Während sich das Team auf den Weg zum Spender macht, um die Qualität des Herzens zu prüfen, wird der Empfänger auf die OP vorbereitet.

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Katharina Ebenberger: "Es verändert sich etwas in einem durch dieses unglaublich einschneidende Erlebnis."

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39 Spenderherzen wurden 2020 in Wien transplantiert, 59 waren es österreichweit. Ein neues Herz ist nicht nur für den Körper eine Herausforderung, sondern auch für die Psyche. Die Psychologin Katharina Ebenberger begleitet im Wiener AKH Menschen, die auf ein Spenderherz warten. Sie bereitet sie auf den alles entscheidenden Anruf vor – und unterstützt sie später dabei, das fremde Herz als das eigene zu akzeptieren.

STANDARD: Wie unterscheidet sich die Herztransplantation von anderen Organtransplantationen? Immerhin wird das Herz von vielen ja nicht nur als Organ gesehen, sondern auch mit der Liebe und dem Leben assoziiert.

Ebenberger: Es ist natürlich anders, als wenn eine Niere transplantiert wird. Viele versuchen sich aber ein wenig abzugrenzen, indem sie das Herz sehr mechanistisch als Motor sehen. Nach dem Motto: Der Motor ist jetzt kaputt und muss ausgetauscht werden. So wird das vorstellbarer.

STANDARD: Wie geht es den Menschen auf der Warteliste für ein Spenderherz?

Ebenberger: Da gibt es zwei unterschiedliche Gruppen. Erstens die, die schon länger herzinsuffizient sind, bei denen sich der körperliche Zustand immer weiter verschlechtert und die erst nicht mehr wandern und irgendwann nicht einmal mehr Stiegen steigen können. Sie sind emotional meist gut vorbereitet, weil sie ja wollen, dass es wieder bergauf geht. Die zweite Gruppe sind jene, die sehr schnell oder akut herzkrank werden. Manche fallen wirklich aus dem Nichts um und brauchen ein neues Herz. Die haben keine Zeit, sich darauf vorzubereiten. Emotional ist das weitaus schwieriger. Der Verarbeitungsprozess findet dann häufig erst nach der Operation statt.

STANDARD: Wie lange wartet man denn auf ein neues Herz?

Ebenberger: Wir sind in Österreich in der glücklichen Lage des Widerspruchsrechts. Man ist automatisch Organspender, außer man trägt sich in das Widerspruchsregister ein. Die Wartezeit liegt daher im Schnitt bei nur sechs bis neun Monaten. Manchmal dauert es länger, manchmal kürzer. Das hängt von Faktoren wie der Blutgruppe, dem Gewicht und der Dringlichkeit ab.

STANDARD: Und dann kommt irgendwann der alles entscheidende Anruf, dass es ein Spenderherz gibt. Werden die Empfängerinnen und Empfänger da nervös?

Ebenberger: Die meisten sagen später, dass sie in dem Moment selbst fast nichts empfunden haben. Sie beschreiben es ähnlich einem emotionalen Vakuum. Die Angehörigen sind in der Regel viel nervöser. Ganz oft haben Betroffene schon ein Tascherl mit der Zahnbürste und dem Ladegerät gepackt. Unser Team begibt sich zum Spender, um die Qualität des Herzens zu überprüfen. Parallel wird der Empfänger mit der Rettung ins Krankenhaus gebracht und auf die Operation vorbereitet. Im schlechtesten Fall endet es hier aber schon wieder, wenn das Organ nicht gut genug ist. Dann wird der Patient wieder nach Hause geschickt.

STANDARD: Wie geht man damit um?

Ebenberger: Manche machen das Beste daraus und sagen: "Das war erst der Probedurchlauf. Dann bin ich wenigstens beim nächsten Mal nicht mehr so nervös." Wir erklären auch immer: "Das war nicht Ihr Herz, es war nicht gut genug."

STANDARD: Kommt es auch vor, dass Empfängerinnen und Empfänger am entscheidenden Tag kalte Füße bekommen?

Ebenberger: Es gibt schon Kurzschlussreaktionen. Selten, aber doch hört unser Team dann: "Ich kann nicht, ich muss noch einkaufen gehen." Oft fällt den Betroffenen dann aber im Laufe des Telefonats selber auf, dass sie eigentlich nicht mehr einkaufen gehen müssen. Wir sagen den Menschen auf der Warteliste auch immer, dass sie sich an uns wenden sollen, wenn sie einen Moment des Zweifels haben. Wir möchten vermitteln, dass wir Partner sind und ein offenes Ohr haben.

STANDARD: Sie evaluieren die Menschen, die ein neues Herz brauchen, vorab. Was sind denn psychische Faktoren, die gegen eine Transplantation sprechen?

Ebenberger: Das sind in der Regel relative Kontraindikationen, also welche, an denen man arbeiten kann. Wir schauen uns das soziale Umfeld der Menschen an und überlegen, ob wir da Unterstützung organisieren müssen, weil das eine wichtige Ressource für danach ist. Eine Kontraindikation ist auch Suchtverhalten: Rauchen muss mindestens ein halbes Jahr und nachweislich beendet werden, bevor man für eine Transplantation infrage kommt. Drogensucht und Alkoholismus müssen je nach Ausprägung ambulant oder stationär behandelt werden. Persönlichkeitsstörungen sind oft eine absolute Kontraindikation, weil eine Organtransplantation so ein forderndes Erlebnis ist, dass Stabilität wichtig ist. Da ist es wichtig, zu schauen, ob jemand eine Psychotherapie braucht und ob man den Zustand stabilisieren kann.

STANDARD: Was ist beim Anamnesegespräch noch wichtig?

