Der Hirschkäfer, der bevorzugt an morschen Wurzelstöcken und Baumstümpfen lebt, ist mittlerweile stark gefährdet.
Foto: Anton Stefan Reiter

Ein ganzes Drittel aller Waldbewohner – und das sind immerhin rund 13.000 Arten von Pflanzen, Tieren und Pilzen – ist in irgendeiner Form von sogenanntem Totholz abhängig. Doch das ist insbesondere in reinen Wirtschaftswäldern Mangelware. Wie Ertrag und Artenschutz sich vereinen lassen, hat ein Forschungsprojekt im burgenländischen Leithagebirge ausgelotet.

Als Totholz bezeichnet man absterbende oder tote Bäume sowie ihre Teile. Dabei ist Totholz nicht gleich Totholz. Ob etwa ein abgestorbener Baum noch steht oder am Boden liegt, spielt eine wichtige Rolle für die Lebewesen, die ihn besiedeln.

Auch in den verschiedenen Phasen des Verfalls von Holz fühlen sich jeweils unterschiedliche Organismen wohl. Da Bäume im Wirtschaftswald jedoch gewöhnlich lange vor ihrem natürlichen Tod gefällt werden und liegendes Holz zum Schutz vor dem Borkenkäfer in der Regel entfernt wird, ist es kein Wunder, dass sehr viele auf Totholz angewiesene Arten selten oder gefährdet sind.

Der Mittelspecht stochert bei seiner Suche nach Ameisen und Käfern tief in der Rinde von alten Bäumen.
Foto: Birdlife / Michael Dvorak

Wie kann dem Totholz im Wald wieder mehr Raum gegeben werden? Diese Frage untersuchte der WWF auf 3500 Hektar Wald der Esterházy-Betriebe im Leithagebirge. Die Idee dabei war, nicht nur einzelne alte Bäume und Gehölzgruppen zu erhalten, sondern ein Verbundsystem zu schaffen, damit auch Totholzbewohner, die nicht sehr mobil sind, zwischen geeigneten Standorten wechseln können.

Durch den Austausch wird die genetische Vielfalt der jeweiligen Art erhöht; gleichzeitig ermöglicht er aber auch ein Ausweichen, wenn ein Baum ausfällt. Die Frage war, wie ein solcher Verbund verwirklicht werden kann, ohne die Holzgewinnung übermäßig zu beeinträchtigen.

Biotopbäume

Eine zentrale Rolle bei der Erhaltung von Totholz-Lebensräumen spielen sogenannte Biotopbäume: Das sind sehr alte, noch lebende Bäume mit seltenen Merkmalen wie abgestorbenen Teilen oder Höhlen. Auch sie werden zum Totholz gezählt und bieten aufgrund ihrer vielfältigen Strukturen Habitate für zahlreiche Arten.

"Laut Studien braucht es fünf bis zehn Biotopbäume pro Hektar, damit ein Austausch zwischen den Bäumen stattfinden kann", sagt Projektleiterin und Waldexpertin Karin Enzenhofer vom WWF, "aber das wären bei 3500 Hektar 17.000 bis 35.000 Bäume. Das ist keinem Forstbetrieb zuzumuten."

Die Lösung fanden sie und ihre Kollegen schließlich in einer Kombination aus Schutzflächen und diese verbindenden Korridoren. Die Fachleute wählten 18 Schutzflächen mit im Durchschnitt 13 Hektar aus, auf denen sowohl jetzt als auch in Zukunft keine Nutzung erfolgt.

Die Verbindung zwischen diesen Arealen gewährleisten Korridore aus Biotopbäumen. Insgesamt 1250 davon gibt es auf der Projektfläche im Leithagebirge, verbunden durch Korridore mit einer Gesamtlänge von 30 Kilometern.

Der Halsbandschnäpper leidet unter dem Mangel an Totholz.
Foto: Otto Samwald

Alte Eichen als Kinderstube

Stellvertretend für die vielen Arten, die von der Erhaltung des Totholzes profitieren, lag der tierische Fokus des Projekts auf Halsbandschnäpper, Mittelspecht, Hirschkäfer und Großem Eichenbock. Der auffällig schwarz-weiß gezeichnete Halsbandschnäpper ist ein Zugvogel, der erst im Mai aus dem tropischen Afrika zurückkommt. Zu dieser Zeit sind die Baumhöhlen, die er für seine Brut braucht, oft schon von anderen, früher heimkehrenden Arten besetzt. Entsprechend leidet er unter einem Mangel an Totholz.

Der Mittelspecht stochert bei seiner Suche nach Ameisen und Käfern tief in der Rinde von alten Bäumen, am liebsten von mehr als 150-jährigen Eichen. Dort findet er sogar im Winter versteckte Insekten. Wie alle Spechte hackt er jedes Jahr eine neue Bruthöhle in morsches Holz. Da sowohl alte als auch morsche Eichen mittlerweile selten sind, ist der Mittelspecht gefährdet.

Die Larven des Hirschkäfers, die in ihrem letzten Stadium bis zu zehn Zentimeter lang werden können, leben bis zu acht Jahre unterirdisch, bevorzugt an morschen Wurzelstöcken und abgestorbenen Wurzeln von Eichen, wobei sie sich von Mulm und morschem Holz ernähren. Dafür muss es nicht unbedingt ein ganzer Baum sein: Auch ein stehen gebliebener Baumstumpf von ein bis zwei Metern Höhe eignet sich als Kinderstube des größten heimischen Käfers. Stark gefährdet ist die Art trotzdem.

Der Große Eichenbock gehörte zu den größten heimischen Käfern – und ist vom Aussterben bedroht.
Foto: Walther Gastinger/WWF

Brutbäume erhalten

Nicht besser geht es dem Großen Eichenbock: Er ist sogar vom Aussterben bedroht. Mit bis zu fünf Zentimetern Körperlänge und – beim Männchen – doppelt so langen Fühlern gehört er zu den größten heimischen Käfern. Wie der Name schon nahelegt, liebt auch er Eichen, genauer gesagt: Stieleichen.

In dicke, alte Exemplare, die schon angekränkelt, aber noch nicht abgestorben sind, legen die Weibchen ihre Eier. Während der drei bis fünf Jahre dauernden Entwicklung fressen die Larven oft fingerdicke Gänge ins Holz. Die Erwachsenen ernähren sich dann nur noch vom Saft verletzter Eichen, verwenden aber oft jahrelang denselben Baum für die Eiablage.

Eines der letzten bedeutenden Vorkommen des Großen Eichenbocks beherbergt der Nationalpark Donau-Auen, der unter anderem vom Klimaschutzministerium unterstützt wird. Rund 100 Brutbäume konnten bisher nachgewiesen werden. Um diese zu erhalten, wurden in den letzten Jahren verschiedene Maßnahmen gesetzt: Zuerst einmal wurden Eichen, die älter als 80 Jahre sind, erfasst und dokumentiert.

Zwar erfolgt in der Kernzone des Nationalparks keine Holznutzung, doch müssen Bäume, die eine Gefahr für die Besucher darstellen, entfernt werden. Wo das der Fall ist, versucht man, die Wege vorübergehend aufzulassen oder nur die über den Weg ragenden Äste zu schneiden.

Wie man Totholz und seine Bewohner im Wirtschaftswald fördern kann, haben die WWF-Expertinnen und -Experten in einem Leitfaden festgehalten. Denn bis jetzt stehen in unseren Wäldern "fast nur Jugendliche", wie Karin Enzenhofer es ausdrückt, "es gibt kaum Pensionisten unter den Bäumen". (Susanne Strnadl, 21.10.2021)