Miloš Zeman, tschechischer Staatspräsident, macht wieder einmal von sich reden. Dieses Mal jedoch, indem er sich nicht äußert. Denn er liegt auf der Intensivstation eines Regierungskrankenhauses und kann seinen Dienstgeschäften nicht nachgehen. Nach der Verfassung des Landes steht nach den Parlamentswahlen eine wichtige Entscheidung des Staatsoberhauptes an: Der Auftrag an einen Politiker, die neue Regierung zu bilden. Was in Tschechien immer bedeutet, sich auf die Suche nach einer Regierungsmehrheit zu machen. Die größte Partei des Landes, Ano ("Aktion unzufriedener Bürger"), welche in den Wahlen zwar an Unterstützung gegenüber 2017 verloren hat und der zudem die beiden Koalitionspartner abhandengekommen sind, weil sie die Fünf-Prozent-Hürde nicht geschafft haben, wird von Andrej Babiš geführt. Dieser hatte vor den Wahlen die Zusicherung des Präsidenten erhalten, dass jener die größte Einzelpartei mit der Regierungsbildung beauftragt. Ano hat mit 72 Mandaten nach wie vor die meisten Sitze einer politischen Formation des Abgeordnetenhauses. Inzwischen hat Babiš aber eingesehen, dass ihm mangels koalitionswilligen Partnern nur der Weg in die Opposition bleibt.

Ivana Zemanová bat darum, nicht über den Gesundheitszustand ihres Mannes zu spekulieren.
Foto: EPA/Koca Sulejmanovic

Wie geht es Miloš Zeman?

Unterdessen geht die Auseinandersetzung um die Gesundheitsdaten des Präsidenten weiter. Der Senatsvorsitzende, selbst Mitglied der Mitte-Rechts-Partei ODS (Bürgerdemokraten), verlangt nach einer offiziellen Auskunft, mit dem Hintergedanken, dass natürlich bei dauerhaften gesundheitlichen Problemen des Präsidenten dessen Kompetenzen teilweise durch den Vorsitzenden des Abgeordnetenhauses und teilweise durch den Regierungschef ausgeübt werden können. Allerdings ist das neugewählte Abgeordnetenhaus, in dem die Oppositionsparteien die rechnerische Mehrheit stellen, noch gar nicht zu seiner ersten Sitzung zusammengetreten, denn auch sie muss vom Präsidenten einberufen werden. Sie ist für den 8. November vorgesehen. Die Präsidialkanzlei gibt jedoch keine Gesundheitsdaten ihres Chefs bekannt und wird dafür von allen Seiten kritisiert. Dagegen bat Ivana Zemanová, die Frau des Präsidenten, die Medien darum, nicht weiter über den Gesundheitszustand ihres Mannes zu spekulieren, das sei unethisch. Nach der gestern erfolgten Auskunft der Ärzte über die aktuell schlechten Heilungsaussichten für den Präsidenten wird eine zeitweilige Übernahme seiner Kompetenzen wahrscheinlicher.

Die Karriere des Miloš Zeman

Miloš Zeman hat in der Tschechischen Republik nach deren Trennung von der Slowakei eine spektakuläre politische Karriere hingelegt. Er wurde 1944 geboren, studierte Wirtschaftswissenschaften im Fernstudium in Prag und trat während des Prager Frühlings in die Kommunistische Partei ein. Aus ihr wurde er 1970, wie Hunderttausende andere, wegen seines Engagements für einen demokratisierten Sozialismus hinausgeworfen. Das wirkte sich natürlich auch auf seine berufliche Entwicklung aus, die mehrere Unterbrechungen aufweist. Erst 1990 konnte er richtig durchstarten und wurde Mitarbeiter einer berühmten akademischen Institution, des Prognoseinstituts der Akademie der Wissenschaften, in der auch mehrere andere bekannte tschechische Nach-Wende-Politiker arbeiteten, wie Václav Klaus und Valtr Komárek, die im Bürgerforum eine bedeutende Rolle auf dessen verschiedenen Flügeln spielten.