Ebenberger: Die eigentlich wichtigste Voraussetzung ist die sogenannte Adhärenz. Dabei geht es darum, herauszufinden, ob ein Patient paktfähig ist, also beispielsweise seine Medikamente in der Vergangenheit eingenommen hat, und ob er es schafft, regelmäßig zum Arzt zu gehen und mit uns als Team Sorgen, Nebenwirkungen oder Wünsche zu besprechen. Nach der Organtransplantation ist das überlebenswichtig.

STANDARD: In manchen Fällen wird als Zwischen- oder Dauerlösung ein Kunstherz eingesetzt, das das kranke Herz unterstützt und mit Batterie läuft. Ist das für Betroffene einfacher, weil es sich nicht um das Herz eines Spenders handelt?

Ebenberger: Ganz im Gegenteil. Man behält zwar das eigene Herz, aber die Idee, Akkus bei sich zu tragen oder sich in der Nacht an Strom anzuhängen, ist für viele noch einmal befremdlicher und ein größerer Eingriff in die Integrität.

STANDARD: Haben Empfängerinnen und Empfänger von Spenderherzen Schuldgefühle gegenüber dem toten Spender?

Ebenberger: Diese Spenderschuld wird von Betroffenen im Vorfeld immer wieder angesprochen. Manchmal erzählen sie, dass sie vermehrt auf die Straße schauen, wenn es draußen regnet oder schneit, weil es da mehr Motorradunfälle gibt. Das löst Schuldgefühle aus. Denn wie kann ich darauf warten, dass jemand stirbt? Aber das ist nur zu verständlich. Man wartet ja, um sein Leben zu verlängern. Diese Gedanken sind normal, das darf auch angesprochen werden. Wir versuchen auch, zu erklären, dass niemand für die Patienten stirbt. Ja, es stirbt ein Mensch, leider, aber der Tod kann hoffentlich andere retten. Dabei, das zu akzeptieren, können auch Abschiedsrituale helfen. Etwa, indem man dem unbekannten Spender einen Brief schreibt, der dann verbrannt wird. Darin bedankt man sich für das Herz, für das Leben und sagt, dass man gut darauf aufpasst. Manche Patientinnen und Patienten berichten von Träumen, in denen ihnen ihr angeblicher Spender erschienen ist.

STANDARD: Was wissen die Betroffenen über ihren Spender oder ihre Spenderin?

Ebenberger: Vorab werden von ihnen immer viele Fragen gestellt, etwa zum Geschlecht und der Identität. Aber sie erfahren nichts. Zum einen aufgrund des Datenschutzes, zum anderen würde es auch die Identifizierung mit dem Organ als dem eigenen nicht unterstützen. Letztlich geht es darum, dass es ein gutes Herz ist, dass einem hoffentlich noch viele wundervolle Jahre mit Lebensqualität schenkt

STANDARD: Nach dem Eingriff sind Patientinnen und Patienten wochenlang im Spital. Wie fühlt es sich an, plötzlich ein gesundes Herz zu haben?

Ebenberger: Die Zeit danach nennt man die Honeymoon-Phase. Viele bekamen vor der OP nur noch wenig Luft, plötzlich ist da diese Menge an Sauerstoff. Sie merken, dass sie beim Gehen oder Essen wieder reden können, was davor nicht mehr ging. Sie können plötzlich wieder weiter und schneller gehen und haben viel mehr Kraft. Da merkt man teilweise eine wahnsinnige Euphorie. Aber das ist natürlich nicht bei jedem so. Menschen, bei denen es sehr schnell gehen musste, sind nicht zwangsläufig glücklich. Die brauchen die Zeit, die andere zur Vorbereitung hatten, danach.

STANDARD: Manche berichten nach der Herztransplantation von einer veränderten Persönlichkeit. Ist da etwas dran?

Ebenberger: Das glaube ich schon. Es verändert sich etwas in einem durch dieses unglaublich einschneidende Erlebnis, das mit dem Leben und Überleben, einer neuen Lebensqualität und einem neuen Lebensabschnitt zu tun hat. Manche beschreiben nach der OP ihre Nahtoderfahrung. Man erfährt die Grenzen des eigenen Körpers ganz massiv. Die Tragweite dieses Ereignisses, das gemeinsame Kämpfen als Team, verändert auch eine Familie. Ein Patient fing mit seinem neuen Herz an, wahnsinnig viel Sport zu machen. Er sagte, er hätte das Gefühl, ein Sterbejahr auf dem Rücken stehen zu haben, und dem versuche er nun davonzuradeln, daher der Sport.

STANDARD: Wie wird der Verlust des eigenen Herzen erlebt?

Ebenberger: Manche verabschieden sich vom alten Herz. Bei einer längeren Krankheitsgeschichte, wie es häufig ist, findet der Ablösungsprozess vom kranken Herzen schon deutlich länger statt. Die Lebensqualität sinkt merklich, diese Wahrnehmung kann den Loslösungsprozess auch oft erleichtern. Wenn möglich, werden die Herzklappen gespendet. Es ist für viele tröstlich, dass sie mit ihrem Herz anderen helfen können.

STANDARD: Wie lange brauchen Patientinnen und Patienten nach der Transplantation psychische Unterstützung?

Ebenberger: Wir begleiten Patientinnen und Patienten ein Leben lang. Anfangs kommen sie einmal im Monat, dann werden die Abstände größer. Man entwickelt mit vielen Patientinnen und Patienten enge Beziehungen, immerhin steht man ihnen im Krankenhaus am Anfang einen Monat lang zur Seite. Zu uns kommen mittlerweile Menschen, die vor über 30 Jahren ein neues Herz bekommen haben. Und im Großen und Ganzen geht es ihnen gut. (Franziska Zoidl, 26.10.2021)