Heide Schmidt: weniger Regierungsinserate, mehr Presseförderung.

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Wien – Von Schauspieler Harald Krassnitzer über Starkoch Max Stiegl bis zu Ex-Politikerin Heide Schmidt: Die Liste der Unterstützerinnen und Unterstützer des Antikorruptionsvolksbegehrens ist lang. Insgesamt 72 Forderungen haben die Initiatorinnen und Initiatoren formuliert, um für mehr Transparenz und weniger Korruption zu kämpfen. Ein Kapitel widmet sich dem Thema "Pressefreiheit, Medienförderung und Inseratenkorruption".

STANDARD: Das Auffliegen der mutmaßlichen Inseratenaffäre könnte für das Antikorruptionsvolksbegehren ein weiterer Motor für die Forderungen sein. Spüren Sie jetzt noch mehr Rückenwind?

Schmidt: Ich glaube, dass das Bewusstsein für die Notwendigkeit der Forderungen in der Bevölkerung steigt. Als wir das Antikorruptionsvolksbegehren im Juni vorgestellt haben, da waren diese Chatverläufe noch nicht einmal publik, aber der Umgang mit der Justiz und die Reaktion auf eingeleitete Erhebungen waren bereits so, dass in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür entstanden ist, dass da was schiefläuft. Nach der Vorstellung der Forderungen, rein optisch kennen mich halt noch viele Leute: Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie viele Menschen mich auf der Straße entweder angesprochen oder mit Daumen hoch vorbeigegangen sind. Das war eine Reaktion, die ich nur aus Zeiten von Wahlkämpfen kenne. Jetzt hat das mit Parteipolitik null zu tun, sondern es geht um die Demokratie und den Rechtsstaat.

STANDARD: Sehen Sie das Bewusstsein bereits so geschärft, dass genügend Druck aufgebaut werden kann?

Schmidt: Mit zunehmender Aufdeckung der Chatverläufe verdichtet sich dieses Gefühl, dass man das nicht einfach hinnehmen kann und man nachdenken sollte, welche gesetzlichen Schranken setzt man. Moralische Schranken sind offensichtlich zu wenig. Mit dem Volksbegehren wird man über diese gesetzlichen Schrauben im Parlament reden müssen. Je mehr Menschen es unterschreiben, desto größer wird der Druck. Denn ohne Druck der Bürgerinnen und Bürger passiert gar nichts. Wenn man sich vor Augen hält, dass sich die ÖVP bereits vor Jahren einen Ethikkodex gegeben hat, dann kommt einem wirklich das bittere Lachen, dass sie so was von dagegen verstoßen – und offenbart kratzt das innerhalb der eigenen Partei nur wenige Menschen. Sie haben das Gefühl, Papier ist geduldig und die Bürgerinnen und Bürger müssen sagen: aber wir nicht.

STANDARD: Im Antikorruptionsvolksbegehren gibt es in puncto Inserate und Medien ja bereits konkrete Forderungen …

Schmidt: Die Hauptforderungen müssen sein, eine massive Verlagerung der Gelder zur Medienförderung hin und weg von der Inseratenschaltung zu bewirken. Diese Budgets müssen quasi umgedreht werden. Bei der Medienförderung sind wir bei unter zehn Millionen Euro jährlich, bei den Inseraten öffentlicher Stellen bei 200 Millionen pro Jahr. Dieses Missverhältnis ist eine Einladung zum Missbrauch. Wir brauchen eine vernünftige Medienförderung, die an Qualitätskriterien geknüpft ist und an sonst gar nichts.

STANDARD: Und bei der Inseratenvergabe?

Schmidt: Wir brauchen erstens eine finanzielle Reduktion des Aufwandes, eine Deckelung also. Wichtig wäre ein Mehraugenprinzip, beispielsweise könnte eine Verabschiedung im Ministerrat ein taugliches Instrument sein. Wir brauchen eine jährliche Berichterstattung ans Parlament, wo diese Aufteilung der Inserate auch diskutiert werden kann und es eine Rechtfertigung braucht. Wenn man das vorher schon weiß, wird man das hoffentlich anders machen. Und wir brauchen eine Nachschärfung im Medientransparenzgesetz.

STANDARD: Wie könnte die aussehen?

Schmidt: Dort ist zwar festgeschrieben, dass Inserate einzig der Informationen zu dienen haben und nicht der Werbung. Die Praxis ist aber das Gegenteil davon. Und zwar deswegen, weil es keine Sanktionen gibt. Es braucht mehrere Stellschrauben, an denen gedreht werden muss. Ich halte das alles für machbar.

