz legte sein Amt als Bundeskanzler zurück und wechselte als Klubobmann in den Nationalrat – und damit in den Schutz der Immunität. Wobei die ÖVP und Kurz selbst von Anfang an betonten, dass diese aufgehoben werden sollte, immerhin gelte es, die Unschuld des Kurz rasch aufzuklären.

Der Auslieferungsantrag muss nun erst in den Immunitätsausschuss, dann in den Nationalrat. Passiert das nicht, wird die Immunität innerhalb von acht Wochen automatisch aufgehoben. Die nächste Plenarsitzung findet von 16. bis 19. November statt. Üblich ist, dass unmittelbar davor der Immunitätsausschuss zusammenkommt. Dessen Vorsitzende Selma Yildirim (SPÖ) schlägt daher den 16. als Sitzungstermin vor, sofern nicht früher eine Sondersitzung stattfindet. Aus der ÖVP heißt es, man gehe ebenfalls vom 16. aus.

Keine Durchsuchungen

Für die Ermittler der WKStA bedeutet das jedenfalls, dass sie bis zu dem Zeitpunkt, also einen Monat lang, den Aspekt Kurz in der Inseratencausa ausklammern müssen. Das Ermittlungsverfahren gegen die anderen Beschuldigten – dazu zählt auch die Bundes-ÖVP – geht weiter. Wenn im Zuge dessen aber nun beispielsweise eine E-Mail auftaucht, die Kurz belastet, dann, so erklärt Verfassungsjurist Heinz Mayer, "müssen sie diese auf die Seite legen und warten, bis die Immunität aufgehoben ist".

Auch eine Zwangsmaßnahme, also etwa eine Festnahme, ist in dem Zeitraum vom Tisch. Sollten bei den Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und in der ÖVP-Zentrale etwa Geräte von Kurz beschlagnahmt worden sein – ob dem so ist, ist nicht bekannt –, dürften auch diese nicht ausgewertet werden, solange er noch immun ist.

Und: So weit bekannt, wurde in den Privaträumlichkeiten von Kurz bisher noch keine Hausdurchsuchung durchgeführt. Auch eine solche wäre freilich tabu, bis die Immunität aufgehoben ist. All das gilt für die bekannten Vorwürfe. "Wenn die WKStA von weiteren Straftaten Kenntnis erlangt oder ein solcher Verdacht aufkommt", sagt Jurist Mayer, "dann müsste sie wegen dieses Tatverdachts einen neuen Auslieferungsantrag stellen". Ein solcher könnte wieder bis zu acht Wochen liegen. (Gabriele Scherndl, 18.10.2021)