Foto: Christoph Walder

Innsbruck – Könnten Fische schreien, würden das Inn- und das Zillertal an manchen Tagen erzittern. So erklärt der Biologe Christoph Walder die Dramatik des lautlosen Massensterbens in Tirols Fließgewässern. Sein neuer Dokumentarfilm, der am Freitag im Rahmen des Innsbrucker Naturfilmfestivals Österreich-Premiere feiert, widmet sich genau diesem Thema. Unter dem Titel "Was Fische wollen" beleuchtet Walder die Gründe, die zum Verschwinden der Fischschwärme geführt haben.

Neben den bekannten Faktoren wie Flusslaufregulierungen und Verbauung durch Kraftwerke wirft die Doku ein Schlaglicht auf ein bislang kaum beachtetes Problem: den Schwall und Sunk. Darunter versteht man das rasche Ansteigen und ebenso schnelle Absinken des Wasserpegels. Verursacht wird dies durch die Wasserkraftwerke, die unmittelbar auf Preisschwankungen auf den Strommärkten reagieren. Steigt dort der Preis, öffnen die Kraftwerke ihre Schleusen, um rasch Strom zu produzieren.

Die tödliche Welle

In Tirols Flüssen verursacht diese Praxis Pegelunterschiede von bis zu anderthalb Metern in kurzer Zeit. "Das kann binnen Sekunden passieren. Mir hat es einmal das Kamera-Equipment weggespült, weil der Schwall so plötzlich kam", erzählt Walder von seinen Erfahrungen beim Filmen. In der Dokumentation wird ein solcher Schwall im Zillertal gezeigt. Ein erfahrener Kajakprofi stellt sich zur Veranschaulichung in den knietiefen Bach. Er wird einfach abgetrieben, als plötzlich der Wasserschwall kommt. Für die Fische bedeuten diese massiven Pegelschwankungen, die mindestens zweimal am Tag passieren, jedoch eine tödliche Gefahr.

Denn durch das rasche Ansteigen des Pegels und die Zunahme der Strömungsgeschwindigkeit suchen sich Koppen und junge Äschen ruhigere, seichtere Stellen, die meist in Ufernähe sind. Sobald nun aber ebenso plötzlich der Sunk einsetzt, sind die Tiere in kleinen Tümpeln, die sich aufgrund des sinkenden Wasserstands an ufernahen Schotterbänken bilden, gefangen. Sie ersticken zu Tausenden qualvoll.

Bedrückende Zeugenschaft

Biologe Walder hat das mit der Kamera festgehalten und zeigte sich selbst schockiert von seinen Beobachtungen: "Es war bedrückend, dabei zuzusehen. Anfangs habe ich noch versucht, die Tiere selbst zu retten und zurück in den Fluss zu setzen. Aber es sind einfach viel zu viele." Die Zahl der Fische, die aufgrund des Schwall/Sunk-Betriebs sterben, wird österreichweit auf rund 200 Millionen pro Jahr geschätzt.

Im Fall des Inns bedroht das Phänomen die drei letzten verbliebenen Arten: Bachforellen, Äschen und Koppen. Ursprünglich war der größte Fluss der Alpen Heimat für 31 Fischarten. Doch seit Beginn der Flussregulierungen vor gut 250 Jahren und vor allem seit dem Bau der Wasserkraftwerke, der vor 100 Jahren einsetzte, hat sich das Leben im und auch am Inn nachhaltig verändert. Die Kraftwerke haben die Wanderungen der großen Fischschwärme unmöglich gemacht. Mit ihnen verschwanden auch die Berufsfischer, von denen es früher in Tirol noch hunderte gab. Und auch den Aulandschaften wurde sprichwörtlich das Wasser abgegraben. Nur mehr knapp fünf Prozent davon sind erhalten.

Schonzeit für Jungfische

In Walders Dokumentation kommen auch Vertreter der Wasserkraft zu Wort. Fachleute der Branche erklären, warum ein Ausbau der Kraftwerke gerade in Zeiten des Klimawandels nötig sei. Fischer wiederum halten dagegen und kritisieren, dass die Erzählung der "sauberen Wasserkraft" eine Legende sei, sie verweisen dazu auf die Auswirkungen dieser Form der Energiegewinnung auf die Flüsse.

Walder selbst sieht seinen Film nicht als Anklage, sondern als Beitrag zur Aufklärung: "Ich will damit eine Diskussion anstoßen." Die EU hat im Rahmen ihrer Wasserrechtsrichtlinien eine Entschärfung der Schwallproblematik bis 2027 verordnet. Da bislang aber echte Konzepte dafür fehlen, sei das ein utopisches Ziel, glaubt Walder. Daher pochen er und andere Experten auf sofortige Maßnahmen, um dem täglichen Massensterben ein Ende zu setzen. Eine solche Sofortmaßnahme wäre eine Schonzeit für die Fischbestände während eines rund sieben Wochen dauernden "Jungfischfensters", in dem die Tiere besonders vulnerabel sind. (ars, 21.10.2021)