STANDARD: In welchem Rahmen könnte sich eine Deckelung der Inserate bewegen?

Schmidt: Wir haben eine derzeitige Medienförderung von unter zehn Millionen Euro pro Jahr, das ist zu wenig, wenn es eben an Qualitätskriterien geknüpft ist, und das ist notwendig. Dabei geht es um Fragen der Berichterstattung wie Investigativjournalismus, Kultur- und Politikberichte, Journalistenausbildung oder die Mitgliedschaft beim Presserat. Die 200 Millionen Euro für Inserate sind eine Obszönität. Das auf die Hälfte zu reduzieren wäre zum Beispiel ein Klacks. Mir geht es aber gar nicht so sehr um die Ziffern, die muss man bei der konkreten Erarbeitung abwägen, aber die Relation zwischen Medienförderung und Inseraten muss jedenfalls komplett umgedreht werden.

Heide Schmidt ist Proponentin des Antikorruptionsvolksbegehrens, für das derzeit Unterstützungserklärungen gesammelt werden.
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STANDARD: Was bräuchte es noch?

Schmidt: In diese Inseratenvergabetransparenz spielt auch das Informationsfreiheitsgesetz rein. Medien müssen in die Lage versetzt werden, auf eine reelle Weise an Informationen zu kommen. Und nicht indem man nach dem Prinzip eine Hand wäscht die andere arbeitet. Die Forderungen richten sich ja nicht nur an die Politik, sondern sie sind ein Aufruf für mehr Anstand bei so manchen Medien.

STANDARD: Ein wechselseitiges Abhängigkeitsverhältnis?

Schmidt: Das wissen Sie als Journalist und ich als Ex-Politikerin: Es lässt sich nicht alles 1:1 regeln. Aber: Was wir brauchen, und deswegen ist das Volksbegehren so wichtig, ist eine Diskussion zur Meinungsbildung und zum Bewusstsein in der Bevölkerung. Das Gefühl zu haben, das geht – und das geht aber nicht. Diese Dinge müssen im Bewusstsein und in einer Demokratie vorhanden sein. Dann hält man sich anders an die Spielregeln.

STANDARD: Weil Sie Qualitätskriterien für die Medienförderung ins Spiel bringen und definieren. Was würde das für Boulevardmedien bedeuten?

Schmidt: Ich habe mit solchen Kategorisierungen immer ein Problem, denn jetzt laufen Erhebungen gegen einen Teil des Boulevards. Das meiner Meinung nach sehr zu Recht, und jeder spürt, dass es innerhalb des Boulevards Qualitätsunterschiede gibt. Es ist kein Wunder, dass es Erhebungen gegen eine Mediengruppe gibt, gegen andere aber nicht. Mag sein, dass die einen mehr Glück haben als die anderen, aber die Unverschämtheit und die Bereitschaft, es zum System zu erklären, die ist auch innerhalb des Boulevards eine unterschiedliche.

STANDARD: Das mussten Sie als Politikerin auch am eigenen Leibe erfahren, wie Sie vor ein paar Tagen in einem Interview mit Puls 24 erzählt haben.

Schmidt: Ja, nicht in dieser Krassheit, aber selbstverständlich. Ich erinnere mich ganz genau daran, dass damals eine Zeitung im Wirkungsbereich des Herrn Fellner gesagt hat: Und wenn ihr bei uns nicht schaltet, kommt ihr nicht vor.

STANDARD: Hat Ihnen das Herr Fellner persönlich gesagt?

Schmidt: Es ist nicht an mich herangetragen worden, sondern an diejenigen, die dafür zuständig waren. Als Parteichefin war ich das nicht unmittelbar. Ich weiß es, weil wir das besprochen hatten. Wir haben gesagt, das lassen wir uns so nicht bieten, aber ich schließe nicht einmal aus, dass wir letztendlich nicht auch Inserate geschaltet haben. In einem überblickbaren Ausmaß. Früher haben wir von einer Verhaberung gesprochen. Ich kannte und kenne immer noch sehr viele Journalistinnen und Journalisten. Solange ich in der Politik war, habe ich niemals eine oder einen von ihnen bei mir als Gast zu Hause gehabt. Das ist meine persönliche Linie gewesen. Man kann natürlich sagen, auf das kommt es auch nicht an, weil ich mich auch im Kaffeehaus verhabern kann. Das ist wahr, man muss aber spüren, wo es rote Linien gibt. Ein gutes Verhältnis zum Gegenüber zu haben heißt noch lange nicht, dass man in das Prinzip "Eine Hand wäscht die andere" hineinrutscht. Das ist einerseits eine Frage der Spielregeln, aber auch des Charakters. Und zwar auf beiden Seiten.

