ICIJ-Direktor Gerard Ryle

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Wien – Fünf Medien, die sich an kürzlich veröffentlichten "Pandora Papers"-Recherchen des Internationalen Netzwerks investigativer Journalisten (ICIJ) zu geheimen Vermögen in Steueroasen beteiligt hatten, haben aus Angst vor staatlichen Repressalien kurzfristig auf geplante Publikationen verzichtet. Dies berichtete ICIJ-Direktor Gerard Ryle am Dienstagnachmittag in einem vom Presseclub Concordia und dem Forum Journalismus und Medien (fjum) organisierten Onlinegespräch.

Unter der Leitung des ICIJ hatten 600 Journalisten von 150 Medien in 115 Ländern, darunter der ORF und das Nachrichtenmagazin "Profil" in Österreich, anderthalb Jahre lang mehr als 10 Millionen geleakte Dokumente und Dateien aus Steueroasen durchgearbeitet. Unter dem Projekttitel "Pandora Papers" hatten sie zeitgleich am 3. Oktober mit Publikationen über versteckte Vermögenswerte der globalen Eliten begonnen.

Ryle selbst erachtete eine "himmelschreiende Verlogenheit der Herrschenden" als wichtigste Erkenntnis der aktuellen Recherchen. Nach den vorangegangenen Veröffentlichungen zu Steuerparadiesen, "Panama Papers" 2016 und "Paradise Papers" 2017, sei der Eindruck erweckt worden, dass alles in Ordnung gebracht worden sei. "Wir Journalisten sagen aber jetzt, dass nichts repariert wurde und es schlimmer wie je zuvor ist", erklärte der ICIJ-Direktor.

Gesetzesvorschlag gegen Steueroasen

Ryle berichtete auch über erste Reaktionen auf die "Pandora Papers". Bereits in der ersten Woche nach Veröffentlichung habe es etwa in den USA einen wichtigen Gesetzesvorschlag gegen Steueroasen gegeben, referierte er. "Man spricht aber auch von einer Rolle, die wir beim Fall des tschechischen Premiers (Andrej Babiš, Anm.) gespielt haben sollen. Zwei Tage nach unserer Publikation hat er wider Erwarten Wahlen verloren", erzählte der gebürtige Ire. In Chile laufe nun ein Amtsenthebungsverfahren gegen den Präsidenten, auch in Ecuador könnte der Präsident sein Amt verlieren, sagte er.

In Australien seien zudem 80 Millionen US-Dollar (69 Mio. Euro) beschlagnahmt worden, große Museen wollten nun geplünderte Kunstwerke an Kambodscha zurückgeben. Wirkliche Auswirkungen der Publikationen werden auf sich warten lasse, mehr als ein Dutzend Staaten hätten jedenfalls um Zugriff auf an ICIJ geleakten Dokumente ersucht, erzählte er.

Bedrohte Journalisten

Obwohl er selbst das Büro von ICIJ mit Rechtsanwaltsbriefen tapezieren könnte, fühle er sich nicht bedroht, reagierte Ryle auf eine Frage der APA. Er verwies auf die große Bedeutung des ersten Zusatzes der US-Verfassung, der es schwierig mache, korrekt arbeitende Medien zu verklagen. Dies sei auch einer der Gründe dafür, dass seine Non-Profit-Organisation den Sitz in den USA habe. In anderen Ländern seien Journalisten hingegen viel größeren Bedrohungen ausgesetzt, betonte der ICIJ-Direktor.

"Zwei Wochen vor dem Veröffentlichungstermin der 'Pandora Papers' haben sich fünf Medienpartner zurückgezogen, die sich zuvor aktiv an den Vorbereitungen beteiligt hatten", sagte er. Sie hätten erklärt, dass es nicht möglich sein würde, die geplanten Artikel zu veröffentlichen, oder dass ihr Medium im einem Fall der Publikation geschlossen würde. Die betroffenen Medien und Länder nannte er nicht.

Zudem habe es einige Journalisten gegeben, die aus Sicherheitsgründen ihr Land verlassen mussten, erzählte Ryle. Er sprach davon, dass die russischen Partner von ICIJ, istories.media, in Russland offiziell zum "ausländischen Agenten" erklärt worden seien und Vertreter dieses Mediums sich darauf vorbereiten müssten, außerhalb Russlands zu arbeiten, um weiterhin als Journalisten tätig sein zu können.

ICIJ selbst drohe ein Verbot in Russland, das ihn und seine Mitarbeiter dann bei einer etwaigen Reise nach Russland ins Gefängnis bringen könnte. "Ich habe aber nicht vor, dorthin zu fahren", sagte Ryle. Auch auf den Britischen Jungferninseln (BVI) sei nach der Veröffentlichung der "Offshore Leaks" (2013) ein Gesetz beschlossen worden, das ihn ins Gefängnis bringen könnte. (APA, 20.10.2021)