Die Materialschlachten der umjubelten Performerin Florentina Holzinger erinnern an die Wiener Aktionisten.

Foto: Katja Illner

Die Berliner Volksbühne hatte bereits das Vergnügen, die Ruhrtriennale ebenso (DER STANDARD berichtete), jetzt schlägt Florentina Holzingers Stück A Divine Comedy im Tanzquartier Wien auf. Die auf Dantes Göttliche Komödie Bezug nehmende Großproduktion mit über 20 Darstellerinnen und jeder Menge Martial Arts ist am 22. und 23. Oktober in der Halle E im Museumsquartier zu sehen.

Es bleibt wieder einmal kein Hintern unbedeckt, aber das muss sein. Denn es geht um die radikale Aneignung und Neufiltration von Hochkulturwerken im weiblichen Kollektiv – und da ist der nackte Körper (und dessen schonungsloser Einsatz) einfach das mächtigste Werkzeug. Gerade dann, wenn man Fragen wie diese stellt: Wie sieht die Sterbensfantasie einer 81-jährigen Ex-Primaballerina aus? Ist das Jenseits tatsächlich ein unendlicher Raum für sisyphoshaften, nie enden wollenden körperlichen Tschoch? Und könnte das Entree zum ersten Höllenkreis auch ein – äh – stinknormales Dixiklo sein?

Holzinger, mit Apollon (2017) und Tanz (2019) zum internationalen Theater-Shootingstar avanciert und nunmehr für großformatige, physisch radikale Performances bekannt, schickt eine als Dante hypnotisierte Performerin los in die drei Jenseitsbezirke: Hölle, Fegefeuer und Paradies. Wir erkunden in ihrem Schlepptau eine riesige Jenseitslandschaft, in der die Bevölkerung (Engel-Musikerinnen) nichts am Leib trägt als klappernde Skelette. Immer wieder und besonders am Ende blitzt die Grand-Guignol-Schlagseite dieses Abends auf.

London-Dungeon-Flair

Vor allem aber wird malocht: immer wieder Hürdenlauf mit heftigem Abbremsen an der Rampe; sich x-fach aus drei Meter Höhe auf eine Matte stürzen lassen; Holz hacken; teuflisch aufheulende Motocross-Fahrten quer über das Bühnengelände. Blech aus dem Himmel darf auch nicht fehlen.

Alles – Musik, Maschinen, Licht, Nebel, Körper, Sound – verströmen London-Dungeon-Flair. Auch Blut wird abgezapft. Die Materialschlachten Holzingers erinnern an die Aktionisten, eigene Körpersäfte gehören da einfach dazu. Und zum Eintritt ins Paradies startet schließlich ein Konzertflügel senkrecht in den Schnürboden, während er gespielt wird – da kann in puncto radikaler Poesie sogar Romeo Castellucci noch was lernen.

So actionreich ist Theater selten. (Margarete Affenzeller, 22.10.2021)