Wie stark ist der Aufschwung? Arbeitsminister Martin Kocher.

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Die Regierung ist nach dem Chatskandal noch ordentlich durchgebeutelt, aber Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) hatte in den vergangenen Tagen gute Nachrichten vorzuweisen. Die Arbeitslosigkeit gehe in Österreich weiter zurück, schrieb er etwa vor einer Woche auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Die Zahl der Arbeitslosen inklusive der Schulungsteilnehmer beim AMS würde bereits unter dem Vorkrisenniveau liegen, freute sich der Minister. Schon zuvor hatte er diese Entwicklung via Aussendung kundgetan.

Ohne Zweifel richtig daran ist, dass die Erholung am Arbeitsmarkt in Österreich für alle Experten überraschend kräftig ausgefallen ist. Rund 338.000 Menschen waren im September arbeitslos gemeldet oder befanden sich in Schulung. Das sind um 17 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Aber lässt sich wirklich sagen, dass die Daten vom Jobmarkt schon robuster sind als vor der Krise? Diese Darstellung blendet zumindest eine wichtige Entwicklung aus: die Kurzarbeit.

Dieses Kriseninstrument ist genau deshalb in der Pandemie ausgebaut worden, damit Unternehmen, die andernfalls Mitarbeiter kündigen würden, diese lieber in Kurzarbeit schicken und damit weiterbeschäftigten. Damit soll ein Anstieg der Arbeitslosigkeit verhindert oder abgeschwächt werden.

Mehr Betroffene als auf dem Höhepunkt der Finanzkrise

Nun ist die Zahl der Menschen in Kurzarbeit seit dem Höhepunkt der Pandemie im Frühjahr 2020 stark zurückgegangen. Aber laut aktuellen Zahlen des AMS sind derzeit immer noch etwas mehr als 70.000 Menschen zur Kurzarbeit angemeldet. Die Zahl der Personen, die tatsächlich in Kurzarbeit geschickt werden, ist im Regelfall niedriger. Aktuell gibt es 31.700 Betroffene. Zum Vergleich: Im selben Zeitraum 2019 waren 700 Menschen in Kurzarbeit.

Warum wird das Modell immer noch so stark nachgefragt? Das hat mehrere Gründe. Lieferkettenprobleme machen der Industrie zu schaffen, weshalb Produktionskapazitäten stillgelegt wurden. Das Opel-Werk in Wien-Aspern hat zum Beispiel vor kurzem 460 Mitarbeiter zur Kurzarbeit angemeldet, auch andere Autobauer und sogar Stahlwerke melden aktuell verstärkt an. Daneben sind nach wie vor viele Mitarbeiter aus der Hotellerie und Gastronomie in Kurzarbeit, ebenso nutzt der Handel das Modell.

Die Kurzarbeit gibt es derzeit in zwei Varianten. Besonders jene für Unternehmen, die in der Krise hohe Umsatzausfälle hatten, ist sehr generös aus Sicht der Betriebe. Das sorgt offenbar für Nachfrage.

Dazu kommt laut Helmut Mahringer vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo), dass viele Unternehmen krisenbedingt Praxis darin haben, die Anträge rasch zu stellen. Der Verwaltungsaufwand ist also überschaubar, auch das führe dazu, dass Kurzarbeit beliebt bleibt. Diese Kombination aus generösem Modell und einfacher Abrechnung sorgt dafür, dass aktuell mehr Menschen zur Kurzarbeit angemeldet sind, als selbst am Höhepunkt der Finanz- und Wirtschaftskrise im April 2009 angemeldet waren. Damaliger Spitzenwert waren rund 56.000 zur Kurzarbeit angemeldete Personen.

Wer verliert den Job?

Nun ist nicht gesagt, dass die Arbeitnehmer andernfalls gekündigt worden wären. Aber derzeit sind 30.000 Menschen mehr in Kurzarbeit als im Vergleichsmonat vor Ausbruch der Pandemie. Zugleich ist die Zahl der Arbeitslosen und Schulungsteilnehmer um 3700 niedriger als damals. Es ist also sehr plausibel, dass ohne das Kriseninstrument die Arbeitslosenzahlen schlechter wären als vor Corona. Der Aufschwung am Arbeitsmarkt ist beachtlich. Aber die Krise am Jobmarkt bleibt sichtbar.

AK-Experte kritisiert "Kurzfristigkeit"

Weitere Probleme ortet der Arbeitsmarktexperte Gernot Mitter von der Arbeiterkammer (AK), der am Dienstag im Ö1-"Morgenjournal" zu Gast war. Die für 2022 budgetierten 500 Millionen Euro für Programme gegen Langzeitarbeitslosigkeit seien laut Mitter zu begrüßen. "Das Problem ist, dass sich Langzeitarbeitslosigkeit nicht in einem Jahr im Nichts auflöst. Das ist ein Problem, das über Jahre bestehen bleibt", sagt Mitter zu Ö1. Im Gegensatz zu den 500 Millionen, die für 2022 zur Verfügung stehen, sind aktuell für das Jahr 2023 nur mehr 320 Millionen Euro zur Unterstützung Langezeitarbeitsloser vorgesehen. Mitter kritisiert daher die "Kurzfristigkeit" der Budgetmaßnahmen.

Auch die "Aktion Sprungbrett", bei der Arbeitgeber zeitlich begrenzt unter anderem Zuschüsse zu Lohn- und Lohnnebenkosten erhalten, ist laut Mitter womöglich zu kurz gedacht. "Das Problem ist, dass wir nicht wissen, ob die Eingliederungsbeihilfe auch dann noch wirkt, wenn sie ausgelaufen ist", sagt Mitter.

Nach dem Arbeitsmarktservice gefragt, sagt Mitter, hier bräuchte es deutlich mehr Personal. "Die richtige Weiterbildung für den richtigen Menschen zu finden braucht Zeit und Kommunikation. Das ist derzeit nicht gegeben", konstatiert der Experte. Gerade in Zeiten, in denen die Vermittlung schwierig ist, kann eine Beraterin oder ein Berater des AMS nicht wie aktuell 280 Arbeitslose betreuen, vielmehr sei ein Schlüssel von 1:100 anzustreben, um erfolgreiche Beratung zu gewährleisten. (András Szigetvari, red, 19.10.2021)