"Hundert Kilowattstunden Batteriekapazität und 500 Kilometer Reichweite, dazu 15 Minuten Ladedauer." Otmar Bitsche, Leiter Entwicklung Elektromobilität bei Porsche, hat sich das gegenwärtige Wettrüsten bei den Reichweiten genau angesehen und fragt sich, ob das der richtige Weg sei. Eine rhetorische Fragestellung, denn für die Zuffenhausener hat er sie bereits beantwortet und ist zu dem zitierten Ergebnis gelangt.

Am Hockenheimring unterhält die deutsche Sportwagenschmiede, die mit dem Taycan ihren ersten E-Volltreffer gelandet hat, einen Erfahrungssammelstandort vulgo Experience Center, und der Ort wurde gewählt, um den Themenkomplex Innovation, Nachhaltigkeit und Hochleistung vorzustellen sowie die Ergebnisse, zu denen man in diesem Spannungsfeld gelangt ist. Und zwar vor dem Hintergrund, im Jahr 2030 bilanzielle CO2-Neutralität in der gesamten Wertschöpfungskette erreicht zu haben. Bis dahin soll auch 80 Prozent der gesamten Porsche-Palette elektrifiziert sein.

Im Süden Chiles entsteht eine Pilotanlage, die im ersten Jahr 130.000 Liter E-Fuel "ernten" soll.
Foto: Porsche

Von den fünf Themengruppen bestritt Bitsche den zur "Batterie im Spannungsfeld zwischen Reichweite, Performance und Nachhaltigkeit". Bitsche ist quasi Elektromobilitätsurgestein, der Mann mit den österreichischen Wurzeln war in seiner Zeit bei Steyr Daimler Puch bereits zuständig für den Elektro-Panda (1990), hat dann bei Mercedes die Elektrifizierung vorangetrieben und werkt seit 2012 bei Porsche.

Ein Ansatz bei der Entwicklung sei der Punkt, mit den Ladezeiten so nah wie möglich ans Tanken zu kommen – und zwar in der Gesamtbetrachtung: Wie schnell gelange ich, inklusive Laden, von A nach B. Hinzu kommt ein für die Marke mit dem schwarzen Rössl im Wappen ganz wesentlicher Aspekt, nämlich jener der Fahrdynamik. Die weiter gefasste Aufgabe sei also, die Batteriegrößen auf Reisezeit und Fahrdynamik hin zu optimieren sowie dabei den ökologischen Fingerabdruck des Energiespeichers im Auge zu behalten. Denn: 40 Prozent vom CO2, das bei der Herstellung eines Taycans entstehe, sei auf den Akku zurückzuführen. Sprich je kleiner die Batterie, desto besser aus Öko-Sicht.

Weiters arbeitet Porsche mit vorhandener Sensorik am "digitalen Fahrwerkszwilling"...
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Desto besser auch für die Rundenzeiten am Hockenheim-, noch besser: Nürburgring, aber ungeachtet dortiger Referenzwerte, die man im Sinne des Markenprofils herausfährt, sieht Bitsche eben in 100 kWh maximaler Speichergröße die künftige optimale Balance – man werde die Fortschritte in der Zelltechnologie nutzen, Masse aus der Batterie herauszunehmen, und das daraus lukrierte fahrdynamische Potenzial an die Kundschaft weitergeben.

Um die CO2-Bilanz der Batterie zu optimieren, steigt Porsche in die gesamte Lieferkette ein und errichtet 2022 im Raum Stuttgart auch ein eigenes Werk für die Zellfertigung.

Ja, und was geschieht mit dem großen Bestand an historischen Porsches, die noch auf den Straßen sind, was mit dem 911? Wie lassen sich zur Erreichung der Klimaziele Lösungen für den real existierenden, verbrennungsmotorisch betriebenen Fahrzeugbestand – 1,3 Milliarden weltweit (!) – finden?

Pilotprojekt

Da ist nicht Feuer am Dach, sondern Feuerland in Sicht. E-Fuel heißt das Stichwort, und zur Herstellung nahezu CO2-neutraler Kraftstoffe wird gemeinsam mit Siemens Energy und anderen Partnern derzeit das Pilotprojekt "Haru Oni" ("Starker Wind") hochgezogen – an der Magellanstraße, bei Punta Arenas, wo Äolus in dünnbesiedelter Gegend ganzjährig mit voller Puste seiner Arbeit nachkommt, sein Einsatz aber nur Segelschiffer schreckt und ansonsten ungenutzt verpufft.

