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In Frankfurt ist wieder Buchmesse, 2.000 Aussteller werden trotz Corona erwartet. Nach dem Buchpreis zum Auftakt wird am Sonntag der Friedenspreis vergeben.

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Einmal alles über Bücher! Carolin Amlinger hat mit "Schreiben. Eine Soziologie literarischer Arbeit" 800 Seiten rund um den Wandel des Literaturbetriebs vorgelegt.

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Mit Schreiben hat Carolin Amlinger ein Mammutwerk vorgelegt. Worum es darin geht? Um alles über Bücher! Die Literatursoziologin an der Uni Basel befasst sich in dem bei Suhrkamp erschienenen Band (Untertitel: Eine Soziologie literarischer Arbeit) spannend mit Autoren, Verlagen, Literaturagenten, Genievorstellungen und prekärer Arbeitsrealität seit dem 19. Jahrhundert.

STANDARD: Sie betonen, um wie viel wichtiger als früher es für Autoren heute ist, sich im Literaturbetrieb richtig zu verhalten, um Erfolg zu haben. Was muss ein Autor auf der Frankfurter Buchmesse tun, um eh alles richtig zu machen?

Amlinger: Ich kann leider keine Erfolgsrezepte formulieren. Allerdings wirken sich die Entwicklungen auf dem Buchmarkt in den letzten Jahrzehnten auch auf das Autorenbild aus. Die Autoren, mit denen ich gesprochen habe, betonen eine Veränderung hin zu einem stärker unternehmerisch tätigen Autorverständnis. Tatsächlich gab es den Gegensatz zwischen wirtschaftlichem Kalkül und dem reiner Ästhetik verpflichteten Künstler aber nie. Der Autorenberuf ist überhaupt erst auf einem kapitalistischen Markt entstanden, und große Autorenfiguren wie Goethe waren immer schon sehr gute Unternehmer ihrer selbst.

STANDARD: Warum dann jetzt die Klagen?

Amlinger: Weil Autoren, die ein wenig abseitig sind, es heute schwieriger haben als vor 30 Jahren, überhaupt Eintritt in den umkämpften Markt zu erhalten. Da man Schreiben mittlerweile studieren kann, kommt es, dass Autorinnen, noch bevor sie ein Werk veröffentlichen, über ihre professionelle Laufbahn nachdenken.

STANDARD: Also sind Schreibschulen schuld?

Amlinger: Schreibschulen sind selbst ein Kompensationsversuch einer verschärften ökonomischen Situation seit den 1980ern. Sie bieten den Raum, ohne Verwertungskalküle über Literatur sprechen zu können – gleichzeitig werden dort Kompetenzen eingeübt, sich in der Konkurrenz zu behaupten. Die Situation heute liegt aber vor allem am Renditedruck in den Konzernverlagen, an deren Spitze nicht mehr die große Verlegergestalt steht, die einen Autor auch bei mäßigem Absatz publiziert, weil sie von ihm überzeugt ist. Quersubventionierung ist in Konzernverlagen brüchig geworden, potenziell soll jedes Buch sich tragen und Gewinn abwerfen. Man setzt auf das riskante Geschäft mit Bestsellern. Teil der Problematik ist zudem die seit Jahren immense Zahl an Neuerscheinungen bei relativ sinkendem Umsatz.

STANDARD: 2001 war ein Wendepunkt ...

Amlinger: Das war das erste Jahr, in dem es einen nominellen Umsatzrückgang gab. Seit damals steht die steigende Zahl an Titeln nicht mehr im Verbund mit der Umsatzentwicklung. 2011 erwirtschafteten die deutschen Verlage zum Beispiel mehr als 2010, aber zugleich um fünf Prozent weniger als 2001 – gleichzeitig kamen 15.141 belletristische Bücher auf den Markt, 2001 waren es nur 9.693 gewesen. Zuletzt werden wieder weniger Titel produziert, 2020 waren es nur 13.880 Neuerscheinungen.

STANDARD: Die wirtschaftliche Krise war immer schon Begleiter des Buchmarktes, schreiben Sie. Die aktuellen Rückgänge sind nicht beispiellos?

Amlinger: Man kann generell sagen, dass der Buchmarkt zu Überproduktionskrisen neigt. Titelvermehrung wurde immer als schlechtes Instrument zur Krisenbewältigung genutzt.

STANDARD: Es gibt heute folglich mehr prekär lebende Autoren denn je.

Amlinger: Schreiben als professioneller Erwerb ist ein relativ neues Phänomen, das mit dem sehr umfangreichen Fördersystem im deutschsprachigen Literaturbetrieb zu tun hat. Als globale Mischkonzerne immer mehr Macht gewannen, sollten Förderungen ausgleichend wirken. Dass durch sie suggeriert wird, dass Schreiben als Hauptberuf möglich ist, stellt sich aber, schaut man die Laufbahn von Autoren an, oft als Illusion heraus. Ältere Autoren verfügen kaum über genug Rente, sind zu lebenslangem Schreiben verpflichtet.

STANDARD: Preise als Schuss ins eigene Knie?

Amlinger: Neben der Illusion einer hauptberuflichen Autorentätigkeit fördern Preise zudem ein vormodernes Künstlerideal: die Idee eines schriftstellerischen Eremiten, der in Aufenthaltsstipendien fährt und sich vom normalen Sozial- und Erwerbsleben abkoppelt, tradiert ein Bild vom Autor als Randfigur.

STANDARD: Vielleicht braucht man ihn aber bald gar nicht mehr. In der Buchherstellung tut sich bei Softwares etwa zur Erfolgsbewertung von Manuskripten einiges. Andere Programme analysieren Schreibstile und imitieren Autoren. Ein Horrorszenario für Sie?

Amlinger: Das klassische belletristische Buch ist relativ resistent gegen digitale Durchrationalisierungen, glaube ich. Es gibt zwar Softwares wie Qualifiction, die teilweise auch in Konzernverlagen eingesetzt werden, um Manuskripte vorzuselektieren und nach Kriterien wie Lesbarkeit zu ranken. Aber der Buchmarkt hängt doch an der Idee eines individuellen Schöpfers. Ohne den Autor ist das Buch auf dem Markt nach wie vor nicht denkbar.

STANDARD: Der Anteil der lesenden Bevölkerung sinkt. Wagen Sie eine Prognose, wie die Branche in zehn, 20 Jahren ausschauen wird?

Amlinger: Was einen sehr kritisch stimmen kann, sind Versuche wie Abomodelle für Literatur. Dort werden Autorinnen nach gelesener Seitenzahl bezahlt – dass sich das auf den Schreibprozess auswirken kann, liegt auf der Hand. Die Krise an sich ist aber mittlerweile ein Normalzustand unter den Akteuren, mit dem man umzugehen weiß. Positiv stimmt mich, dass zuletzt vermeintliche Selbstverständlichkeiten hinterfragt wurden und Partizipationschancen stärker ins Bild gerückt sind. Ob man angesichts ökonomischer Probleme stärker auf staatliche Modelle setzt oder Autoren sich anders organisieren werden, muss sich zeigen. (Michael Wurmitzer, 20.10.2021)