Zeman wurde 1990 für das Bürgerforum Parlamentsmitglied und trat 1992 in die ČSSD ein, die sozialdemokratische Partei, welche zu diesem Zeitpunkt gerade einmal knapp die Fünf-Prozent-Hürde übersprungen hatte. Ein Jahr später war er deren Vorsitzender. Die Partei erreichte unter seiner Führung 1996 26 Prozent der Stimmen und wurde zwei Jahre später, bei einer vorfristigen Wahl, stärkste Partei. Zeman bildete im selben Jahr eine Minderheitsregierung, die von der ODS (der größten Gegenkraft, angeführt von Václav Klaus) toleriert wurde. In einem sogenannten "Oppositionsvertrag" hatten sich beide Parteien gegenseitige Unterstützung bei der Besetzung von wichtigen Positionen zugesichert. Diese merkwürdige Konstruktion blieb über vier Jahre stabil. Die Regierung unter Zeman begann den Beitrittsprozess des Landes zur EU und die sozialdemokratische Partei sicherte dessen erfolgreichen Abschluss im Mai 2004 gegen den anhaltenden Widerstand der europaskeptischen ODS und deren Wählerinnen und Wählern.

Die ČSSD ist eine der wenigen nach 1989 neugegründeten sozialdemokratischen Parteien in Osteuropa, in der die Strömungen des Reformkommunismus und der traditionellen Sozialdemokratie (die während der Zeit des Staatssozialismus meist in der Emigration ausharren musste) zusammenkamen. Sie war lange führende Regierungspartei Tschechiens oder Teil von Koalitionsregierungen und regierte die Hälfte der Jahre nach 1989. In den Wahlen 2021 verlor sie allerdings ihre Vertretung im Abgeordnetenhaus.

Zemans Positionen: variabel und umstritten

Die politischen Äußerungen des Präsidenten Zeman wurden häufig kontrovers aufgenommen, sowohl im Land als auch international. Sie lassen sich nicht leicht auf eine einzige Linie bringen. Er ist EU-freundlich und sprach sich für den Beitritt des Landes zur Eurozone aus. Andererseits wird seine allgemein als Russland- und China-freundlich gekennzeichnete Haltung kritisiert. Er zeichnet sich aber auch durch eine Israel-freundliche Haltung aus und unterstützte die Entscheidung des US-Präsidenten Donald Trump, die Botschaft nach Jerusalem zu verlegen. Tschechien eröffnete dann auch dort auf das Betreiben von Zeman eine Außenstelle seiner Botschaft. Die Flüchtlingsbewegung um 2015 kritisierte er als Invasion und unterstützte eine Petition von Václav Klaus, der vor "einer künstlichen Vermischung der Nationen, Kulturen und verschiedenen Religionen" warnte. Zeman trat mehrfach deutlich gegen den Islam auf. Seine öffentlichen Behauptungen sind mitunter überzogen und er ist wenig einsichtig im Falle der Widerlegung seiner Aussagen, so dass eine Entschuldigung dafür mehrfach gerichtlich erzwungen werden muss, wie etwa im Falle des Journalisten Peroutka.

Wie der Politkrimi um die Benennung des neuen Ministerpräsidenten-Kandidaten nach den Wahlen vom Oktober 2021 in Tschechien ausgeht, ist noch nicht klar. Ob Miloš Zeman sein Amt bis zu den Wahlen im Jahr 2022 ausüben kann, ebenso nicht. Klar ist nur eins, ein Urgestein der tschechischen Nach-Wende-Politik hat wahrscheinlich keinen langen Weg in der Politik mehr vor sich. Sein Wirken für die tschechische Demokratie war ambivalent und durch diverse Peinlichkeiten und Fehlleistungen gekennzeichnet, die sich in den letzten Jahren noch häuften. Dennoch verdient sein Einsatz für Festigung der demokratischen Tschechischen Republik eine gerechte Würdigung. (Dieter Segert, 21.10.2021)

Dieter Segert war von 2005 bis 2017 Universitätsprofessor für Transformationsprozesse in Mittel-, Südost- und Osteuropa am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien.

Literaturhinweise

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