Julian Reichelt wird vorgeworfen, seine Macht als Chefredakteur der "Bild"-Zeitung gegenüber Kolleginnen ausgenutzt zu haben. Nun hat ihn der Springer-Verlag von seinen Aufgaben entbunden.

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Neuer Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktion: Johannes Boie, er ist derzeit Chefredakteur von "Welt am Sonntag".

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Berlin – Der deutsche Medienkonzern Axel Springer hat mit sofortiger Wirkung "Bild"-Chefredakteur Julian Reichelt von seinen Aufgaben entbunden. Das teilte das Unternehmen am Montag in Berlin mit. Hintergrund ist eine Recherche des Ippen-Verlags, in der es unter anderem um "Machtmissbrauch gegen Frauen" durch Reichelt geht. Die Recherche hätte vergangenen Sonntag erscheinen sollen, die Veröffentlichung wurde aber laut "New York Times" und dem deutschen Portal "Übermedien" nach Druck von Springer-Vertretern gestoppt. Neuer Vorsitzender der "Bild"-Chefredaktion wird Johannes Boie. Der 37-Jährige ist derzeit Chefredakteur der zu Springer gehörenden Zeitung "Welt am Sonntag".

Springer begründet das Ende der Zusammenarbeit mit Reichelt an der Spitze von Deutschlands größter Boulevardzeitung so: "Als Folge von Presserecherchen hatte das Unternehmen in den letzten Tagen neue Erkenntnisse über das aktuelle Verhalten von Julian Reichelt gewonnen. Diesen Informationen ist das Unternehmen nachgegangen. Dabei hat der Vorstand erfahren, dass Julian Reichelt auch nach Abschluss des Compliance-Verfahrens im Frühjahr 2021 Privates und Berufliches nicht klar getrennt und dem Vorstand darüber die Unwahrheit gesagt hat."

Veröffentlichung von Recherche gestoppt

Die genannten Presserecherchen stammen vom Investigativteam des Ippen-Verlags ("Münchner Merkur", "TZ", "Frankfurter Rundschau"). Ihre Veröffentlichung wäre für vergangenen Sonntag – unter anderem als Doppelseite in der "Frankfurter Rundschau" – geplant gewesen. Letzten Donnerstag soll dann bei Ippen eilig eine Gesellschafterversammlung einberufen und die Veröffentlichung der Recherche gestoppt worden sein, schreibt das Portal "Übermedien". Demnach sollen Vertreter von Axel Springer Kontakt zu "hochrangigen Ippen-Verlagsleuten" aufgenommen und versucht haben, auf sie einzuwirken, um eine Veröffentlichung zu verhindern.

In der Recherche geht es um "Missstände und Machtmissbrauch im Hause Axel Springer und durch den mächtigsten Chefredakteur Deutschlands", speziell um "Machtmissbrauch gegen Frauen". Das geht aus einem Protestbrief hervor, den das Ippen-Investigativteam nach dem Stopp der Veröffentlichung an ihre Geschäftsführung geschickt hat. Der Brief wurde auf "Übermedien" veröffentlicht und auch von Jan Böhmermann auf Twitter geteilt. Die offizielle Begründung für den Stopp der Veröffentlichung vonseiten des Ippen-Verlags: Man wollte einem direkten Konkurrenten keinen wirtschaftlichen Schaden zufügen.

Im Frühjahr 2021 hatte der Springer-Verlag aufgrund von Vorwürfen gegenüber Reichelt bereits ein internes Verfahren angestoßen. Medien hatten über Vorwürfe zu Machtmissbrauch und Ausnutzung von Abhängigkeitsverhältnissen gegenüber Mitarbeiterinnen berichtet. Reichelt soll junge Mitarbeiterinnen zu Sex genötigt, ihnen dann Spitzenjobs bei der Zeitung verschafft und sie schlussendlich doch abgesägt haben. Der Konzern prüfte dann in einem internen Verfahren die Vorwürfe und kam zu dem Ergebnis, dass Reichelt seinen Posten behalten sollte. Es habe "keine Anhaltspunkte für sexuelle Belästigung oder Nötigung" gegeben, hieß es damals, sehr wohl aber Fehler in der Amts- und Personalführung. Nach einer befristeten Freistellung kehrte Reichelt wieder zur "Bild" zurück.

Journalistenverband nimmt Ippen in die Pflicht

"New York Times"-Medienkolumnist Ben Smith hatte in den vergangenen Wochen offenbar Zugang zu den Unterlagen jener Anwaltskanzlei, die im Namen des Springer-Verlages die Untersuchungen bezüglich Reichelt durchgeführt hatte. In einem Bericht schreibt Smith, dass bei der "Bild" eine Mischung aus "Sex, Journalismus und Firmengeld" herrschen soll. "So läuft es immer bei der 'Bild'", wird eine Frau zitiert, die anonym ausgesagt hat: "Wer mit dem Chef schläft, bekommt einen besseren Job." Viele Frauen wollten aus Angst vor Racheaktionen Reichelts nicht ihre Identität für die Untersuchung im März preisgeben.

Am Montag kritisierte auch der Deutsche Journalistenverband (DJV) die Entscheidung des Verlegers Dirk Ippen, die "Bild"-Geschichte nicht zu bringen. "Sollten die Vorwürfe des Ippen-Investigativteams zutreffen, dass Herr Ippen persönlich die Berichterstattung verhindert hat, dann wäre das ein massiver Eingriff in die redaktionelle Unabhängigkeit und die innere Pressefreiheit der Redaktion bei der Ippen-Gruppe", so DJV-Bundesvorsitzender Frank Überall in einer Aussendung. "Ein solcher Eingriff nach Gutsherrenart wäre völlig inakzeptabel. Verleger haben grundsätzlich die Finger von redaktionellen Entscheidungen zu lassen." So werde das Vertrauen zerstört und die Redaktion beschädigt.

Springer-Chef Mathias Döpfner sagte am Montag: "Julian Reichelt hat 'Bild' journalistisch hervorragend entwickelt und mit 'Bild Live' die Marke zukunftsfähig gemacht. Wir hätten den mit der Redaktion und dem Verlag eingeschlagenen Weg der kulturellen Erneuerung bei 'Bild' gemeinsam mit Julian Reichelt gerne fortgesetzt. Dies ist nun nicht mehr möglich." (APA, red, 18.10.2021)