Die juristische Aufarbeitung einer Sitzblockade im Rahmen einer Klimademo dauert weiter an. Die Aufnahme zeigt die Festnahme, kurz bevor Schindler unter dem Auto fixiert wurde.

Foto: Lukas David Beck

Mai 2019, direkt vor der Brücke bei der Wiener Urania: Mehrere Klimaaktivistinnen und -aktivisten haben sich auf die Straße gesetzt, um mittels einer Sitzblockade für eine Wende in der Klimapolitik zu demonstrieren. Als die Polizei anrückt, um die Blockade aufzulösen, kommt es zu mehreren Zwischenfällen.

Einer ist besonders in Erinnerung geblieben: Als Anselm Schindler – der das Geschehen am Rande beobachtete – festgenommen wird, fixieren ihn zwei Polizisten in Bauchlage am Boden. Schindlers Kopf liegt dabei unter einem Polizeibus, knapp vor einem Hinterreifen. Als der Bus plötzlich anfährt, wird er in letzter Sekunde von den beiden Beamten weggerissen.

Gefährdung

Vor wenigen Wochen wurde jener Beamte, der bei der Festnahme Schindlers führend beteiligt war, wegen Amtsmissbrauchs zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Am Montag musste sich nun der Beamte M. am Bezirksgericht Innere Stadt verantworten, der am Steuer des Busses saß. Ihm wird Gefährdung der körperlichen Sicherheit vorgeworfen. Das Verfahren kreiste also um die Frage, wie es so weit kommen konnte, dass M. trotz der Tatsache, dass ein Mann unter dem Bus lag, anfuhr.

M. beschrieb die Situation so: "Es kam zu Gerangel zwischen Demonstranten und der Polizei. Die Reizüberflutung war sehr stark." Er habe immer wieder nach links und rechts geschaut. Auf die Frage von Richter Peter Wimmer, ob er denn gesehen habe, dass jemand verhaftet werde, sagte M.: "Ich habe gesehen, dass sich was tut." Ob jemand festgenommen oder bloß weggewiesen werde, habe er aber nicht erkennen können. Zudem habe er dem, was passiert, "keine Bedeutung beigemessen". Er habe lediglich registriert, dass sich die Situation zuspitze.

Viele Videos

Und diese war in der Tat aufgeheizt. Das belegen unzählige Videos von Beobachtern. So wurde etwa ein paar Meter neben der Szene mit dem Bus auch eine Festnahme eines Demonstranten gefilmt, der von einem Beamten mehrere Schläge in die Niere kassierte. Der Polizist wurde erst kürzlich wegen Körperverletzung (nicht rechtskräftig) verurteilt. Und auch im aktuellen Verfahren spielen die Videos eine große Rolle: So gibt es zwar mehrere Zeuginnen und Zeugen, die den Vorfall aus unmittelbarer Nähe beobachten konnten. Nachdem der Einsatz aber mehr als zwei Jahre zurückliegt, ist die Erinnerung nicht so lückenlos wie das vorliegende Filmmaterial.

Und dort ist zu sehen – darauf macht der Staatsanwalt aufmerksam –, wie M. die Amtshandlung mitbekommen habe, da er einen "freien Blick auf die Szene" gehabt habe. "Es wird jemand festgenommen, zu Boden gebracht und kommt unter dem Bus zu liegen. Das sieht der Angeklagte auch", führt der Staatsanwalt aus. M. wird nicht vorgeworfen, dass er absichtlich anfuhr, weil er gewusst hätte, dass sich Schindler zu dem Zeitpunkt weiterhin unter dem Bus befindet. Ihm wird aber vorgeworfen, nicht genügend Sorge dafür getragen zu haben, dass er es nicht ist. Grundsätzlich handelte M. auf Befehl eines Vorgesetzten, der ihn anwies, den Bus in eine zu bildende Sperrkette einzureihen. Die Verantwortung für das Anfahren liege aber bei dem Angeklagten – darüber waren sich alle, auch der Angeklagte selbst, einig.

Der Fehler aus Sicht der Anklagebehörde: M. habe nicht ausschließen können, dass die Amtshandlung zu Ende und der Betroffene in Sicherheit sei. "Er müsste noch einmal in den Seitenspiegel schauen, aussteigen oder warten, bis die Festnahme vorbei ist." Dass die Amtshandlung nicht optimal verlaufen ist, gesteht auch M. heute ein. Er will sich deshalb entschuldigen: Er habe ihn "kein einziges Mal gesehen", sagte er zu Schindler, der als Zeuge geladen war. Zu einem späteren Zeitpunkt sprach M. davon, dass er die Vorgänge lediglich im "peripheren Sichtfeld" wahrgenommen habe.

Die Entschuldigung könne er nicht annehmen, entgegnete Schindler allerdings: Und zwar deshalb, weil M. zuvor eine diversionelle Einigung abgelehnt habe. In der Tat hat die Staatsanwaltschaft dem Beamten zuvor eine Diversion angeboten, die dieser ausschlug.

Symbolischer Betrag

Dass M. diese abgelehnt habe, erschließe sich auch ihm nicht, erklärte Richter Wimmer bei der Urteilsbegründung: "Jetzt haben Sie, falls das Urteil rechtskräftig wird, eine Eintragung und einen denkbar schlechteren Stand im Disziplinarverfahren." M. wurde zu einer Geldstrafe von 2.250 Euro verurteilt, zudem muss er Schindler hundert Euro zahlen, da sich dieser mit einem "symbolischen Betrag" als Privatbeteiligter dem Verfahren angeschlossen hat.

Auch M.s Verteidiger Alfred Boran sah das Urteil bereits kommen und wies zuvor noch auf Milderungsgründe wie Unbescholtenheit hin. Einen Beweisantrag samt eines Sachverständigengutachtens, das belegen sollte, dass M. aufgrund seiner Position nichts sehen hätte können, wurde vom Richter abgewiesen. Denn selbst wenn M. nichts sehen hätte können, hätte das erst Recht dazu führen müssen, dass er sich der Ungefährlichkeit der Lage vergewissere. Auch der Rechtsanwalt von Schindler, Clemens Lahner, wies auf die mangelnde Sorgfaltspflicht hin.

Staatsanwaltschaft und Verteidigung erbaten sich drei Tage Bedenkzeit, das Urteil ist somit nicht rechtskräftig. (Vanessa Gaigg, 18.10.2021)