Wenn der Mond besonders nah an der Erde ist, wirkt er größer – allerdings entfernt er sich stetig von uns weg.
Foto: Mick Tsikas / imago images / AAP

Zehn Monate ist es her, dass die Kapsel der chinesischen Mondmission "Chang'e 5" wieder auf dem Erdboden landete. Im Gepäck: rund 1,7 Kilogramm Material vom Mond. Das erste, das seit 44 Jahren per Raumfahrt die Erde erreicht hat. Dabei handelt es sich nicht nur um das jüngste Mondgestein auf unserem Planeten, es ist auch entstehungsgeschichtlich jünger als frühere Proben.

Das Gestein der US- und Sowjet-Missionen der 1960er- und 70er-Jahre wurde auf 3,1 bis 4,4 Milliarden Jahre datiert. Es stammt also aus der Frühphase des Mondes, der vor etwa 4,5 Milliarden Jahren entstand, vermutlich durch eine Kollision der Erde mit einem unbekannten Objekt von der Größe des Mars. Die neuen Proben hingegen kommen aus einer Region des Mondes, die sich erst später ausformte. Sie sind nur etwa zwei Milliarden Jahre jung.

Werkzeuge der Erdwissenschaften

Jetzt wurden auch die ersten drei Studien veröffentlicht, die sich genauer mit dem Mondstein beschäftigen. Die chinesischen Forschungsteams demonstrieren im Fachmagazin "Nature", welche Erwartungen an die Mission sich erfüllt haben. Denn nun gibt es neue Objekte, an denen sich die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte des Erdtrabanten ablesen lässt – vor allem das vulkanische Geschehen.

Dass dabei von "geologischen" Untersuchungen die Rede ist, mutet sprachlich etwas seltsam an. Immerhin handelt es sich um Material, das eben nicht von der Erde (altgriechisch γῆ oder gē) stammt. Andererseits werden dafür Werkzeuge eingesetzt, die sich aus der wissenschaftlichen Erforschung der Erde ergeben.

Dazu gehört beispielsweise die Radioisotopen-Datierung, mit der das Alter von Material bestimmt werden kann. Frühere Messungen ließen vermuten, dass vulkanische Aktivitäten auf dem Mond nur bis vor etwa 2,8 Milliarden Jahren stattfanden und dann aufhörten.

Datierung per Kraterzählen

Eine weniger verlässliche Methode, um das Alter einer Planetenoberfläche zu schätzen, ist das Kraterzählen: Erkaltet die zunächst flüssige Gesteinsoberfläche und wird fest, so ist sie quasi "glatt". Je länger ein Himmelskörper existiert, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass er von Flugobjekten getroffen wird, die Einschlagkrater hinterlassen. Je mehr Krater die nicht mehr glatte Oberfläche zieren, umso älter der Himmelskörper. Man geht von einer durchschnittlichen Anzahl an Einschlagkratern pro Zeit aus. Für den Mond haben Astronomen nach dieser Methode errechnet, dass seine Oberfläche zwischen einer und drei Milliarden Jahre alt sein dürfte.

Die neuen Untersuchungen zeigen, dass diese grobe Schätzung nicht so falsch liegt und die frühere Annahme um rund 800 bis 900 Millionen Jahre korrigiert werden muss. Der Geologe Xian-Hua Li und sein Team stellten fest, dass die jungen Mondproben aus Basaltgestein 2,03 Milliarden Jahre alt sind. Zu diesem Zeitpunkt scheint es also noch Vulkanismus gegeben zu haben.

Damit sind sie aber auch älter als andere Gesteinsproben, die aus der gleichen Mondregion kommen. Das Alter des Mondbasalts wird wiederum genutzt, um die Methode der Altersschätzung anhand des Kraterzählens zu verbessern. So werden Annahmen darüber, wie alt die Oberfläche von weit entfernten Planeten ist, genauer.