Porsches Investitionsanteil beträgt 20 Millionen Euro, und Jan Simon Ohmstedt, Leiter des E-Fuels-Projekts, erläutert in seinem Vortrag, was dahintersteckt. Chile wird nämlich, salopp formuliert, zum Sauberspritexportchampion, sofern die Skalierung so klappt wie in der Szenario-Hochrechnung.

...sowie an einem Reparaturkonzept für Hochvoltbatterien.
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Aber zuerst einmal, was bedeutet "weltweit erste integrierte und kommerzielle Großanlage zur Herstellung synthetischer, klimaneutraler Kraftstoffe"? Eine Windturbine erzeugt Strom. 270 Tage jährlich mit Volllast. Ein nahezu unschlagbarer Wert. Damit wird elektrolytisch Wasserstoff erzeugt, CO2 via "Direct air capture"-Verfahren aus der Luft gemolken und dann mittels Methanol-Synthese E-Methanol erzeugt. Daraus, so Ohmstedt weiter, entstehe schlussendlich per MtG-Synthese (Methanol to Gasoline) synthetisches Roh-Benzin.

Komplex, kompliziert, enorm energieaufwendig – aber die Energie würde sonst verpuffen, würde man kein Windrad hinstellen.

Mitte 2022 wird "å’zapft", Haru Oni ist auf 130.000 Liter pro Jahr ausgelegt, Porsche bringt den Saubersprit dann gleich einmal im Supercup zum Einsatz. Und weil es bei der Pilotanlage nicht bleibt, sollen aus Chile 2024 bereits 55.000 Millionen Liter E-Fuel kommen, 2026 dann 550.000 – da könne man schon langsam dran denken, den Sprit "auf die Straße" zu bringen.

Und Otmar Bitsche sucht bei der Batterie nach der Balance zwischen Reichweite, Performance und Nachhaltigkeit.
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Damit nochmals kurz zurück zur E-Mobilität und was Porsche da so ausknobelt. Wartung und Reparatur der Batterie im Handel zum Beispiel. Die Handelsorganisation wird längst auf den Wandel vorbereitet, bis 2024 soll es 173 Hochvolt-Stützpunkte weltweit geben und 57 mobile Experten. Ihr Akku macht Mucken? Dann sind Sie bei denen richtig. Reparieren statt wegwerfen lautet die für so einen sündteuren Bauteil logische Devise. Dazu wird die Batterie ausgebaut, kommt auf einen "Reparaturtisch", und dort heißt es: Deckel runter, Zellmodule freilegen, geschädigte raus, neue rein, Deckel wieder drauf, kompletter Check und zurück ins Auto.

Rund 6000 Euro koste der Austausch eines Moduls in Deutschland, rechnet Porsche vor, ein Totaldefekt entspräche einem heutigen Motortotalschaden, und die nächsten Schritte im Batterieleben wären Zweitlebenskonzepte – etwa Verwendung als Heimspeicher; aber da seien viele Szenarien vorstellbar – und zuletzt das Rezyklieren, wo die Rohstoffe in neuen Akkus Verwendung fänden. Kreislaufwirtschaft.

Und weil uns jetzt der Platz ausgeht, kurz noch stichwortartig: Nicht nur die Medizin setzt auf "digitale Zwillinge", sondern auch Autohersteller. Über Porsches "digitalen Fahrwerkszwilling" berichten wir aber ein andermal, über die "digitale Absicherung von automatisierten Fahrfunktionen" detto.

Porsche-Chef Oliver Blume 2016: "Ein Innovationsprogramm investiert nicht in Patente oder Erfindungen. Es investiert in Menschen." Beeindruckend, was über Marketingfloskeln und Worthülsen hinaus bei so einem Workshop an Kreativpotenzial sicht- und greifbar wird. Wendezeiten. Und wie so oft im Leben: Auf die Balance kommt es an. (Andreas Stockinger, 28.10.2021)