Am Montag teilte der Springer Verlag das Ende der Zusammenarbeit mit Reichelt an der Spitze von Deutschlands größter Boulevardzeitung mit.

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Der 41-jährige nunmehrige Ex-"Bild"-Chefredakteur Julian Reichel hat nach heftigen Vorwürfen seinen Job verloren. Das teilte das Unternehmen am Montag in Berlin mit. Hintergrund ist eine Recherche des Ippen-Verlags, in der es unter anderem um "Machtmissbrauch gegen Frauen" durch Reichelt geht.

Dem Ex-"Bild"-Chefredakteur wird vorgeworfen, sich immer wieder nach demselben Muster jungen Berufseinsteigerinnen in seiner Redaktion genähert zu haben. Er habe ihnen verantwortungsvolle Aufgaben anvertraut oder sie auf Positionen gehoben, für die sie nicht geeignet waren. Die Förderung sei mit einem sexuellen Verhältnis zu den Frauen verbunden gewesen. Dieser und ähnliche Fälle werfen nicht zuletzt Fragen rund um Machtmissbrauch und sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz auf – allen voran, wie dieses Verhalten künftig unterbunden werden könnte.

Fehlende Regelung

In manchen Unternehmen gibt es zwar bereits Verhaltenskodizes, die sogenannten Codes of Conduct. Diese regeln zum Beispiel das Verhalten der Beschäftigten gegenüber Konkurrenten oder welche Einladungen und Geschenke sie annehmen dürfen. Aber auch moralisches Handeln, Diversität und Gleichbehandlung zählen oft zur Compliance. Um deren Einhaltung zu prüfen, haben die meisten großen Unternehmen Compliance-Abteilungen oder Chief Compliance Officers, an die man sich vertraulich wenden kann. "Formale Regelungen zu Beziehungen oder Machtmissbrauch am Arbeitsplatz gibt es aber meist nicht", sagt Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak.

Seit der #MeToo-Bewegung haben zwar manche Unternehmen angefangen, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, proaktive Schritte seien aber immer noch die Ausnahme. "In der Regel wird erst nach einem Anlassfall gehandelt", sagt die Arbeitsrechtsexpertin. Ein Grund dafür: "Den Tatbestand der sexuellen Belästigung gibt es nur im Gleichbehandlungsgesetz, und das aus einer rückwirkenden Betrachtung heraus. Erst wenn etwas passiert ist, können Betroffene ihr Recht geltend machen."

Ein weiterer Grund für den ausbleibenden Fortschritt sieht Körber-Risak darin, dass Führungspositionen großteils nach wie vor männlich besetzt sind. "Einerseits fehlt an vielen Unternehmensspitzen das Bewusstsein für die Problematik. Andererseits sind es meist Männer in Machtpositionen, die diese ausnutzen", sagt sie. Das zeigt auch ein Bericht der Gleichbehandlungsanwaltschaft für die Jahre 2016 und 2017: Von sexueller Belästigung Betroffene sind demnach zu 96 Prozent weiblich, drei Prozent männlich und ein Prozent transident. Mutmaßliche Belästiger sind hingegen zu 94 Prozent männlich.

Präventive Maßnahmen

"Machtmissbrauch geht immer von der hierarchisch höheren Position aus. Selbst wenn also eine Person zu Unrecht befördert wird, ist nicht sie das Problem, sondern die Führungskraft, die das umsetzt", sagt sie. Denn die Frage sei immer: Was wäre passiert, wenn die oder der Beschäftigte diese Beziehung nicht eingegangen wäre? "Dieses Abhängigkeitsverhältnis kann nur entstehen, wenn eine Führungskraft überhaupt so viel Macht hat. Sind Personalentscheidungen transparent und werden sie von mehr als einer Person getroffen, kann es gar nicht so weit kommen", sagt die Arbeitsrechtsexpertin.

Körber-Risak plädiert – neben mehr Transparenz in Unternehmen – wie im Arbeitnehmerschutz für eine präventive Haftung des Arbeitgebers. Das heißt: Die Geschäftsführung ist dafür verantwortlich, Aufklärung zu betreiben und ein internes Kontrollsystem zu etablieren. Beschäftigte müssen geschult werden und Firmen müssen immer wieder überprüfen, ob ihr System funktioniert oder fehleranfällig ist, neueste Entwicklungen mitteilen sowie nachweisen, dass sie sich um dieses Thema kümmern.

Auch in vielen anderen Bereichen würde das Arbeitsrecht nach diesem Prinzip funktionieren, wie beispielsweise Auflagen zur Arbeitssicherheit beweisen: "Wenn sich ein Arbeitnehmer in der Firma verletzt, weil eine Richtlinie nicht eingehalten wurde, haftet der Arbeitgeber. Wenn eine Arbeitnehmerin monatelang sexuell belästigt wird, haften Belästiger und nur in wenigen Fällen auch das Unternehmen. Im Gegensatz zum ersten Fall haften außerdem beide nur zivilrechtlich und nicht strafrechtlich", sagt sie.

Kein Beziehungsverbot

Beziehung grundsätzlich zu untersagen sei aber keine Lösung – und nach österreichischer Rechtslage auch nicht möglich. Die Achtung des Privat- und Familienlebens habe hierzulande einen hohen Stellenwert. Eine konsensuale Beziehung am Arbeitsplatz zwischen Vorgesetzten und Beschäftigten ist daher weder ausgeschlossen, noch ein Entlassungsgrund.

In den USA ist man hingegen teilweise über das Ziel hinausgeschossen: Personalabteilungen verbieten Beziehungen zunehmend, sobald ein hierarchisches Arbeitsverhältnis vorliegt. Die übrigen legitimen Büropärchen müssen nicht selten einen "Liebesvertrag" unterzeichnen. Darin erklären die involvierten Parteien, dass ihre Beziehung einvernehmlich sei. "Meldepflichten für Beziehungen gibt es teilweise auch in Österreich", sagt Körber-Risak. Das sei zwar ebenfalls ein Eingriff in die Privatsphäre, im Zweifelsfall sei dieser jedoch gerechtfertigt – unter Berücksichtigung der Pärchenkonstellation. (Anika Dang, 21.10.2021)