Langsame Abkühlung

Eine weitere Studie widmete sich den Spuren von Wasser im Gestein. Denn die Verteilung des Wassers im Inneren des Mondes kann – zusammen mit weiteren Hinweisen auf vulkanische Aktivität – Informationen darüber liefern, wie sich die Mantelschicht bildete. Der Geologe Sen Hu und seine Forschungsgruppe berichten: Das Magma, aus dem der zwei Milliarden Jahre alte Basalt entstand, enthielt weniger Wasser als älteres Mondgestein. Das könnte heißen, dass während lang anhaltender vulkanischer Aktivität das jüngere Magma immer mehr Wasser verlor. Was wiederum ins Gesamtbild des Vulkanismus, der noch vor zwei Milliarden Jahren oder in noch jüngerer Zeit stattfand, passt.

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Zwei Ansichten des Mondes – rechts eine, die wir von der Erde aus mit freiem Auge nicht zu sehen bekommen.
Bild: NASA/AP/dapd

Schließlich analysierte eine dritte Forschungsgruppe um den Geologen Wei Yang die Wärmeeigenschaften der neuen Proben. Sie stellte fest, dass der Mond wohl eine längere Abkühlungsphase hatte als bisher gedacht, was wiederum mit den Dynamiken in der Mantelschicht zusammenhängt. Mit diesen Erkenntnissen müssen die Modelle, die es bisher zur thermischen Entwicklung des Mondes gibt, nachgebessert werden.

Dies zeigt wiederum, wie wenig wir noch über den Aufbau unseres steten Begleiters auf der Umlaufbahn um die Sonne wissen. Über sein Innenleben und den Kern, der vermutlich verhältnismäßig klein ist, lässt sich nur spekulieren: anhand der Oberfläche, der gewonnenen Proben und der Mondbeben. Mit jeder neuen Analyse kommen wir dem realen Bild ein bisschen näher.

Die gemütliche Emanzipation des Mondes

Und das übrigens, während sich der Mond Stück für Stück immer weiter von der Erde entfernt – rund vier Zentimeter pro Jahr. In seiner Frühphase war der Mond der Erde etwa zehnmal näher, als er es heute ist. Glühend rot stand der heiße, zusammengeschmolzene Klumpen von der Erde aus gesehen am Himmel, so beschrieb es Marina Koren kürzlich in "The Atlantic". Der Klumpen Sternenstaub wird von der Erde angezogen und in seiner Umlaufbahn beschleunigt. Diese Beschleunigung bewirkt aber auch, dass der Mond der Erde immer weiter entrückt.

Dadurch wird auch die Rotation der Erde selbst immer langsamer. Im Vergleich zur Situation vor einigen Milliarden Jahren, als ein Tag nur etwa vier Stunden dauerte, hat sich das mit der Zeit gewaltig verändert. Noch immer werden die Tage durch das langsamere Rotieren länger. Wer aber auf zusätzliche Stunden zum Produktivsein oder Prokrastinieren wartet, sollte auf künftige Generationen und die lang anhaltende Bewohnbarkeit der Erde für Menschen bauen. Im Laufe eines Jahrhunderts gewinnen wir nämlich nur etwa zwei Millisekunden pro Tag.

Nicht alle Planeten sind in einem so gleichberechtigten Verhältnis mit ihren Monden wie die Erde mit dem ihrigen, auch wenn der Erdtrabant wohl noch um sie kreisen wird, wenn unsere Sonne explodiert und unser Sonnensystem zerstört. Entsprechend kann man fast von einer kleinen Emanzipation des Mondes reden, der immer mehr Distanz zwischen sich und die Erde bringt. In rund 600 Millionen Jahren dürfte dadurch auch die totale Sonnenfinsternis verlorengehen, weil der Mond die Sonne nicht mehr komplett abdunkeln kann. Bis der Mond mehr seiner Geheimnisse preisgibt, dauert es hoffentlich nicht so lange. (sic, 19.10.2021)