Seit langer Zeit wieder ein Anschlag im Herzen von Damaskus: der ausgebrannte Militärbus.

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Der Krieg in Syrien ist gute zehn Jahre nach Beginn des Aufstands gegen das Assad-Regime nicht vorbei. Als gälte es, unterschiedliche Konfliktebenen – es gibt noch weitere – herunterzudeklinieren, folgten am Mittwoch Anschläge und Angriffe aufeinander, die geografisch von der Provinz Idlib im Nordwesten und Kobane im Norden über das Zentrum Damaskus bis zum Südosten, nahe dem syrisch-jordanisch-irakischen Länderdreieck, reichten.

Es fällt auf, dass es parallel dazu Bewegungen an der politischen und diplomatischen Front zu Syrien gibt: In Genf finden seit Wochenbeginn erste direkte Gespräche zwischen Regimevertretern, Opposition und Zivilgesellschaft über eine neue syrische Verfassung statt. Und am Mittwoch telefonierte Präsident Bashar al-Assad mit dem De-facto-Herrscher der Vereinigten Arabischen Emirate. Mohammed bin Zayed, der Kronprinz von Abu Dhabi, ist ein Verfechter der Normalisierung des Verhältnisses der arabischen Staaten mit dem 2012 in der Arabischen Liga suspendierten Syrien.

Schauplatz Damaskus

Begonnen hatte die Gewaltserie Mittwochfrüh in Damaskus: An einem symbolträchtigen Ort im zentralen Damaskus, der Assad-Brücke – nach Hafiz al-Assad, dem 2000 verstorbenen Vater Bashars, benannt –, explodierte ein Bus, der Armeepersonal transportierte. Mit 14 Toten war es der blutigste Anschlag gegen das Regime seit 2017, damals schlug der "Islamische Staat" zu. Dass die Bomben am Fahrzeug angebracht waren, unterstreicht die operative Fähigkeit der Täter. Es bekannte sich eine eher unbekannte, aber bereits in Erscheinung getretene Rebellengruppe, die Saraya Qasioun. Wer hinter ihr steckt, ist unbekannt.

Das Regime antwortete mit Artillerieangriffen auf die Stadt Ariha in der Provinz Idlib, die – mit türkischer Unterstützung – von syrischen Rebellen gehalten wird. Auch hier wurden mehr als ein Dutzend Menschen getötet, die meisten davon waren Zivilisten, darunter drei Kinder.

Vergeltung in Idlib

In Idlib lebt nicht nur die angestammte Bevölkerung, die Provinz ist auch Aufnahmezentrum von Rebellen, die im Laufe von lokal abgeschlossenen Waffenstillständen aus allen Teilen Syriens freies Geleit dorthin bekommen haben. Vermittler dieser Abkommen zwischen Regime und Rebellen ist Russland.

In der Provinz Idlib ist jedoch auch die islamistische Rebellengruppe Hayat Tahrir al-Sham (HTS) stark, gegen die immer wieder demonstriert wird, so auch am Donnerstag, dem Tag nach dem Regimeangriff. Hinter der HTS versteckt sich die Nusra-Front, die sich zuvor ganz offen Al-Kaida zugerechnet hat. Dementsprechend ist die HTS von den USA und der Uno als Terrororganisation kategorisiert. Eigentlich hatte die Türkei zugesagt, die HTS zu neutralisieren. Das ist Teil der Vereinbarungen, die Russland – pro-Assad – mit der Türkei – anti-Assad – geschlossen hat und die die türkische Anwesenheit in Syrien regeln. Die Türkei ist ja nicht nur in Idlib, sondern auch entlang der türkisch-syrischen Grenze präsent, um dort die syrischen Kurden der PYD/YPG zurückzudrängen. Ankara identifiziert sie mit der PKK.

Erdoğan und Putin

Dieser russisch-türkische Konsens über Idlib und die Grenzregion scheint wieder einmal zu wackeln – und der Regimeangriff auf Ariha könnte zu einer neuen Krise führen. Zuletzt untermauerten zwar die Präsidenten Tayyip Erdoğan und Wladimir Putin ihre Kooperation bei einem Treffen Ende September, aber sie ist zunehmend fragil. Was sie derzeit zusammenhält, ist unter anderem das schlechte Verhältnis Erdogans mit den USA.

Die Türkei will in Nordsyrien noch mehr Einfluss. Nach einem Angriff auf einen türkischen Konvoi in Nordostsyrien am 10. Oktober drohte Ankara mit der Erweiterung seiner Sphäre im Norden: Konkret scheint es sich Tel Rifaat einverleiben zu wollen. Was selbstverständlich dem Assad-Regime nicht passt – das das Attentat in Damaskus just mit einem Angriff auf die türkische Einflusszone Idlib rächte. Aber Vergeltung übt auch Ankara: Ebenfalls am Mittwoch wurden bei einem Drohnenangriff, der der Türkei zugeschrieben wird, mindestens zwei Kurden in Kobane getötet.

US-Militärbasis al-Tanf

Bleibt der letzte, fast schon vergessene Schauplatz vom Mittwoch: die US-Militärbasis in al-Tanf im Südosten. Die seit Jahren anhaltende Ruhe wurde von einem Drohnen- und Raketenangriff beendet. Nach US-Angaben gab es keine Opfer.

Die USA haben in al-Tanf ein Spezialkommando stationiert, etwa 150 Mann, und arbeiten mit einer lokalen syrischen Rebellengruppe zusammen, die sie, wie im Nordosten die syrisch-kurdischen YPG-Milizen, für den Einsatz gegen den "Islamischen Staat" trainiert und bewaffnet haben.

Aber der Kontext des Angriffs auf al-Tanf ist wieder ein anderer: Dahinter dürften dem iranischen Dunstkreis zuzurechnende Kräfte, die das Assad-Regime unterstützen, stehen. Vergangene Woche wurde bei einem Militärschlag bei Palmyra mindestens ein syrischer Soldat getötet. Er wurde, wie parallel dazu eine Reihe von Angriffen auf iranische Ziele in Syrien, Israel zugeschrieben. Laut syrischem Regime ist der US-Stützpunkt in al-Tanf in die Logistik der israelischen Angriffe in Syrien – hunderte an der Zahl in den letzten Jahren – involviert.

Eine US-Antwort ist zu erwarten. Die USA pflegen auch auf Angriffe Iran-loyaler Milizen im Irak zu reagieren, seit Beginn der Amtszeit von Präsident Joe Biden bereits zweimal. Das hat die USA und den Iran zwar nicht daran gehindert, im April die Atomgespräche in Wien wieder aufzunehmen – deren Fortführung jedoch derzeit am seidenen Faden hängt. Wenig könnte derzeit reichen, um die Situation eskalieren zu lassen. (ANALYSE: Gudrun Harrer, 22.10.2021)