Der EU-Koordinator der Wiener Atomgespräche, Enrique Mora (Zweiter von rechts), versuchte in Teheran beim neuen Verhandler Ali Bagheri Kani (rechts) zu ergründen, ob die Iraner zu einer Wiederaufnahme bereit sind. Sie stellten ein Treffen in Brüssel in Aussicht.

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In Teheran gehen die Uhren anders, zumindest was den möglichen Fahrplan zur Wiederaufnahme der Atomgespräche in Wien betrifft. Sie wurden im Juni nach den Präsidentschaftswahlen im Iran nach der sechsten Runde unterbrochen – und die neue Regierung von Ebrahim Raisi lässt sich nun ganz viel Zeit, eine Entscheidung zu treffen, ob, wie und wann es weitergehen soll.

Für die EU, als Gesprächskoordinatorin, ist der JCPOA, wie der 2015 mit dem Iran abgeschlossene Atomdeal heißt (Joint Comprehensive Plan of Action), auch ein Thema beim Außenministerrat. Enrique Mora, Vizegeneralsekretär des Europäischen Auswärtigen Dienstes und Verhandlungsleiter in Wien, wurde vergangene Woche in Teheran mit der Aussicht quasi auf Gespräche über die Gespräche vertröstet, in Brüssel, und zwar laut iranischen Quellen schon am Donnerstag. Ob aus einem Brüsseler Treffen wieder eines in Wien erwachsen würde, war dabei offen.

Erste Station Brüssel?

EU-Außenbeauftragter Josep Borrell wollte am Montag in Luxemburg Vorgespräche in Brüssel nicht bestätigen, zeigte sich jedoch vorerst optimistisch. Die Sache schaue besser, "er hoffe, "dass wir in den nächsten Tagen ein Vorbereitungstreffen in Brüssel haben werden", zitierte ihn Reuters. Am Abend war die Sache schon wieder ganz anders, das Donnerstag-Treffen schien vom Tisch. Der JCPOA stehe an einem kritischen Punkt. "Alle wollen ihn zurückbringen, aber die Zeit ist nicht auf ihrer Seite", sagte Borrell.

Bei den Wiener Gesprächen, die im vergangenen April aufgenommen wurden, geht es um die Wiederherstellung, das heißt die Rettung des Atomdeals von 2015. Präsident Donald Trump hatte ihn im Mai 2018 für die USA einseitig aufgekündigt und zuvor aufgehobene Sanktionen wieder verhängt.

Irans Weg aus dem Atomdeal

2019 begann der Iran mit zuerst eher symbolischen, danach immer heftigeren Verletzungen seiner JCPOA-Verpflichtungen, die eine qualitäts- und quantitätsmäßige Beschränkung seines Urananreicherungsprogramms und anderer Elemente seines Atomprogramms vorsahen.

In Wien sollte erreicht werden, dass beide, die USA und der Iran, wieder zum Deal zurückkehren. Bevor die Gespräche abgebrochen wurden, verhandelten US-Amerikaner und Iraner jedoch nur indirekt, mit der EU und den anderen Beteiligten (Großbritannien, Frankreich, Deutschland, Russland, China) als Zwischenträger zwischen den beiden Delegationen, die auch in unterschiedlichen Wiener Hotels zu residieren pflegten.

Israels Ängste

Seit einem halben Jahr reichert der Iran Uran auf 60 Prozent an, das ist unter der Waffenfähigkeit, aber nahe daran – und dramatisch höher, als es der JCPOA erlauben würde, nämlich auf 3,67 Prozent. Israel und andere prinzipielle Gegner des JCPOA fürchten nun, dass die neue iranische Regierung überhaupt kein Interesse an dessen Wiederherstellung hat und Zeit schindet, um in der Zwischenzeit noch so viel Atomarbeit weiterzubringen wie möglich. Wie man die nicht nur materiellen, sondern auch technischen Fortschritte, die der Iran seit 2019 gemacht hat, wieder rückgängig machen kann, wird wohl eines der großen Probleme einer neuen Einigung sein. Teheran will auch beim ursprünglichen JCPOA-Zeitplan bleiben, der einen "Termination Day" 2025 vorsieht.

Die USA haben wiederholt angedeutet, dass das Fenster für neue Gespräche nicht ewig geöffnet bleiben wird. Als Plan B für den Fall, dass der Iran bei seinem jetzigen Anreicherungstempo bleibt – das ihn immer näher an die Schwelle eines "nuclear breakout" bringt, d. h. über genügend Material für eine Atombombe zu verfügen –, lässt sich Washington alle Optionen offen, vor allem in Gesprächen mit den Israelis wie soeben bei einem Treffen der Außenminister Antony Blinken und Yair Lapid in Washington. Blinken führte auch Gespräche mit Borrell sowie den Außenministern der Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabiens. Riad hat seit einiger Zeit mit Teheran eine eigene Gesprächsschiene, die zur Normalisierung der Beziehungen führen soll. Bei einer Eskalation im Atomstreit würde wohl nichts daraus: Dessen muss sich Teheran bewusst sein.

Chefverhandler und Dealgegner

Aus iranischer Sicht soll die Runde in Brüssel dazu dienen, leere Kilometer in Wien zu vermeiden. Noch immer hält sich Teheran bedeckt, ob die Entscheidung, in Wien weiterzuverhandeln, bereits getroffen wurde. Unter Präsident Raisi und seinem Außenminister Hussein Amirabdollahian gibt es ein neues Atomteam. Der frühere Vizeaußenminister Abbas Aragchi wurde durch seinen Nachfolger Ali Bagheri Kani als Delegationsleiter ersetzt. Er ist als JCPOA-Kritiker bekannt, wie die gesamte aktuelle Regierung.

Manche EU-Offizielle sind sich sicher, dass die Iraner auf alle Fälle zum JCPOA zurückwollen, andere sehen den Prozess in einer Sackgasse, schreibt Politico. Wenn der Iran tatsächlich nicht dort weitermachen will, wo man im Juni stehengeblieben ist, sondern völlig neue Forderungen auf den Tisch legt, dürfte es schwierig werden.

Zu den wichtigsten Punkten für den Iran gehört, dass die Sanktionsaufhebung greift und nicht mit anderen US-Maßnahmen konterkariert wird: Eine der Fragen ist, wie lange man braucht – Tage, Wochen, Monate –, um das zu verifizieren. Wenn sich Teheran weigert, bis dahin sein Programm zurückzufahren, könnte das zum Problem werden. (Gudrun Harrer, 19.10.2021)