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Corona-Test am Flughafen Ben Gurion bei Tel Aviv.

Foto: REUTERS/ Ronen Zvulun/File Photo

Schön langsam gehe ihm das Geld aus, sagt Avi. Eineinhalb Jahre ohne Aufträge zehren am Ersparten. Der 52-jährige Tourenanbieter aus Jerusalem darf seit März 2020 keine Reisegruppen von Jerusalem zum Toten Meer, von Tel Aviv nach Galiläa kutschieren: Israel lässt keine Touristen ins Land. Abgesehen von wenigen Ausnahmen für organisierte Gruppenreisen, die strenge Auflagen erfüllen müssen, sind die Flugzeuge, die derzeit am Tel Aviver Flughafen landen, ausschließlich mit Israelis und Ausländern mit Langzeitaufenthalt besetzt.

Das Tourismusministerium hatte in der Vergangenheit zwar schon mehrmals die bevorstehende Grenzöffnung angekündigt, Hoteliers und Fremdenführer standen in den Startlöchern. Doch jedes Mal machte die Regierung kurz vor dem Anpfiff einen Rückzieher: Eine neue Covid-Variante wurde entdeckt, die Infektionszahlen stiegen an – und die Grenzöffnung wurde verschoben.

Skepsis am Flughafen

Nun könnte es tatsächlich passieren. Anfang November will Israel Reisende aus Europa hereinlassen, drei Wochen später auch aus dem Rest der Welt – Risikoländer wie Großbritannien sind ausgenommen. Europäer können also schon jetzt Flüge nach Israel buchen, wenn sie dreimal geimpft wurden und ihre zweite Impfung vor weniger als sechs Monaten erhalten haben. Tourenanbieter wie Avi, der sich nun in Jerusalem als Taxifahrer verdingt, sind skeptisch.

Neue Alarmsignale aus dem Gesundheitsministerium geben ihm recht. Mittwochabend berief Premierminister Naftali Bennett die Spitzen des Ministeriums zu sich. Der Grund: Eine neue Subspezies der Delta-Variante war in mehreren europäischen Ländern identifiziert worden, nun trat sie erstmals auch in Israel auf. Dass die Variante namens AY 4.2 in Europa nicht nur vereinzelt aufgetreten war, sondern sich in mehreren Ländern, darunter auch Österreich, ausbreitete, macht den israelischen Epidemiebekämpfern Sorgen. Es könnte bedeuten, dass die Variante ähnlich aggressiv ist wie jene Delta-Variante, die in Israel eine heftige vierte Welle ausgelöst hat. Immer noch fordert sie Todesopfer, vor allem bei den Ungeimpften: Über neunzig Prozent der neu registrierten schweren Fälle sind nicht geimpft, und auch von den schwer verlaufenden Erkrankungen bei Geimpften hat die überwiegende Zahl nur zwei Dosen des Pfizer-Biontech-Impfstoffs erhalten.

Booster wirkt

Israel setzt daher alles daran, so viele Menschen wie möglich dreifach zu impfen. Nun haben bereits 3,8 Millionen Israelis den Booster erhalten, und die Folgen zeigen sich in sinkenden Inzidenzen und weniger Todesfällen.

Experten warnen aber vor zu viel Euphorie. Man dürfe nicht die Fehler der Vergangenheit wiederholen und zu rasch alle Schranken fallen lassen, warnt etwa Nadav Davidovitch von der Ben-Gurion-Universität des Negev. Ein überstürztes Öffnen hatte schon im Sommer 2020 schnurstracks in die zweite Welle geführt und auch in diesem Sommer in die vierte. Am 15. Juni hatte Israel das Ende der Maskenpflicht ausgerufen – um es zehn Tage später, angesichts rasant ansteigender Inzidenzen mit der Delta-Variante, erneut einzuführen.

Diesmal, so erklärte der Generaldirektor des israelischen Gesundheitssystems Nachman Ash, wird das Tragen des Mund-Nasen-Schutzes in öffentlichen Innenräumen auf jeden Fall weiter vorgeschrieben sein. Auch an der 3G-Regel für Lokalbesuche werde man festhalten, sagte Ash. Was die Variante AY 4.2 betrifft, werde man nun die Entwicklungen in Israel sehr genau beobachten, sagte Bennett.

Viele Kinder im Spital

Während man im Ministerium schon an die nächste Welle denkt und dafür die nötigen Auffrischungsimpfdosen bestellt, kämpfen viele israelische Familien noch mit den Folgen der nun ausklingenden Welle: Die Delta-Variante brachte bei Kindern deutlich mehr schwere Verläufe , die oft erst Wochen nach einer Infektion auftreten, wie die israelische Kinderärztevereinigung berichtet – und zwar häufig auch dann, wenn die Infektion selbst mild oder sogar symptomfrei verlief. Das sogenannte PIMS-Syndrom, eine Art multiples Entzündungssyndrom mit hohem Fieber und Ausschlägen, tritt laut den Kinderärzten häufiger auf als in früheren Wellen. Allein von August auf September hat sich die Zahl der Kinder, die wegen PIMS im Spital behandelt werden mussten, vervierfacht.

Ob das daran liegt, dass Kinder nicht geimpft werden dürfen, oder auch daran, dass Delta für Kinder womöglich gefährlicher ist, sei bislang noch ungeklärt, sagt Davidovitch. Ganz unabhängig von dieser Frage sei es aber wichtig, bald eine Zulassung der Pfizer-Biontech-Impfung für Fünf- bis Zwölfjährige zu erhalten. Im Gesundheitsministerium hofft man, bereits im November mit der Kinderimpfung loslegen zu können. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 21.10.2021)