STANDARD: Und welche Zeitung im Dunstkreis des Herrn Fellner war das damals? "News"?

Schmidt: Ja, es war "News", aber ich erinnere mich, dass es bereits bei "Basta" begonnen hat. Da war ich, glaube ich, noch in der FPÖ. Es kommt darauf an, wie kaltschnäuzig diese Praxis eingesetzt wird, dass sie entweder ein Ausnahmefall ist oder System.

STANDARD: Der Preis, den Parteien zahlen, ist, dass sie in der Berichterstattung ignoriert werden?

Schmidt: Wenn man Glück hat, ja. Die Frau Kneissl (Karin, Ex-Außenministerin, Anm.) hat davon erzählt, dass auch die Negativberichterstattung eine Reaktion sein kann. Aus eigener Erfahrung kann ich das nicht bestätigen, ich glaube ihr das aber aufs Wort.

STANDARD: Mit anderen Medien haben Sie solche Erfahrungen nicht gemacht?

Schmidt: Ich erinnere mich nicht, will sie aber nicht reinwaschen. Die Dinge laufen ja nicht immer so krass, wie sie jetzt unter Strafverdacht stehen. Das fängt schon viel früher an. In einer Art des Miteinander, wie man sich gegenseitig ausnutzt, und da sind die Grenzen schwer zu ziehen. Deswegen ist es so wichtig, ein Klima zu schaffen, in dem das Unrechtsbewusstsein auf beiden Seiten wieder steigt, und nicht, dass etwas zum legitimen System erklärt wird. Wir brauchen ein Klima des Unrechtbewusstseins für derartige Vorgangsweisen.

STANDARD: Und so ein Inseratenvolumen begünstigt dieses Klima?

Schmidt: Natürlich, und es wird wiederum begünstigt, wenn die sonstige Medienförderung nicht ausreicht. Und wenn der Informationsfluss aufgrund der Gesetze gar nicht möglich ist und du es nur auf Umwegen erreichst. Deswegen ist auch das Informationsfreiheitsgesetz so wichtig. Genauso wie das Medientransparenzgesetz, das geändert gehört, weil seit Jahr und Tag dagegen verstoßen wird. Und das schert keinen Menschen. Daraus muss man Konsequenzen ziehen.

STANDARD: Könnten Sie konkretisieren, wie solche Sanktionen aussehen könnten?

Schmidt: Nein, das ist zum jetzigen Zeitpunkt auch noch nicht so wichtig, weil man dann möglicherweise eine Diskussion in die falsche Richtung führt. Wenn jemand die Konkretheit für nicht richtig hält, beißt sich die Diskussion am Detail fest. Was wir brauchen, ist aber eine Grundsatzdiskussion zu mehr Anstand, zu mehr Rechtsstaat, zu mehr Verlässlichkeit und zu mehr Transparenz. Wenn die Dinge im Parlament sind, geht es ins Detail. Für mich als Bürgerin ist es mitunter am meisten beunruhigend, dass es in einer ehemals großen bürgerlichen Partei innerparteilich keine Korrektive gibt. Ich finde es erschütternd, dass dieses Selbstverständnis, mit einer Sprache zu sprechen und nichts nach außen zu tragen, ein Bedürfnis einer Partei ist. Aber: So what? Wenn die innerparteilichen Korrektive nicht mehr funktionieren und man die Demokratieerfordernisse in einer Partei auf null stellt, dann ist der nächste logische Schritt, dass man das Demokratieerfordernis für die gesamte Gesellschaft auch auf null steht. Das geht gar nicht anders. Deswegen ist das so relevant für alle. Das ist nicht nur ein ÖVP-Problem, sondern ein Demokratieproblem, weil sie diesen Bazillus aus ihrer Partei in die Gesellschaft tragen.

STANDARD: Sie vermissen kritische Stimmen innerhalb der ÖVP?

Schmidt: Absolut. Ich erwarte nicht, dass sie über ihren eigenen Parteichef herfallen, aber diese Art des Mauerns, das ist nicht mehr demokratische Solidarität. Das geht in eine Art von Gehorsam, der für die Demokratie schädlich ist. (Oliver Mark, 22.10.2021)